Prof. Dr. Reinhard Herzog
„Wer gut essen will, kauft Aktien, wer gut schlafen will, kauft Anleihen“ – so lautet eine Börsenregel, in der die eher ruhige Entwicklung am Rentenmarkt beschrieben wird. 2008 war jedoch alles anders: Auch mancher Anleihenbesitzer erlebte erhebliche Kursschwankungen in seinem Depot. Dabei begann das Jahr eher beschaulich. Die durchschnittliche Umlaufrendite ging – wie meist in den ersten Monaten eines Jahres – von 4,2% auf 3,8% zurück, bedingt insbesondere durch die hohe Liquidität als Folge der Kapitalspritzen der Notenbanken. Durchaus „normal“ war auch der nachfolgende Zinsanstieg auf bis zu 4,8%: Zum einen wurden die Liquiditätsbeihilfen nach und nach zurückgefordert, zum anderen nährten die hohen Rohstoffpreise Befürchtungen, die Zentralbanken könnten im Zuge der Inflationsbekämpfung die Leitzinsen anheben.
Die Trendwende kam zur Jahresmitte: Immer neue Hiobsbotschaften aus der Finanzwelt strapazierten die Nerven der Anleger. Mit der Insolvenz von Lehman Brothers wurde den Marktteilnehmern bewusst, dass selbst „die Großen der Branche“ in Schwierigkeiten geraten können – ohne einen „Retter“ bei Mitbewerbern oder Regierungen zu finden. Als dann noch enorme Kapitalströme durch neuerliche Stützungsmaßnahmen in den Kreislauf einflossen und schließlich die Europäische Zentralbank die Leitzinsen deutlich absenkte, gab es bei den „seriösen Titeln“ kein Halten mehr: Binnen weniger Wochen ging die durchschnittliche Umlaufrendite von 4,3% auf gerade einmal 2,8% zurück.
Besonders deutlich war der Rückgang im Bereich der Papiere mit kurzen Restlaufzeiten: Lag hier die Rendite im Sommer 2008 noch bei 4,7%, so wurde mittlerweile die Marke von 2,3% unterschritten. Im sehr langfristigen Bereich – bei 15 bis 30 Jahren Restlaufzeit – ging der Zins hingegen „nur“ von knapp 5,0% auf zeitweise rund 3,4% zurück.
Kursgewinne bei Standardwerten
Freuen konnten sich alle Anleger, die in deutschen Standardwerten investiert sind: Die Kurse legten kräftig zu – und dies umso mehr, je länger das Papier noch läuft. So kletterte der Kurs der 5,25%igen Bundesanleihe mit Laufzeit bis 2010 in den vergangenen sechs Monaten von 101% auf 105%. Die 4%ige Bundesanleihe mit Laufzeit bis 2018 verbesserte sich sogar von 102% auf über 108%. Ähnliche Entwicklungen sind bei allen Papieren erstklassiger Bonität zu beobachten, etwa den Staatsanleihen der europäischen Nachbarländer und von renommierten Großkonzernen.
Verkaufspanik bei Unternehmensanleihen
Ganz anders ist die Lage hingegen bei vielen Unternehmensanleihen sowie Papieren zweitklassiger Schuldner. Hier hat die Finanzkrise, verbunden mit den aktuellen Konjunktursorgen, dazu geführt, dass sich viele private Anleger aus diesem Segment zurückziehen und der Spread – also die Differenz zur Rendite etwa von Bundeswertpapieren – erkennbar größer wird. Erleichtert wurde und wird ihnen der Ausstieg durch die attraktiven Renditen, die derzeit am Geldmarkt etwa für Tages- und Festgelder immer noch zu erzielen sind.
Weitaus bedeutender waren jedoch die Verkäufe seitens institutioneller Anleger, also Investmentfonds, Vermögensverwalter, Versicherungsgesellschaften etc. Kein Fondsmanager will sich nachsagen lassen, eine mögliche Bonitätsschwäche eines Emittenten übersehen zu haben. Folgerichtig wurden alle Papiere zum Verkauf gestellt, bei denen die Rückzahlung nicht 100%ig sicher erschien. „Tabula rasa“ war aber auch bei vielen Banken angesagt, die dringend nach liquiden Mitteln suchten. Im Gegenzug fanden sich allerdings – gerade am doch recht engen deutschen Markt – oftmals keine Käufer, sodass die Notierungen unter Druck gerieten.
Dies spiegelte sich auch in den oft enormen Spannen zwischen Geld- und Briefkurs wider. Wer sich beispielsweise Mitte Dezember von der EADS-Anleihe mit Laufzeit bis 2010 kurzfristig trennen wollte, konnte allenfalls einen Kurs von 89 % erlösen – angebo-ten von „Schnäppchenjägern“, die sich die daraus errechnete Rendite von immerhin rund 11 % pro Jahr sichern wollten. Zum gleichen Zeitpunkt lag jedoch der Briefkurs, also der Preis für Kaufwillige, immerhin bei 98%, was einem Spread von mehr als 10% entspricht. Und damit wurde das Papier keineswegs mehr zum Schnäppchen, errechnet sich nunmehr doch eine Rendite von nur noch rund 5% – was für diese Anleihe als „normal“ anzusehen ist.
Mangelte es einem Titel jedoch gänzlich an Nachfrage oder bestanden nur die geringsten bonitätsmäßigen Bedenken, war ein Kurssturz vorprogrammiert. So erlebten es etwa Anleger, die auf die TUI-Anleihe mit Laufzeit bis zum Dezember 2012 gesetzt hatten. Sie kostete zeitweise nur noch rund 68%, was einer Rendite von mehr als 18% entsprach – vorausgesetzt, der Reiseveranstalter kann Zins- und Tilgungszahlungen planmäßig aufbringen.
Die Kernfrage lautet jetzt jedoch, wohin der Markt künftig steuern wird. Auch 2009 wird der Rentensektor weiterhin im Banne der Finanz- und Konjunkturkrise stehen: Kommt es hier zu einer Beruhigung, ist auch bei den Rentenwerten mit einer Normalisierung zu rechnen. Solange die Krise jedoch anhält oder sich weiter verschärft, steht auch Rentenanlegern manche schwierige Phase bevor. Sicher erscheint lediglich, dass der aktuelle Niedrigzins nicht allzu lange Bestand haben dürfte.
Zitterprämie für Mutige
Die Konsequenz: Neuanlagen sollten Sie vorerst noch zurückstellen. Denn schließlich ist eine Rendite von z.B. 3,5% für 20 Jahre Restlaufzeit viel zu niedrig, um allein die Zinsschwankungsrisiken angemessen kompensieren zu können. Aber auch im kurzfristigen Bereich sind Festgeldanlagen dank des hier herrschenden starken Wettbewerbs der Banken weitaus attraktiver als die knapp über 2,0%, die sich nach Spesen mit Rentenwerten von z.B. drei Jahren Restlaufzeit erzielen lassen.
Eine Ausnahme machen jedoch Unternehmensanleihen: Angesichts des engen Marktes lassen sich hier oft Schnäppchen erzielen, die zweistellige Jahresrenditen abwerfen. Dabei sollten Sie sich allerdings der Risiken bewusst sein: Gerät der Emittent tatsächlich in finanzielle Bedrängnis, kann auch ein solches Schnäppchen letztlich teuer werden. Der aktuell gebotene Mehrzins ist mithin nichts anderes als eine „Zitterprämie für Mutige“, selbst wenn manche Kurse derzeit übertrieben stark gedrückt erscheinen. Kaufen sollten Sie also nur dann, wenn Sie die Lage des Unternehmens einschätzen können und sich der Risiken bewusst sind.
Bei vorhandenen Anlagen kann in zwei Fällen Handlungsbedarf bestehen:
- Planen Sie ohnehin den Verkauf einzelner Titel in absehbarer Zeit, können Sie das aktuell hohe Kursniveau zu einem vorzeitigen Ausstieg nutzen und das Geld dann z.B. auf einem Festgeldkonto parken.
- Haben Sie in Unternehmensanleihen investiert, sollten Sie die Bonität des Emittenten unter die Lupe nehmen. Bestehen ernsthafte Bedenken, kann ein schneller Verkauf möglicherweise sinnvoller sein als ein allzu langes Abwarten.
Zurückhaltung ist momentan auch bei den meisten Fremdwährungspapieren geboten. Nach dem Debakel mit der Isländischen Krone neigen auch zahlreiche andere von Geldanlegern bevorzugte Devisen zu Unsicherheiten. Interessant könnte allenfalls der US-Dollar werden: Sollte sich die Konjunktur in den USA schneller wieder erholen als in Europa, dürfte der „Greenback“ erneutes Potenzial haben.
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2009; 34(02):14-14