OTC-Sortiment (Teil 6)

Aktionen und Handzettel richtig kalkulieren


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Aktive Apotheken kommen nicht umhin, mit Aktionen und Angeboten auf sich aufmerksam zu machen. Man mag davon unter pharmazeutischen Aspekten halten, was man will – wichtig sind dabei ein stringentes Vor- und Nachcontrolling sowie eine sorgfältige Produktauswahl.

Bevor gerechnet werden kann, erhebt sich die Frage, welche Produkte überhaupt als „Aktionsware“ geeignet sind. Oft ist diese schon von vornherein beantwortet: Der System- oder Kooperationspartner liefert „Fer­tigfutter“, nur bei der Einpreisung ergeben sich meist noch individuelle Spielräume. Die Vor- und Nachteile dieser „Systempartnerschaften“ sollen an dieser Stelle nicht weiter diskutiert werden.

Breitenwirkung

Wer aber die Möglichkeit zur freien Artikelauswahl hat, wird viele Parallelen zur Frei- und Sichtwahlgestaltung ent­decken. Hier wie dort kommt es darauf an, eine möglichst gro­ße Breitenwirkung zu erzielen. Die Spezial-Augencre­me für über 90-Jährige oder das Homöopathikum für Pa­pagei­en, um es ironisch auszudrücken, erzielt diese Breitenwirkung nicht. Die Zahl der über 90-Jährigen oder der Papageibesitzer in der Kundschaft ist eben viel zu gering. Der relative Misserfolg vieler Aktionen ist in erster Linie auf mangelnde Breitenwirkung zurückzuführen.

Lediglich für hochspezialisierte Apotheken (z.B. auf bestimmte Indikationen oder la­bororientierte Betriebe) kommen auch „exotische“ Angebote in Betracht, dann aber auf zielgruppenspezifischen Marketingkanälen und nicht als breite Streuware.

Bekanntes und Neues

Die Attraktivität der Produk­te ist ein ebenfalls wesentli­cher Punkt. Neben Dingen, die man immer braucht (und die damit aber auch für reine Mitnahmeeffekte prädestiniert sind), ziehen überraschende ech­te Neuigkeiten an. Gleiches gilt für spezielle Auf­ma­chun­gen bzw. Sonder­edi­tionen und Angebote, die das Herz erfreuen.

Aktionen über den Preis funktionieren nur, wenn eine hinreichende Preiselastizität ge­geben ist, d.h., wenn Preissenkungen auch eine starke Kaufstimulation auslösen. Das ist nicht bei allen Produkten der Fall, erst recht nicht im Arzneimittelbereich, in dem sich „Konsum“ nur in Grenzen stimulieren lässt – und zudem auch nicht angekurbelt werden sollte.

Hochpreisige Produkte für die Prävention oder begleitende Medikation werden nicht unbedingt so viel mehr gekauft, wenn sie statt sehr teuer nur noch teuer sind. Allenfalls gelingt es, dauerhaft die Rohertragsverluste durch den Mehr­umsatz zu kompensieren, und selbst dies ist oft zweifelhaft. Gerne wird der Kauf einer Großpackung nur vorgezogen oder kann möglicherweise dem Versandhandel entrissen werden. Andererseits lässt der hohe Einstandspreis dieser Klassiker wie Ginkgo oder Enzyme wirklich massentaugliche Preise nicht zu.

Viele Produkte werden immer gekauft, weil der Bedarf da ist – z.B. Nasenspray oder ein Durchfallmittel. Die Preiselastizität ist minimal. Damit wird allenfalls umverteilt, allerdings ist das Verteilungs­volumen (Stückzahlen!) hoch. Trotzdem sind Preisexperimente gerade hier aus pharmazeutischer Sicht weniger sinnvoll, zumal die Mittel absolut schon recht billig sind. Weit höher ist die Preiselastizität bei bekannten Produkten des täglichen Bedarfs (Zahncreme, Kosmetika, Vitamine, Chroniker-Präparate) sowie bei einmaligen größeren Anschaffungen (Körperfettwaagen, Pulsuhren usw.).

Viel Schein, wenig Sein

Der Trick vieler Sonderangebote besteht darin, das Angebot nach Menge und Preis attraktiv aussehen zu lassen. Für den Anbieter hingegen hält sich der Gewinnverlust in Grenzen: Ein Schmerzmittel, für 0,99 € statt 1,95 € „herausgehauen“, bedeutet netto rund 0,80 € Rohgewinnverlust je Packung. Ginkgo von z.B. 95,00 € auf 79,00 € reduziert, bedeutet netto 13,45 € weniger. Für den Rohertragsverlust einer Ginkgo-Packung können etwa 17 Schmerzmittelpackungen mit gleicher Einbuße verkauft werden. Das bedeutet zumindest die Chance auf 17 (hoffentlich zusätzliche!) Kundenkontakte gegenüber einem. Dies illustriert das Prinzip des „viel scheinen, wenig sein“. Auf dem Angebotszettel sollte stets mindestens ein „Knaller“ stehen, der optisch viel hermacht, aber mit geringen Wert­einbußen verbunden ist.

Nun mögen Sie einwenden, dass mit der 79,00-€-Ginkgo-Packung immer noch ein deutlich positiver Stückertrag verbunden ist, während das Schmerzmittel Null auf Null aufgeht, und das auch nur dank großzügiger Rabatte. Es spricht ja nichts dagegen, auch einmal etwas Teures auf den Zettel zu nehmen. Nur – als der große Aufhänger taugt es eher wenig: 79,00 € sind für die meisten Kunden immer noch zu viel. Wer es ohnehin kaufen will, mag sich freuen. Aus dem Versand holen Sie vielleicht Leute zurück – aber nur, wenn Ihre Preise konkurrenzfähig sind.

Andererseits herrscht die Mei­nung, was auf einem Angebotszettel stehe, müsse stets viel billiger als üblich sein. Warum? Ist es nicht möglich, auch „normal“ kalkulierte Artikel, die thematisch oder zur Saison passen, mit auf­zunehmen? Vielleicht mit optisch etwas gerundeten Preisen oder in einer speziellen Packungsgröße, vielleicht als Set mit anderen Produkten verpackt, vielleicht zu Fest­tagen sogar etwas bewusst Exklusives? Das funktioniert – aber nur, wenn die Bedingungen Attraktivität und Breitenwirkung erfüllt sind.

Mit anderen Worten: Eine gute Angebotsaktion zeichnet sich dadurch aus, dass der „Produktmix“ stimmt. Um diesen jedoch zusammenstellen zu können, kommen Sie an einer Voraus- und späteren Nachkalkulation nicht vorbei.

Vorauskalkulation

Hierzu werden sämtliche Ar­tikel der Aktion z.B. in einer Tabellenkalkulation zusammengefasst (siehe unten). Sie benötigen Ihren mit allen Rabatten und Vorteilen berechneten Netto-Netto-Einkaufswert je Packung (effektiver EK), den Angebotspreis und den bis­herigen Preis, des Weiteren Ihren jetzigen Stück­umsatz (meist Monatsbedarf laut Warenwirtschaft) sowie einen Erwartungswert des Aktionsabsatzes. Der Normal-Monatsbedarf (bzw. Ihre gewählte Vergleichsbasis) ist ggf. auf den Aktionszeitraum herunterzurechnen, um aus­sagekräftige Differenzen ermitteln zu können. Wenn die Aktion also zwei Wochen läuft, können Sie den normalen Monatsbedarf näherungsweise halbieren, um die richtige Vergleichsbasis zu erhalten.

Es ist nun leicht, die Mehrwertsteuer aus den Preisen herauszurechnen, den Netto-Netto-Einkaufspreis jeweils abzuziehen und das Ergebnis mit den tatsächlichen bzw. erwarteten Stückzahlen zu multiplizieren. Damit haben Sie die Rohgewin­ne, deren Bilanz und welche Produkte wie dazu beitragen. Idealerweise hält sich die Roh­gewinndifferenz in Grenzen.

Allein diese Vorauskalkulation wird Sie vielleicht veranlassen, den „Mix“ etwas anders vorzunehmen oder die Preise noch zu verändern.

An dieser Stelle beruht freilich alles noch auf Schätzungen – Schätzungen, die Sie im Laufe der Zeit durch Erfahrung perfektionieren werden.

Nachkalkulation

Haben sich Ihre Erwartungen erfüllt, die Prognosen halbwegs bestätigt? Ohne eine Nachkalkulation sollten Sie keine Aktion abschließen. Nach obigem Schema tragen Sie die tatsächlichen Absatzzahlen ein. Wie fällt die Rohgewinndifferenz aus? Hinzu kommen noch die festen Kosten wie Druck, Marketing, Anzeigen, Verteilerlöhne usw. Wer ehrlich ist, berechnet auch den Zeitaufwand der Mitarbeiter sowie den eigenen. Dies alles addiert, ergibt den Gesamtaufwand. Meist ist er, so bilanziert, sehr deutlich in den roten Zahlen.

Was steht nun positiv dagegen? Ja, was nur, wird man oft fragen müssen. Deshalb gilt der Blick weiteren Daten und Erhebungen:

  • Wie haben sich die Kunden­frequenzen im Aktions­zeitraum verändert? Fallen sie nach dem Ende der Aktion wieder ab?
  • Wie sehen die Rezeptzahlen aus, wie die Gesamt­umsätze und -erträge der Apotheke?
  • Wie gut ist der „Response“, wie viele zusätzliche Produktverkäufe kommen z.B. auf 1.000 Handzettel?
  • Wer mit Coupons oder Gutscheinen arbeitet, sollte diese exakt bilanzieren. Wie viele kommen zurück?
  • Was sind die „Renner“ bei den Angeboten ? Welche Gründe lassen sich – neben dem Preis – dafür finden?
  • Können langfristig Stammkunden gewonnen werden, von denen jeder statistisch rund 120 € p.a. Rohgewinn – Ältere sogar das Doppel­te und Dreifache davon – „wert“ ist?

Ohne Zweifel sind diese Betrachtungen fehlerbehaftet. Et­liche Überlagerungseffek­te kommen nämlich hinzu. Schon eine Grippewelle macht den Vorher-Nachher-Vergleich von Rezepten und Kundenzahlen schwer. Das darf Sie jedoch nicht davon abhalten, ein solches Voraus- und Nachcontrolling zu installieren. Denn wenn Sie einmal eine ganze Reihe von Aktionen dergestalt vor- und nachbereitet haben, sollten sich schon signifikante Resultate herausschälen lassen. Nicht immer kommen Grippewellen etc. dazwischen.

Zudem „kalibrieren“ Sie sich selbst. Sie werden sehen, welche Produkte, welche Preispolitik Erfolg haben und welche nicht. Sie werden ein besseres Gefühl für Vorausschätzungen entwickeln, was wie gehen wird. Damit bauen Sie etwas auf, was nicht zu kaufen ist: Erfahrung und Know-how.

Teil 7 der Serie in der nächsten AWA -Ausgabe vom 1. April 2008 befasst sich mit dem Thema: OTC-Preise – Dauerbrenner mit zunehmend öffentlicher Dimension

Dr. Reinhard Herzog,
Apotheker, 72076 Tübingen,
E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2008; 33(06):6-6