Dr. Christine Ahlheim
?Wann ist Ihrer Ansicht nach mit der Einführung der elektronischen Gesundheitskarte sowie des eRezepts und der neuen Anwendungen zu rechnen?
Beschlossen seitens Gesundheitsministerium und gematik ist, dass die Verteilung der neuen elektronischen Gesundheitskarte, der sogenannten eGK, an die Versicherten durch die Krankenkassen 2009 begonnen und vermutlich 2010 abgeschlossen sein wird. Insofern ist klar: Die eGK kommt im Wahljahr 2009. Doch es gibt ein dickes „Aber“. Denn diese eGK enthält (von Ausnahmen abgesehen) zwar ein Foto des Versicherten und sie ist auch schon vorbereitet für verschiedene Funktionalitäten – so beispielsweise für das digitale Update der Adress- und Statusdaten der Versicherten, das elektronische Rezept, den elektronischen Arztbrief, den elektronischen Notfallausweis und die Arzneimitteldokumentation. Doch „vorbereitet“ ist noch lange nicht aktiviert. Wann diese neuen Funktionalitäten aktiviert werden, ist derzeit noch offen.
Auch wenn es für den normalen Bürger und für den Heilberufler kaum zu fassen ist: Die einzige neue Anwendung, die gleich zu Anfang aktiviert werden soll, ist das digitale Update des Versichertenstatus! Der damit verbundene Nutzen ist jedoch ausgesprochen übersichtlich: Es müssen dann seltener Plastikkarten ausgetauscht werden als heute und man kann das Foto auf der Chipkarte betrachten. Doch ein den Patienten vermittelbarer nennenswerter Nutzen ist das nun wirklich nicht. Im Gegenteil: Viele Patienten erwarten mit der eGK neue Anwendungen und werden von dieser Petitesse enttäuscht sein und ihren Zorn beim Leistungserbringer abladen.
Das erklärt auch den Unmut der Ärzte: Bei dieser Strategie zur Einführung der eGK werden sie – jedenfalls bis auf Weiteres – die einzige Leistungserbringergruppe sein, die sich mit der neuen Telematikinfrastruktur ausstatten und diese bei jedem einzelnen Patientenkontakt benutzen muss. Ihre Rezepte werden sie aber nach wie vor auf den roten, blauen oder grünen Formblättern ausstellen. Das verstehe, wer will.
?Warum geht die eGK mit einem derart reduzierten Funktionsumfang an den Start, wenn die Anwendungstests doch bereits laufen?
Es stimmt. Die Tests laufen – doch sie laufen alles andere als ideal. Das ist jedenfalls, was wir bei unseren Mandanten in den Testregionen beobachten. Die gematik-Anforderungen sehen vor, dass im Routinebetrieb die digitalen Dokumente binnen einer Sekunde von der Karte oder vom Server auf den Bildschirm geladen werden können. Doch in den Testregionen dauert das zum Teil eine halbe Minute, was natürlich völlig inakzeptabel ist.
Eines der größten Probleme ist, dass in den Testregionen viel zu wenig eRezepte anfallen, um signifikante, belastbare Aussagen zu machen. Ich will das gerne erläutern: Wenn von den 10.000 Versicherten, die in einer Testregion mit der neuen eGK ausgestattet worden sind, in einem Monat 2.000 krank werden, landen vielleicht nur 1.000 davon bei den am Test teilnehmenden Ärzten. Wenn von diesen 1.000 Patienten zwei Drittel ein Rezept erhalten, und wenn von diesen 667 Rezepten wiederum zwei Drittel bei am Test teilnehmenden Apotheken eingereicht werden und man 25 Apothekenöffnungstage berücksichtigt, sind das täglich 18 eRezepte in der Testregion, also ungefähr ein eRezept je teilnehmende Apotheke am Tag. Bei solchen Lastzahlen sind brauchbare und belastbare Aussagen zur Lade-, Lese- und Bearbeitungsdauer, die ja für den Handlingsaufwand in der Apotheke höchst relevant sind, kaum zu erreichen. Eine bundesweite Routineeinführung auf Basis solcher Tests wäre nicht vertretbar. Hier muss wohl noch deutlich nachgebessert werden.
?Werden die Apotheken die Kosten im Routinebetrieb ohne einen entsprechenden Ausgleich zu tragen haben?
Nein, das werden sie nicht. Da bin ich sogar recht zuversichtlich. Anders als bei Rabattverträgen, wo die Apotheken zu kostenträchtiger Arbeit verpflichtet werden, ohne dass im Gesetz dafür ein Kostenausgleich vorgesehen ist, ist bei der Telematikinfrastruktur sowohl im SGB V als auch in den gematik-Verträgen explizit eine Refinanzierung der notwendigen telematikbedingten Kosten für die Ärzte, Zahnärzte, Krankenhäuser und Apotheker verankert. Zudem gibt es ein offizielles Gutachten für die gematik, das bei den Leistungserbringern auch den Anfall entsprechender Kosten dokumentiert. Insofern haben KBV, KZBV, DKG und DAV auch bei gescheiterten Verhandlungen sehr gute Chancen, sich vor den jeweiligen Schiedsgerichten durchzusetzen.
Das Problem ist, dass für die Verhandlungen belastbare Testergebnisse notwendig sind, aber derzeit noch nicht vorliegen. Von gravierender Bedeutung wird sein, ob der bundesweite Routinebetrieb wirklich nur dann freigegeben wird, wenn die Bearbeitungszeiten tatsächlich nur eine Sekunde dauern oder ob es, wie derzeit in den Tests, erhebliche Up- und Download-Zei-ten und damit Ablaufsverzögerungen gibt. Letzteres hätte auf die telematikbedingten Handlingskosten in der Offizin gravierende Auswirkungen und sollte deshalb unbedingt vermieden werden.
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2008; 33(17):4-4