Prof. Dr. Reinhard Herzog
Selten waren die Zinsschwankungen am europäischen Kapitalmarkt so heftig wie in den vergangenen 12 Monaten. Lag die durchschnittliche Rendite öffentlicher Anleihen mit maximal fünfjähriger Restlaufzeit im Sommer 2007 noch bei 4,3 %, so warfen vergleichbare Titel ein halbes Jahr später nur noch 3,2 % ab. Doch dann kam erneut die Wende und im Juni 2008 wurden in dieser Laufzeitkategorie schon fast 5,0 % bezahlt. Aber auch dies war nicht von langer Dauer und heute steht bereits wie-der die vier vor dem Komma der publizierten Renditesätze.
Die Gründe für diese ungewöhnlich kräftigen Ausschläge sind zum einen in der Finanzkrise zu sehen, zum anderen aber auch in den Turbulenzen bei den Rohstoffpreisen. So sorgten 2007 die umfassenden Interventionsmaßnahmen der Zentralbanken – mit denen ein noch größeres Finanzdebakel abgewendet werden konnte – für fallende Renditen. Die meisten Banken und Sparkassen waren ausreichend mit Geld versorgt, denn Anleger agierten eher vorsichtig. Als jedoch die Rohstoffpreise im Frühjahr 2008 explodierten und auch der Dollar von Tag zu Tag schwächer tendierte, mehrten sich die Erwartungen, die Europäische Zentralbank (EZB) werde alsbald die Zinsen erhöhen und so die Inflationsrate eindämmen. Mögliche Zinserhöhungen – dies ist eine alte Börsenregel – wirken sich jedoch bereits im Vorfeld auf die Kapitalmarktzinsen aus, die Zinsen steigen also.
Konjunkturelle Unsicherheiten
Dass es zuletzt wieder abwärts ging, ist auf die schwächelnde Konjunkturentwicklung zurückzuführen. Die EZB hat erkannt, dass die Inflationsbekämpfung zwar wichtig ist, die Konjunktur jedoch auch nicht abgewürgt werden darf. Entsprechend sorgten Aussagen der Notenbanker dafür, dass die Börse ihre Zinserwartungen wieder zurückschrauben konnte. Erleichtert wurde diese Entwicklung durch das deutliche Nachgeben der Roh-stoffpreise und hier insbesondere des Ölpreises, aber auch durch die Festigung des US-Dollar gegenüber dem Euro.
Für Anleger ist es in solchen Situationen jedoch schwierig, bei Neuengagements zum richtigen Zeitpunkt auf die richtigen Papiere zu setzen. Einig sind sich die meisten Analysten, dass die Schwerpunkte einer Rentenanlage weiterhin im kürzeren bis mittleren Laufzeitsegment liegen sollten. Denn schließlich bergen Langläufer im Falle eines stärkeren Renditeanstiegs überdurchschnittliche Kursrisiken. Allerdings sollte eine Rendite von mindestens 4% erzielt werden, damit die Anleihe im Vergleich zu Tages- und Festgeldern hinreichend attraktiv ist. Liegt die aktuelle Rendite eines Papiers wesentlich darunter, können Sie entweder auf Alternativen wie Festgelder ausweichen oder aber vorsichtig in mittlere Laufzeiten – also maximal fünf bis sieben Jahre – investieren.
Nicht zwischenparken
Bei vorhandenen Engagements besteht derzeit kein Handlungsbedarf, insbesondere da momentan keine bedeutenden Alternativen wie beispielweise Aktienkäufe empfohlen werden können. Aber auch dann, wenn Sie Geld gezielt bis zu einem bestimmten Termin anlegen wollen, z. B. für fünf Jahre, sollten Sie jetzt nicht zögern: Kaufen Sie Papiere mit fünfjähriger Restlaufzeit und sichern Sie sich damit die Rendite von heute für die gesamten fünf Jahren. Wenn Sie dagegen erst abwarten und Ihr Geld zwischenparken, vergeben Sie sich möglicherweise eine vergleichsweise sichere Rendite.
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2008; 33(19):14-14