Prof. Dr. Reinhard Herzog
„Zukunftssicherheit“ ist ein ähnliches Schlagwort geworden wie beispielsweise die viel zitierte „soziale Gerechtigkeit“. Viele reden davon, doch jeder versteht darunter etwas anderes. Glaubt man etlichen Auguren, ist der Gesundheitsmarkt der Wachstumsmarkt schlechthin. In Wachstumsmärkten tun sich immer viele Chancen auf. Wäre es so einfach, könnten wir das Thema an dieser Stelle schon abschließen.
Apothekenmarkt spaltet sich
Doch jeder von uns kennt heute eine ganze Reihe von Kollegen, die sich nur noch so durchschlagen und mit etwas Glück wenigstens bald durch die Rente „erlöst“ werden. Deren Zahl nimmt zu. Gleichzeitig gibt es eine ebenfalls wachsende Zahl von Apotheken, die so erfolgreich sind wie nie zuvor und Umsatzregionen erreichen, an die man vor einigen Jahren nicht einmal im Traum gedacht hätte. Der Apothekenmarkt spaltet sich zusehends. Genau dies heißt aber auch, im Gegensatz zu früher: Sie können auf einer Erfolgswelle schwimmen, umgekehrt ist jedoch auch das Risiko deutlich gestiegen, wirklich „böse danebenzugreifen“ und eben keinen „zukunftssicheren“ Standort zu erwischen. Zukunftssicherheit ist daher eine relative Größe geworden: Gute Chancen paaren sich mit steigenden Risiken, während wenig umkämpfte, konkurrenzarme Standorte zwar berechenbarer sind, aber oft auf einen begrenzten Einflussbereich festgelegt und ohne großes Entwicklungspotenzial.
Das magische Dreieck
Jeder Standort findet sich zwischen den Eckpunkten „Marktpotenzial“, „Konkurrenzsituation“ und „Abhängigkeiten“ wieder – eine Art magisches Dreieck und gleichzeitig ein Spannungsfeld.
Ein großes Marktpotenzial – bestes Beispiel sind innerstädtische Verdichtungsräume – zieht viel Konkurrenz an: „Jedes dritte Haus eine Apotheke.“ Umsatzschwerpunkte finden sich auch in Ärztehäusern und gut gehenden Centerlagen. Hier summieren sich gleichzeitig wieder die Abhängigkeiten, im einen Fall vom Verschreibungsverhalten der Ärzte und der Willkür der Politik, im anderen Fall vom Wohl und Wehe des Centers und dem Erfolg seiner Betreiber. Auf beides kann jedoch die Apotheke nur wenig Einfluss nehmen.
An guten Standorten haftet heute zudem oft eine Reihe von „Symbionten“, die erst einmal die Hand aufhalten: Makler, Vermieter, „Konzeptbetreiber“ und andere mehr. Besonders tückisch wird es, wenn über Untermietverträge und sonstige Neben- und Schubladenverträge bzw. den Zwang, irgendeiner wie auch immer gearteten Gesellschaft beizutreten, der Rahm abgeschöpft werden soll.
Leider ist dies aber heute vielfach Realität und in etlichen Fällen muss man von einer legalen Umschiffung des Fremdbesitzverbots sprechen: Warum soll ich eine Apotheke selbst betreiben, wenn ich auf andere Weise den Rahm abschöpfen kann, ohne persönlich in der Verantwortung zu stehen? Ein Aspekt, der noch viel zu wenig beachtet wird. Nun, es gibt keinen Zwang, sich auf solche Konstruktionen einzulassen. Sorgfältigste Prüfung ist in jedem Fall angeraten!
Sie sehen: Es gibt nichts umsonst, Vorteile auf der einen werden mit Nachteilen auf der anderen Seite erkauft. Um einen zukunftsfähigen Standort zu finden, kommt es darauf an, die Entwicklung der Positiv- und der Negativfaktoren in weiterer Zukunft einigermaßen zutreffend vorherzusagen.
Die eigene Persönlichkeit
Ob eine Apothekenlage gute Perspektiven hat, hängt zu wesentlichen Teilen aber auch von der Persönlichkeit des Apothekers ab. Dieser Aspekt wird immer noch zu sehr vernachlässigt, insbesondere bei Begutachtungen. Wo der eine richtig aufblüht – nämlich in einem pulsierenden Umfeld mit viel Umsatzpotenzial, aber eben mit reichlich Konkurrenz – geht der andere hoffnungslos unter. Andererseits verkümmert manch eine „Großstadtpflanze“ auf einem „Landsitz“, obgleich der Standort an sich gemeinhin als recht sicher gelten würde.
Natürlich müssen einige Randbedingungen stimmen, doch kommt es heute mindestens genauso sehr darauf an, dass die jeweilige Apotheke zur Persönlichkeit passt. Dabei ist eine unvoreingenommene Selbsteinschätzung unabdingbar. Der Blick aufs Geld und tolle Umsatzprognosen sind hier einfach zu wenig. Im Gegenteil, zu gute Aussichten trüben den Blick für das Wesentliche und wecken in erster Linie die Gier, meist ein sehr schlechter Ratgeber.
Indikatoren für Zukunftssicherheit
Einige Indikatoren haben sich nun doch aus der Erfahrung herausgebildet, die auf einen ganz guten, zukunftsfähigen Standort hindeuten.
Zuerst zu nennen ist die Ausgewogenheit. Gute Apothekenlagen zeichnen sich durch einen attraktiven Mix aus Barumsätzen (die eine lebhafte Passantenfrequenz erfordern) und Rezepten aus. Ein Verhältnis von 25 zu 75 bis etwa 40 zu 60 kann als gesund gelten. Bei den Rezepten kommt es darauf an, „Schlagseite“ zu vermeiden. Wer von einer oder zwei Arztpraxen existenziell abhängig ist, hat eine ungesunde Risikostruktur, er trägt ein erhebliches „Klumpenrisiko“. Stützen sich die Barumsätze auf einen einzigen Frequenzbringer (z.B. Lebensmittelmarkt), so ist dies ebenfalls kritisch, je nachdem, wie gut dieser für die Zukunft aufgestellt ist. Eine maßgebliche Konzernentscheidung oder der Verkauf einer Kette an eine andere (wie in der Vergangenheit ja auch geschehen) kann Ihr Geschäft ins Wanken bringen. Wehe, wenn Sie dann einen teuren Mietvertrag über viele Jahre haben!
Als Zweites kommt die räumliche Abgrenzung hinzu. Gute Lagen zeichnen sich durch eine gewisse Zentralität aus. Diese ist selbstredend gegeben in einem Dorf, wo Sie der Einzige sind. Aber auch gewisse Stadtteillagen („Dorf in der Stadt“) weisen vergleichbare Zentralitätsmerkmale auf: Solch ein Stadtteilzentrum zieht fast alle Bevölkerungskreise an. Doch es gibt eine Reihe weiterer Zentralitätsmerkmale: Das kann das exponierte Eckhaus sein oder die Lage am Ende einer Straße, in die das dahinter liegende Einwohnerpotenzial wie in einen Trichter einläuft. Schlecht unter diesem Aspekt sind alle Lagen, die keine Besonderheiten aufweisen:
- die berüchtigte „Apotheken-Perlenschnur“, sechs Kollegen aufeinandergereiht in einer Ausfallstraße;
- die Lage irgendwo verstreut im Großstadtdschungel, getragen durch die Allgemeinarztpraxis im Haus, ein paar Ärzte in der Peripherie und mehr oder weniger zufällig darum gruppierte Einwohner;
- die Kleinstadtapotheke in 1b-Lage, ohne Chance, je zum „Platzhirschen“ aufzuschließen;
- die Apotheke in einem halblebigen Center oder Fachmarktzentrum, welches nur mäßig frequentiert ist und seinerseits in Konkurrenz zu anderen Einkaufscentern im Umfeld steht (weshalb die breitenwirksame Zentralität eben schwach ausgeprägt ist).
Die überragende Bedeutung einer guten Verkehrsanbindung ist heute Allgemeinwissen. Parkplätze und eine leichte Anfahrbarkeit sowie die Anbindung an den ÖPNV sind elementar und können höchstens durch exzellente Passantenfrequenzen in Innenstädten wettgemacht werden.
Zu guter Letzt ist auch der Größenfaktor entscheidend. Von Ausnahmen abgesehen, fährt man mit der Regel „nicht zu groß, nicht zu klein“ am besten. Dass zu kleine Objekte einfach zu wenig Luft zum Atmen haben, ist allgemein bekannt. Dass zu große Objekte ebenfalls spezifische Risiken aufweisen, wird schon weniger gesehen. So ist ab einer gewissen Umsatzregion immer mit Konkurrenzgründungen in der Nähe zu rechnen. Meist steigen Mieten, Marketing- und Personalaufwand überproportional, sodass Sie zum steten Wachstum verdammt sind. Zudem ist bei sehr hohen Umsätzen oftmals die erwähnte „Schlagseite“ gegeben: Wenige Top-Praxen oder Spezialumsätze pushen die Zahlen in die Höhe. Nur rare „Filetstücke“ tragen sich durch eine stabil hohe, dennoch von einzelnen Frequenzbringern und Praxen nicht allzu abhängige Kundenfrequenz. Sie sind fast unerschwinglich und meist in festen Händen – und der Konkurrenzaspekt gilt auch hier.
Das Umfeld betrachten
Oft ergeben sich die Zukunftsperspektiven aus der Apothekenlandschaft selbst. So ist in vielen Regionen der Strukturwandel vorgezeichnet: Ältere Kollegen hören absehbar in der Umgebung auf, der demografische Wandel schlägt hier im Zuge einer gewissen Überalterung beschleunigt zu. Etliche Apotheken werden nur schwer einen neuen Käufer finden. Dies bietet Ihnen einige Ansatzpunkte für proaktives Handeln.
Umgekehrt verringern ein bereits sehr aggressiver Wettbewerb und das Vorhandensein jüngerer „Platzhirsche“ die Wachstumschancen erheblich oder verteuern sie zumindest stark, wenn Sie hier dagegenhalten wollen (bzw. überhaupt können).
Auch im Hinblick auf die Einkaufsmöglichkeiten, die Verkehrsführung und die „Lebensmittelpunkte“ sind Verschiebungen oft weit im Vorhinein absehbar. Ältere Center und Einkaufsmeilen, oft noch aus den 1960er- und 1970er-Jahren herrührend, haben ihre besten Jahre hinter sich. Sie werden teilweise modernisiert, doch oft findet schlicht eine Verlagerung statt. Alle diese Dinge gilt es im Auge zu behalten, will man einen langfristig orientierten Apothekenstandort auftun.
Die Zeitachse
Nicht nur Ältere beklagen, dass die Zeit immer schneller vergeht. Tatsächlich ist der Wandel (und damit die Unsicherheit) heute zu einem steten Begleiter geworden. So werden es Geschichten von der „Apotheke seit 1758“ künftig schwerer haben. Wer Anfang dreißig oder vierzig ist, wird Probleme haben, einen Apothekenstandort zu finden, der wirklich sicher bis zur Rente trägt. Nicht zuletzt stehen hinter der Zukunft des heutigen Apothekerberufs selbst (wie der vieler anderer Berufe auch) gewisse Fragezeichen. Es kann gut gehen, muss aber nicht – niemand vermag dies heute auf Jahrzehnte hinaus seriös zu prognostizieren. Daher sollten Sie eher in Lebensabschnitten denken (die z.B. durch die Laufzeit des jeweiligen Mietvertrags „getaktet“ werden) und dann neu entscheiden. Das geht derzeit vielen Angestellten in der Industrie nicht anders. Die beste Prophylaxe, hierbei nicht hinten herunterzufallen, ist – neben der steten Aktualität des eigenen Wissens und Könnens – eine grundsolide Finanzplanung.
Fazit
Ähnlich wie bei der Kapitalanlage gilt bei Apotheken: Größere Chancen werden mit höheren Risiken bezahlt. Umgekehrt können sich manch „langweilige“ Apothekenlagen als recht zukunftssicher erweisen, falls sie über einige Alleinstellungsmerkmale verfügen. Freilich sind in solchen „ökologischen Nischen“ meist die Gewinnmöglichkeiten begrenzt und es sind nicht unbedingt die „Traumorte“, die Touristen wie Werktätige gleichermaßen anziehen. Wie schon anfangs erwähnt: Es gibt nichts umsonst. Die persönlichen Erwartungen und die eigene Risikokultur sollten daher die bestimmende Leitschnur sein – und nicht nur der Blick auf schöne Zahlen, die allzu oft nur Prognose sind.
Dr. Reinhard Herzog,
Apotheker, 72076 Tübingen,
E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de
Checkliste online
Einen Musterbogen für eine Standort- und Persönlichkeitsbewertung finden Sie hier. |
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2009; 34(11):5-5