Insolvenz von Apotheken

Richtiges Handeln in der Krise


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Es kommt oft schneller als gedacht: Die Kreditlinien sind fast ausgeschöpft, die nächsten Lohnzahlungen stehen an, Rechnungen werden fällig. Gleichzeitig fallen die Rezeptabrechnungen immer bescheidener aus. Eine ernste Liquiditätskrise ist zum Greifen nahe...

Zeichnet sich eine Liquiditätskrise ab, sollten Sie trotzdem so weit wie möglich handlungsfähig bleiben und ganz rasch Liquiditätsspielräume schaffen:

  • Lassen Sie Ihre Rentenbeiträge an Ihr Versorgungswerk herabsetzen.
  • Reduzieren Sie Ihre Ein‑ kom­mensteuervorauszah­lun­gen – am besten durch persönliche Vorsprache beim Finanzamt.
  • Passen Sie Warenbestände an, insbesondere, indem Sie Warenlagertiefe und Bestellungen reduzieren.
  • Stellen Sie Investitionen zurück und stornieren Sie Aufträge, sofern dies noch folgenlos möglich ist.
  • Setzen Sie – soweit rechtlich zulässig – Sonderzahlungen an das Personal aus und suchen Sie ein­vernehmlich nach schnell wirksamen Lösungen, z.B. sozial- und betriebsverträgliche Stundenkürzungen oder ggf. auch kurzfristige, übergangsweise unbezahlte Mehrarbeit. Streitereien oder gar Prozesse hingegen können Sie sich jetzt nicht leisten, Sie sollten also einen ehrlichen Konsens anstreben.

Hilft das nicht, müssen Sie weitere Prioritäten setzen. Die Sozialversicherungsbeiträge auf die Löhne sowie die Steuern (sofern für letztere nicht eine Herabsetzung oder Stundung vereinbart wurde) sind ein absolutes Muss. Sozialversicherungsträger stellen bei Rückständen schnell Insolvenzantrag. Die Miete ist ebenfalls kritisch – eine fristlose Kündigung droht oft schon nach zwei nicht bezahlten Monatsmieten und auch ein Insolvenzverfahren an sich kann je nach Mietvertrag einen Kündigungsgrund darstellen.

Die Rolle der Hausbank ist ganz entscheidend. Daher ist hier schnellstmöglich Kontakt aufzunehmen, falls die Bedienung der Kredite gefährdet ist. Dazu sollten Sie aber unbedingt eine Übersicht über die Lage haben, damit Sie mit klaren Zielen in die Verhandlung gehen können.

Dagegen halten die meisten Lieferanten länger still. Gegebenenfalls holen sie ihre Ware wieder ab. Hier kann also tatsächlich eher auf Zeit gespielt werden – wohl wissend, dass das keine dauerhafte Lösung ist. Diese liegt nur in einer Sanierung oder aber in einem konkreten Abwicklungs- und Ausstiegsszenario. Um aber kurzfristig Liquidität zu gewinnen, kann dies der richtige Weg sein. Gerade der Großhandel springt hier oft in die Bresche.

Achtung ist geboten, wenn Mahnbescheide ins Haus flattern und gar Inkassobüros eingeschaltet werden. Dann können sich gerade kleine Rechnungsbeträge glatt vervielfachen – das lohnt nicht. Die­se Gefahr besteht umso eher, je „weiter weg“ der Lieferant von der Apotheke und je lockerer die Geschäftsbeziehung ist.

Versuchen Sie, aus diesem gewonnenen Liquiditätsspielraum Geld für den Fall der Fälle zurückzulegen oder sich anderweitig Handlungsspielräume, z.B. aus dem familiären Umfeld, für den Worst Case zu sichern. Bedenken Sie, dass Sie sonst ganz schnell in eine Situation kommen können, in der gar nichts mehr geht.

Sanieren oder abwickeln?

Die nächste dringend zu klärende Frage lautet: Ist die Apotheke mit Ihren Möglichkeiten noch zu retten oder muss eine Abwicklung erfolgen? Im Grunde müssen Sie Ihren eigenen Betrieb mit den Augen eines Fremden sehen und eine objektive Lagebewertung vornehmen: Was ist realistisch möglich? In welchem Zeitraum? Welche Mittel benötigen Sie dazu? Wie überzeugen Sie die Geldgeber, Ihnen diese Mittel noch einmal nachzuschießen? Praktisch müs­sen Sie sich erneut um Ihre eigene Apotheke bewerben und diese für Fremde mit den üblichen Maßnahmen (Businessplan, Liquiditäts- und Gewinnvorschau unter verschiedenen Szenarien) „aufbereiten“, um das nötige Kapital zu bekommen. Lügen Sie sich nicht in die eigene Tasche: Es nützt nichts, wenn Sie trotz Kapitalspritze in wenigen Monaten wieder da stehen, wo Sie heute schon sind. Behalten Sie also die Nerven und stellen Sie sich den Realitäten.

Die Karten auf den Tisch legen

Irgendwann kommt der Tag, an dem Sie die Karten auf den Tisch legen müssen – so oder so. Steuerberater und Hausbank erkennen die Schieflage bald. Suchen Sie also das Gespräch, bevor die Tatsachen Sie dazu zwingen. Denn nachhaltig schwache Geschäftszahlen bei gleichzeitig hohen Verbindlichkeiten ka­tapul­tie­ren Sie bankintern schnell in eine höhere Risikoklasse – bis hin zur Überwachung aller Zahlungsvorgänge. Bald steht dann die Sperrung der Konten und, falls Sie die Bankverbindlichkeiten nicht mehr erfüllen können, die Fälligstellung des Kredits an. Dies passiert vor allem, wenn Sie sich der Kommunikation entziehen – ein leider öfter zu sehendes „Vogel-Strauß-Verhalten“.

Bedenken Sie, was eine Sperrung Ihrer Konten bei der Haus- und Geschäftsbank bedeutet, zumal, wenn Sie nicht über andere Finanzquellen verfügen. Im Extremfall können Sie nicht einmal mehr die nötigsten täglichen Dinge besorgen, die Kreditkarte ist ebenfalls gesperrt, den Geschäftsbetrieb können Sie nur noch auf Sicht von Tagen aufrechterhalten, denn spätestens die nächste Großhandelsabbuchung platzt...

Damit sind Sie in einer Situation, in der buchstäblich nichts mehr geht. Selbst Beistand in Form eines Anwalts oder Beraters zu finden, wird nun schwierig, wenn die Frage der Bezahlung ungelöst im Raum steht. Schuldnerberatungen sind überlaufen und mit Un-ternehmensabwicklungen we­niger vertraut. Schlussendlich werden nun andere über Sie entscheiden. Sie haben im Wesentlichen ausgespielt. Die Probleme multiplizieren sich: Zweimal die Miete nicht bezahlt – die fristlose Kündigung droht und die Apotheke ist endgültig entwertet. Löhne stehen an. Sozialkassen fackeln nicht lange und stellen Insolvenzantrag – womit wir beim Thema wären.

Insolvenzverfahren

Was passiert nun? Im Grunde kann jeder Gläubiger Insolvenzantrag beim für Sie zuständigen Amtsgericht (Insolvenzgericht) stellen, sofern ein plausibler Eröffnungsgrund vorliegt (wozu eingestellte Zahlungen Ihrerseits gehören). Auch Sie selbst können diesen Antrag stellen.

Sie sind gut beraten, einen solchen Antrag zu stellen, falls Sie wirklich zahlungsunfähig werden und nicht bereits im Vorfeld am „runden Tisch“ mit Banken und Großhandel eine Lösung gefunden werden kann. Schnell bekommen Sie sogar strafrechtliche Pro­‑ ble­me, wenn Sie z.B. noch munter Waren bestellen, obwohl Sie beweisbar wissen, dass Sie diese niemals bezahlen können. Aber zu diesem Zeitpunkt sollten Sie schon längst den Beistand versierter Anwälte und Berater gesucht haben. Nur die wenigsten Apotheker stehen so etwas alleine ohne große „Kollateralschäden“ infolge Unkenntnis durch.

Über die Eröffnung des Verfahrens entscheidet das Gericht; sie kann mangels Masse abgelehnt werden, wenn nämlich die Insolvenzmasse, also der mutmaßlich noch verbleibende Überschuss nach Verwertung aller Werte, nicht die anfallenden Kosten deckt. Zu diesen Kosten gehören neben den Gerichts- und Verfahrens­kosten auch die Aufwendun­gen des Insolvenzverwalters, der einen gestaffelten prozentualen Anteil an der Insolvenzmasse erhält. Verbesserungen für mittellose Schuldner sind geplant.

Oft läuft es jetzt auf die Schließung der Apotheke, eine Verwertung der noch vorhandenen Sach- und ggf. Geschäftswerte und eine anschließende Privatinsolvenz des Apothekenleiters hinaus. Ein Weiterbetrieb der Apotheke durch einen fachfremden Insolvenzverwalter (sehr oft Rechtsanwälte) scheidet, anders als in anderen Branchen, aus apothekenrechtlichen Gründen aus, da bekanntermaßen eine Apotheke durch einen Apotheker eigenverantwortlich geleitet werden muss.

Zuflucht Restschuldbefreiung

Nach einer Wohlverhaltens­periode von sechs Jahren kann der „redliche Schuldner“ eine Restschuldbefreiung beantragen und ist dann „frei“. Das setzt die strikte Befolgung des „Schuldenbereinigungspla­ns“ voraus, der vom Insolvenzverwalter im Benehmen mit dem Gericht und nach Abhaltung entsprechender Gläubigerversammlungen erstellt wird. Freilich ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, an dem detailliert Auskunft über jedwedes Vermögen und alle Einkünfte gegeben werden muss. Schenkungen und Veräußerungen an nahestehende Personen müssen einige Jahre rückwirkend angegeben werden. Damit ist das Schlupfloch „eben noch mal das Haus überschreiben“ zumindest auf die einfache Art verbaut.

Es verbleiben in dieser Wohlverhaltensphase vom erzielten Einkommen nur sogenannte Eigenbehalte, deren Grundbeträge sich nach der Zahl der Unterhaltspflichtigen bemessen. Für einen Ledigen sind dies 990 € monatlich netto, für den Familienvater mit zwei Kindern 1.770 €. Darüber hinausgehende Einkünfte wer-den anteilig zur Schuldtilgung einbehalten, beim Ledigen 70 %, beim erwähnten Familienvater 30 %. Oberhalb von rund 3.020 € netto ist alles pfändbar. Verstöße gegen diesen Schuldenbereinigungsplan können übrigens ganz schnell zur Versagung der Restschuldbefreiung führen, er ist also strikt zu befolgen.

Diese grobe Skizze des Insolvenzverfahrens zeigt quasi den Worst Case auf. Er führt in aller Regel zum weitestge-henden Vermögensverlust, sofern nicht sehr frühzeitig (meist weit vor dem Abzeichnen einer Pleite) entsprechen­de Vorkehrungen getroffen wurden – aber eben auch zur absehbaren Schuldbefreiung.

Alternativen

Die Restschuldbefreiung mag attraktiv erscheinen. Doch denken Sie weiter! Oft werden Sie nämlich für eine selbstständige Tätigkeit dauerhaft „verbrannt“ sein. Da Ihre Kapitalgeber meist erhebliche Abstriche bis hin zum Totalverlust hinnehmen müssen, sind Sie dort künftig auch nach einer Restschuldbefreiung nicht unbedingt mehr ein gern gesehener Kunde. Und es ist für einen ehemals Selbstständigen ein hartes Brot, zumal noch im vorgerückten Lebensalter, als Angestellter seine (deutlich kleineren) Brötchen zu verdienen. Deshalb ist möglichst über elegantere Lösungen nachzudenken. Mehrere Wege bieten sich an:

  • der Verkauf der Apotheke z.B. an einen filialinteressierten Kollegen zu einem guten Preis – doch sollte Ihre finanzielle Schieflage dazu noch nicht allgemein bekannt sein,
  • die Verhandlung über eine Sanierung, die ggf. Verzichte seitens der Banken, der Lieferanten und auch Ihrerseits beinhaltet, damit die Schuldenlast wieder tragbar wird,
  • die „zweite Chance“, d.h., es wird versucht, durch Vermittlung eines besseren Standortes doch noch eine Bedienung der Schulden zu ermöglichen.

All diese Varianten setzen jedoch voraus, dass Sie sich als tatkräftiger und kompeten­ter Unternehmer darstellen. Kaum jemand wird bereit sein, gutes Geld dem schlechten hinterherzuwerfen, wenn er zu dem Eindruck gelangt, dass es schon bald wieder ganz genauso albtraumhaft ausse­hen dürfte wie zuvor. Jetzt sind Ihr Verhandlungsgeschick, Ihre Präsentations- und Ver­mittlungsfähigkeit sowie Ihre Kompromissbereitschaft gefragt, um mit den verschiedenen Parteien zu einem Ausgleich zu gelangen. Dabei werden Sie mit vielen Parteien reden müssen – und Sie sind schlicht vom oft lediglich freiwilligen Entgegenkommen vieler Personen abhängig.

Die Insolvenzordnung kann im Internet unter

http://bundesrecht.juris.de/inso/index.html

abgerufen werden

Dr. Reinhard Herzog,
Apotheker, 72076 Tübingen,
E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2008; 33(23):7-7