Helmut Lehr
Bereits seit einigen Jahren haben Apotheker die Möglichkeit, den Vorsteuerabzug aus den Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten für die Privatwohnung beim Finanzamt geltend zu machen 1) . Dies setzt (lediglich) voraus, dass das Objekt zu mindestens 10 % auch für unternehmerische Zwecke genutzt und insgesamt dem umsatzsteuerlichen Unternehmensvermögen zugeordnet wird.
Ob die erstmalige Umsetzung des sogenannten Seeling- Modells derzeit noch ratsam ist, muss im Einzelfall nach gründlicher Prüfung durch den steuerlichen Berater beurteilt werden. Mittlerweile haben nämlich Gesetzgeber und Finanzverwaltung alles daran gesetzt, dem anfänglichen Vorsteuerabzug durch eine erhöhte Umsatzsteuerbelastung in der Folgezeit die Attraktivität zu nehmen.
Laufende Besteuerung der Privatnutzung
Apotheker müssen bedenken, dass die private Wohnungsnutzung jährlich als sogenannte unentgeltliche Wertabgabe der Umsatzsteuer unterliegt. Berücksichtigt werden dabei auch die Anschaffungs-/Herstellungskosten mit 10 % pro Jahr. Das bedeutet, dass der anfängliche Vorsteuerabzug innerhalb von zehn Jahren zumindest nominal rückgängig gemacht wird.
Hinweis: Erschwerend kommt hinzu, dass in vielen (Alt-)Fällen der Vorsteuerabzug lediglich 16 % (Umsatzsteuersatz bis zum 31. Dezember 2006) betragen hat, während die unentgeltliche Wertabgabe ab Januar 2007 mit 19 % zu versteuern ist. Der Vorsteuerabzug wird bereits dadurch möglicherweise überkompensiert.
Entnahme des Grundstücks
Ein weiteres Umsatzsteuerrisiko besteht bei einer späteren Entnahme des Grundstücks aus dem Unternehmensvermögen. Die Finanzverwaltung vertritt hierzu die Auffassung, dass dieser Vorgang (dann nochmals) komplett der Umsatzsteuer unterliegt2) , selbst wenn der zehnjährige Vorsteuerberichtigungszeitraum bereits abgelaufen sein sollte. Bevor der Vorsteuerabzug für die Privatwohnung durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in der Sache „Wolfgang Seeling“3) möglich wurde, hat die Finanzverwaltung Grundstücksentnahmen als umsatzsteuerfrei beurteilt.
Europäische Kommission schaltet sich ein
Die Umsatzbesteuerung einer Grundstücksentnahme ist rechtlich äußerst bedenklich. Zahlreiche Steuerexperten gehen nämlich davon aus, dass die europaweit verbindliche Mehrwertsteuersystemrichtlinie eine solche Entnahmebesteuerung gar nicht zulässt, da Grundstücksumsätze regelmäßig umsatzsteuerfrei sind.
Bereits im Jahr 2005 wurde deshalb von einer deutschen Anwalts- und Steuerkanzlei ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland angeregt. Die Europäische Kommission hat Deutschland nun förmlich aufgefordert, seine Umsatzsteuervorschriften für die Grundstücksentnahme zu ändern.
Hinweis: Sollte Deutschland innerhalb von zwei Monaten dieser Aufforderung nicht nachkommen – was zu erwarten ist –, kann die Kommission den Europäischen Gerichts-hof anrufen.
Folgen für Apotheker
Apotheker, die bereits in der Vergangenheit den vollen Vorsteuerabzug für eine überwiegend privat genutzte Immobilie geltend gemacht haben, können nach derzeitigem Stand der Dinge darauf hoffen, dass eine spätere Entnahme des Grundstücks aus dem Unternehmensvermögen ohne zusätzliche Umsatzsteuerbelastung möglich ist. Vermutlich wird der Europäische Gerichtshof darüber in „einigen Jahren“ abschließend entscheiden müssen.
Hinweis: Wird das Grundstück allerdings innerhalb des zehnjährigen Vorsteuerberichtigungszeitraums entnommen und die Entnahme dann gegebenenfalls auch von der Finanzverwaltung als umsatzsteuerfrei beurteilt, führt dies regelmäßig zu einer anteiligen Vorsteuerkorrektur wegen der eingetretenen endgültigen „Nutzungsänderung“. Eine solche anteilige Vorsteuerrückzahlung ist bei „vorzeitiger“ umsatzsteuerfreier Entnahme dann wohl nicht zu vermeiden.
Ausblick: Ende des Seeling-Modells
Die Europäische Kommission hat mittlerweile vorgeschlagen, das Umsatzsteuerrecht dahingehend zu ändern, dass der Vorsteuerabzug künftig auf solche Grundstücksteile beschränkt bleibt, die tatsächlich unternehmerisch genutzt werden. Ein Vorsteuerabzug für die Privatwoh-nung wäre dann nicht mehr möglich.
Beispiel: Apotheker Rolfes will ab Herbst 2008 ein Gebäude errichten, das er zu 40 % für seine Apotheke und zu 60 % als Privatwohnung nutzen wird. Die Herstellungskosten betragen 600.000 € zuzüglich 19 % Umsatzsteuer (114.000 €). Herr Rolfes kann voraussichtlich künftig nur noch einen Vorsteuerabzug von 45.600 € (114.000 € x 40 %) geltend machen. „Vorsteuern“ in Höhe von 68.400 € (Anteil Privatwohnung) wären hingegen nicht mehr abzugsfähig. Allerdings entfiele dann auch die laufende Versteuerung der privaten Wohnungsnutzung.
Die vorgeschlagenen Änderungen müssen noch einstimmig durch den Rat der EU beschlossen werden und sollen dann bis zum 1. Juli 2008 von den Mitgliedstaaten umgesetzt werden. Altfälle sind voraussichtlich nicht betroffen.
Hinweis: Wer jetzt noch von dem anfänglichen Vorsteuerabzug nach dem „Seeling- Modell“ profitieren möchte, sollte sich beeilen. Ob die Steuergestaltung allerdings insgesamt noch sonderlich attraktiv ist, wird mittler- weile vielfach bezweifelt und sollte deshalb vorab unbedingt eingehend mit dem steuerlichen Berater erörtert werden.
1) Vgl. bereits AWA -Ausgabe Nr. 17 vom 1. September 2004, Seite 12 bis14.
2) Vgl. Bundesfinanzministerium, Schreiben vom 13. April 2004, Aktenzeichen IV B 7 – S 7300 – 26/04.
3) Urteil vom 8. Mai 2003, Rechtssache C-269/00.
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2008; 33(06):18-18