Ute Jürgens
Sich zum Älterwerden bekennen heißt: das Alter als positive Lebensphase empfinden. Jetzt beginnt nicht mehr – wie häufig früher – der soziale Abstieg, sondern oft das Gegenteil. Der Genuss der Früchte, das Einfahren der Ernte findet statt. Nun kann man sein Leben nach eigenen Wünschen gestalten, ohne sich Verpflichtungen von außen zu beugen. Wenn es uns als jungen Alten ab 45 (!) gelingt, diese Einstellung zu verinnerlichen, wandeln sich Befürchtungen zu Hoffnung und Vorfreude. Voraussetzung ist, dass man richtig alt wird. Menschen, die ihrem eigenen Altwerden bejahend gegenüberstehen, werden übrigens im Schnitt sieben Jahre älter als die „Flüchter“ oder „Leugner“.
Der Freizeitforscher Prof. Dr. Horst Opaschowski bemerkt in seinem Buch „Altersträume. Illusion und Wirklichkeit“: „Die Jugend wird zur Minderheit. Da wandelt sich fast zwangsläufig auch die Einstellung der Bevölkerung zum Alter.“
Gerade in der Apotheke ist es wichtig, auch sehr alte Kunden nicht automatisch herablassend oder geringschätzig als halbdemente Wesen zu betrachten. Dieses Vorurteil spielt oft mit bei der Beratung, manche von uns verfallen automatisch in einen bevormundenden oder mitleidigen Ton. Wenn wir dazu noch sehr laut sprechen, wundert sich mancher Kunde oder fühlt sich nicht für voll genommen. Vielleicht geht er das nächste Mal lieber in eine andere Apotheke.
Ehrenamt und Sportabzeichen
Es sind weniger die körperlichen Veränderungen, die Angst vor dem Alter auslösen. Vielmehr ist mit dem Attribut „alt“ die Furcht vor dem Aufhören-Müssen und Nichtmehr-gebraucht-Werden verbunden. Auch dies ist weitgehend unbegründet: Viele Ihrer Kunden sind ehrenamtlich oder in der eigenen Familie höchst aktiv, machen das Sportabzeichen oder beraten als Mentor Jüngere, die gerade am Anfang ihres Berufslebens stehen.
Opaschowski zitiert aus Forschungen: „Alt ist man, wenn man zum Pflegefall wird, starr und unflexibel wird oder sich nutzlos fühlt.“ Diese Definition geht nicht vom Alter in Jahren aus, sondern von Fähigkeiten oder Eigenschaften. In sehr vielen Apothekenbetrieben setzt sich die umsatzstärkste und zahlenmäßig größte Kundengruppe aus den 65- bis 75-Jährigen zusammen. Nur die wenigsten dieser Menschen sind Pflegefälle. Allein schon die Gesundheitspolitik zwingt sie zur Flexibilität, viele von ihnen sind im Allgemeinen noch recht neugierig und an ergänzenden Produkten und Tipps immer interessiert.
Schwätzchen zur Kundenbindung
Will man die Älteren für sich gewinnen, geschieht das nicht mit Glanz und Glamour, sondern mit Atmosphäre und Ambiente (Opaschowski). Was der Jugend der Spaßfaktor, ist den Alten der Sinnfaktor. Wichtig sind jetzt: soziale Kontakte, Genießen und die Nähe zur Natur. In der Apotheke ist bekannt, dass viele Kunden gerne ein Schwätzchen halten. Doch wir stehen oft unter Zeitdruck und vergessen deshalb, dass gerade diese Gespräche zur Kundenbindung beitragen, also Teil unserer Aufgabe sind.
Nach diesen grundlegenden Überlegungen zum Thema „Altern will gelernt sein“ folgen nun einige Anregungen zur Kundenansprache und zu entsprechenden Produkten. Dabei gilt grundsätzlich: Wenn wir das Alter ab 50 selbst als angenehme und genussreiche Lebensphase empfinden, strahlen wir den Kunden gegenüber Optimismus aus.
Für spezielle Produkte kann man sich Standardsätze überlegen – sei es, dass man bewusst „reife Haut“ sagt, weil es so ist, oder scherzhafte Bemerkungen macht wie „lieber vielfältig als einfältig“. Danach können die Vorzüge der entsprechenden Cremes gegenüber den „gehaltlosen“ hervorgehoben werden.
Welche Produkte tragen zum Genießen bei? Sie stehen oft im Randsortiment, werden kaum beachtet und schon gar nicht aktiv verkauft; das fängt bei Tees an und hört bei Badezusätzen und Aromaölen auf.
Alltagshilfen: Nach dem Motto „Machen Sie sich das Leben angenehm!“ sollten Sie entsprechende Produkte aktiv in Ihrer Apotheke bewerben. Denkbar ist auch, dass ein Mitarbeiter eines Anbieters an speziellen Aktionstagen ein erweitertes Sortiment vorstellt und Ihren Kunden näher erläutert.
Dosierhilfen immer griffbereit haben
Für Dosierhilfen gilt: Von Medikamentenboxen über Tablettenteiler bis zur Eintropfhilfe für Augentropfen – gekauft wird nur, wenn der Kun-de die Produkte kennt. Steht also ein Teilungsvermerk auf dem Rezept, fragen Sie den Kunden immer, ob er bereits einen Tablettenteiler besitzt oder vielleicht einen kaufen möchte. Dieser sollte stets griffbereit sein, damit Sie nicht extra nach hinten laufen müssen – in der Hektik des Alltags mag man keine zeitaufwendigen Umwege.
Am einfachsten ist es immer, den Kunden bezüglich eventueller Probleme ganz direkt zu fragen. Einen guten Einstieg bieten Formulierungen wie: „Kommen Sie damit zurecht oder möchten Sie noch ein paar Erläuterungen dazu?“, „Kennen Sie sich damit aus?“, „Die Handhabung von diesen Tropfen ist ein bisschen umständlich, möchten Sie das einmal ausprobieren? Dann können wir zusammen gucken, wie es am besten geht“, „Frau Müller, ich habe da etwas ganz Besonderes für Sie!“ oder „Ich sehe gerade, dass das … Ihnen heute (!) etwas Mühe macht, darf ich Ihnen einen von unseren kleinen Tricks zeigen?“.
Falls doch einmal jemand beleidigt reagiert, brauchen Sie sich nicht zu rechtfertigen. Es reicht, wenn Sie antworten: „Es tut mir leid, ich wollte Ihnen nicht zu nahetreten.“ Meistens murmelt der Kunde dann vor sich hin. Entweder belassen Sie es dabei und gehen direkt zu einem „Was kann ich jetzt noch für Sie tun?“ über oder aber Sie trauen sich, ein Gespräch über die Einstellung zum Altsein und Altwerden zu beginnen.
Welche Produkte fehlen im Sortiment? Kommen ab und zu Nachfragen nach fetten Cremes, die es „früher“ gab? Die könnten Sie eventuell auch selbst herstellen. Lassen Sie Ihre Mitarbeiter ein halbes Jahr lang alle Neinverkäufe in eine Liste eintragen. Auch häufig geäußerte Schwierigkeiten bei der Handhabung von Medikamenten werden notiert. Hier ergeben sich eventuell Möglichkeiten, entsprechende Hilfen ins Sortiment aufzunehmen.
Altenfreundliche Offizin
Wie bequem und überschaubar ist die Offizin? Sind Schirmständer, Rolliparkplatz und Handstockklemme am HV- Tisch vorhanden? Ist alles so ausgeleuchtet, dass es gut erkennbar ist und nicht blendet? Sind die Preisschilder an den Regalen groß genug und kontrastreich? Fragen Sie Ihre Kunden nach den Wünschen, beobachten Sie, wonach häufig Ausschau gehalten wird.
Zum Thema Altwerden gibt es mittlerweile eine Unmenge an Literatur: Besinnliches, Informatives, Optimistisches und Humorvolles. Ein Buchtipp aus der letzten Kategorie: Dietmar Bittrich erzählt in „Altersglück: Vom Segen der Vergesslichkeit“ mit erfrischendem Witz, wie wunderbar es ist, die Jugend endlich hinter sich zu lassen. Das Fazit: Irgendwie kommt man doch immer zurecht und macht sich oft viel zu viele Sorgen.
Ute Jürgens,
Kommunikationstrainerin und Einzelcoach,
KomMed, 28865 Lilienthal,
E-Mail: KomMed@freenet.de
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2008; 33(16):8-8