Nach dem EuGH-Urteil

Planungen für die Zukunft der Apotheke


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Das Urteil des EuGH ist gesprochen, die Lobeshymnen gesungen. „Zwangsöffnung“ und europaweite Durchmarschstrategien großer Konzerne sind damit vom Tisch. An der Lage im Lande hat sich jedoch nichts geändert. Und die ist durchaus beobachtenswert ...

Vergessen wir nicht: Die Apotheken befinden sich primär in der Rolle eines ohne Zweifel hochqualifizierten Zulieferers. Was geliefert wird und zu welchen Konditionen bestimmen größtenteils andere. An dieser Schraubstocksituation wird sich so bald nichts ändern. Nur drehen jetzt weiterhin dieselben Akteure daran und keine neu hinzugetretenen. Die erhaltene Selbstständigkeit bezieht sich auf die Kapital- und Eigentumsverhältnisse, sicher eminent wichtig. Doch die Märkte machen weiterhin andere Mitspieler – auch Großkonzerne wie die Pharmaindustrie.

So steht der immer noch drittgrößte Arzneimittelmarkt der Welt auf der strategischen Landkarte vieler Marktteilneh­mer ganz oben. Statt großem Knall werden jetzt leisere Töne vorherrschen und es ist eine kontinuierliche Erosions-Strategie zu befürchten: Jahr für Jahr ein bisschen am Apothekenkuchen abknabbern – bevorzugt die rentablen Segmente, die wenig Arbeit und Probleme machen. Versand, Apothekenpflicht und etliche Randgebiete werden damit spannende, umkämpfte Themen bleiben.

Mit dem fortbestehenden Fremdbesitzverbot – die nationalen Regierungen können dies aber nach wie vor in eigener Regie ändern – bleiben allerdings die unbestrittenen Herausforderungen: Der Inhaber haftet weiter voll für seinen Betrieb. Stille Gesellschafter, die Apotheke als GmbH oder Aktiengesellschaft – alles wieder in weite Ferne gerückt.

Bei aller Freude über den abgewehrten Fremdeinfluss auf der Kapitalseite bedeutet dies eine in Zukunft eher steigende Verantwortung für sich und die Mitarbeiter.

Offene Baustellen

Kehren wir zur nüchternen Realität zurück, haben die Apotheken auf der rein wirtschaftlichen Seite im Moment mehrere Baustellen:

  • die Höhe des künftigen Apothekenrabatts an die Krankenkassen;
  • die neue Großhandelsvergütung (vorerst gestoppt);
  • die leidigen Rabattverträge und Retaxationen ;
  • Erosionen im Barverkaufsbereich ;
  • neue Technik: elektroni­sche Gesundheitskarte und neue Codierungen (wie der viel diskutierte 2D- Co­de) auf den Packungen;
  • und auf der Positivseite: neue Honorierungsformen für Dienstleistungen oder Vergütungen für die Umsetzung der Rabattverträge; das meiste davon befindet sich im Experimentalstadium und ist zudem an gewisse Krankenkassen gebunden.

Der warme Wind aus Luxemburg könnte im Spätherbst auf eine steife Brise aus Nordost wechseln. Spargesetze werden angesichts der desolaten öffentlichen Haushaltslage und ei­nes Milliardendefizits des Ge­sundheitsfonds immer wahrscheinlicher. Die Gretchenfrage dabei: Werden die Maßnahmen primär umsatzwirksam (sprich: durch Verordnungsausschlüsse, eine neu belebte Budgetpolitik im Arzneimittelbereich etc.) oder aber selektiv rohertragswirksam ausfallen (z.B. durch eine Absenkung der Apothekenvergütung, erhöhte Kassenrabatte usw.). Der worst case wäre beides zusammen.

Angesichts der Vorlaufzeiten, die Gegenmaßnahmen haben, beginnen kluge Apothekenleiter bereits jetzt, sich Gedanken zu machen.

Ansatzpunkte für Sparmaßnahmen

Letztlich gibt es mehrere Ansatzpunkte für den Gesetzgeber und die Krankenkassen, die Arzneimittelausgaben – zum wiederholten Male und in schöner Regelmäßigkeit nur kurzfristig wirksam – zu dämpfen.

Die Mengenkomponente: Es werden einfach weniger Packungen verschrieben. Die Kompensation durch Barkäufe ist dabei in aller Regel nicht zu erzielen, wie der weitgehende GKV-Verordnungsausschluss der Non-Rx-Präparate ab 2004 gezeigt hat. Trotzdem ist dieses Szenario aufgrund der bestehenden Bedarfslage weniger wahr­scheinlich. Die Apotheke trifft der Verlust an Stückzahlen unmittelbar – mit statistisch im Schnitt gut 7 € Rohertragsverlust je wegfallende Rx-Packung.

Die Preiskomponente: Hier gibt es mehrere Ansatzpunkte, nicht alle sind direkt apothekenwirksam. Die Rabattver­träge treffen die Apotheken in erster Linie durch mehr Arbeit, in zweiter Linie eventuell durch etwas verminder-te Rabatte, die teilweise auch in den OTC-Sektor „durch­gereicht“ werden. Pauschale Herstellerabschläge gehen ebenfalls weitestgehend an den Apotheken vorbei. Direk­te Preissenkungen des Listenpreises treffen dagegen rohertragsmäßig in Form des 3%-Aufschlages und, heute noch bedeutsamer, bei den erzielten Rabatten sowie durch Lagerwertverluste. 90 € statt 100 € Apothekeneinkaufspreis bedeuten 30 Cent weniger gesetzlicher Aufschlag, aber durchaus auch 50 oder mehr Cent Rabattverlust.

Für die Preise Ihres Freiwahl- und OTC-Sortiments zeichnen Sie dagegen selbst verantwortlich. Je nach Lage der Apotheke (Ärztehaus oder barverkaufszentrierte Lauflage) sind die Auswirkungen schwindender OTC-Rabatte und eigener Preisak­tionen auf den Rohertrag relativ überschaubar oder aber existenziell wichtig. Bei aller Fremdbestimmung darf dieser in der eigenen Hand liegende Hebel nicht unbeachtet bleiben.

Die Zukunft der Einkaufsrabatte ist ein zentraler Punkt für das wirtschaftliche Wohlergehen. Künftig gekappte, vornehmlich Rx-Rabatte gehören in jedes Planszenario hinein.

Beim Apothekenrabatt an die Krankenkassen könnte dagegen kurzfristig noch einmal das Pendel zugunsten der Apotheken ausschlagen. 10 Cent weniger (= 8,4 Cent netto) je Packung bedeuten bei durchschnittlicher Umsatzstruktur etwa 1.300 € bis 1.400 € Mehrertrag je 1 Mio. € Apothekenumsatz.

Der empfindlichste Hebel für die Apotheken ist ohne Zweifel die feste Honorarkom­ponente (Fixzuschlag). Die Mehrheit der Apotheken bewegt sich in dem Korridor von etwa 25.000 bis 35.000 Rx- Packungen pro Jahr. Da lässt sich leicht ausrechnen, was jeder Cent herauf oder herunter ausmacht – und zwar am Rohertrag.

Die Senkung der Mehrwertsteuer auf Arzneimittel würde den Krankenkassen und dem Endkunden zugutekommen, den Staatshaushalt (der bereits 14 Mrd. € Steuerzuschüsse an den Gesundheitsfonds leistet) aber belasten – im Grunde eine reine Umverteilung. Die Wahrscheinlichkeit hierfür ist eher gering. Eine Senkung auf den ermä­ßig­ten Satz von 7% hätte für die Apotheken gleichwohl eine kuriose, nicht vernachläs­sigbare „Nebenwirkung“: Da der Kassenrabatt von 2,30 € ein Bruttobetrag ist, macht er effektiv netto „nur“ 1,93 € aus. Bei 7% Mehrwertsteuer läge der wirksame Nettobetrag dagegen bei 2,15 €, eine Differenz von 22 Cent. Bei 30.000 GKV-Rx-Packungen wäre das eine Einbuße von 6.600 €.

Rettung durch neue Honorare?

In diesem Zusammenhang müssen die inzwischen vermehrt in Aussicht gestellten Honorare wie der noch umstrittene Compliance-Bonus einiger AOKen, Patientenpauschalen, Honorare für die Diabetiker-Betreuung etc. dagegengestellt werden. Ohne Frage: Richtung und Intention stimmen! Doch wie sieht es mit den nüchternen Zahlen aus?

Der diskutierte Bonus zur Umstellung auf Rabattarzneimittel (Vorreiter: die baye­rische AOK) von beispielsweise 75 Cent je umgestellte Packung (die exakte Höhe wäre an den Umstellungsgrad gebunden) würde erst einmal um die Mehrwertsteuer geschmälert, blieben 63 Cent netto. Bei knapp 27.500 GKV-Rx-Packungen einer durchschnittlichen Apotheke entfallen etwa 35% auf die AOK, das macht zirka 9.600 Packungen. Davon kommt vielleicht die Hälfte als Rabattarzneimittel infrage, also ein Potenzial von knapp 5.000 Packungen. Multipliziert mit 63 Cent ergäbe sich daraus lediglich ein Betrag von rund 3.000 €, der allerdings nur in der Umstellungsphase anfiele. Vorschläge anderer Krankenkassen bewegen sich im Bereich einiger hundert bis gut 1.000 €, für allerdings wesentlich weniger Patienten.

„Betreuungshonorare“ beispielsweise für Diabetiker (Schleswig-Holstein!) spielen sich unter dem Strich ebenfalls in diesen Größenordnungen ab.

Wirtschaftlich rettet das niemanden. Die Honorare bewegen sich in der Summe allenfalls im unteren Prozentbereich des Rohertrags. Somit bleibt vielmehr die wichtige Signalwirkung für die Zukunft, die damit verbunden sein könnte – falls sich die Apotheken hier nicht von Anfang an zu billig verkaufen und dies nicht mehr korrigiert werden kann.

Maßnahmen

Die alte und weiterhin gültige Kernaufgabe wird sein, sich trotz der Fremdbestimmung ausreichend große Handlungsfreiräume zu erschließen. Völlig falsch wäre es, sich auf das Motto „Bisher ist es immer gut gegangen ...“ zu verlassen, auch wenn diese Weisheit gerade wieder bestätigt wurde. Eine Garantie für die fernere Zukunft ist das jedoch keinesfalls, dazu ist das Gesundheitswesen zu sehr in Bewegung und im politischen Fokus.

Überlegen Sie sich daher ganz genau, welche zusätzlichen Abhängigkeiten und Verpflichtungen Sie aus freien Stücken eingehen möchten. Dazu gehören Kooperationen und Systempartnerschaften, die jetzt nach dem EuGH-Urteil noch einmal kräftig Gas geben werden, um Sie von der Notwendigkeit gemeinsamer Konzepte zu überzeugen – gerade weil das Argument „Schutz vor der Kette“ nun weggefallen ist. Manches kann sicher auch künftig sinnvoll sein, anderes aber nicht. Es ist jedenfalls die Zeit für eine Neubestimmung gekommen. Gestern noch propagierte Geschäftsmodelle dürften zunächst auf der Reservebank landen. Und einige Flammen werden noch einmal richtig lodern – bevor sie womöglich erlöschen?

Neue Abhängigkeiten heraufbeschwören können aber auch andere Dinge – beispielsweise eine Heimbelieferung in gro­ßem Umfang mit hohen Vor­ausinvestitionen (Stichwort Verblisterung) – bei momentan noch langfristig ungesicherter und schwer kalkulierbarer Ertragsbasis.

Ähnliches gilt für Schwerpunktpraxen der Onkologie, der HIV- oder der Substitutionstherapie, Dialysestationen etc. Das hat alles seinen Reiz, aber die Apotheke kann gefährliche „Schlagseite“ bekommen.

Recht gut werden Sie weiterhin mit folgenden Grundsätzen fahren:

  • Rendite rangiert vor Masse, „preiswert“ (= seinen Preis wert) statt billig sein.
  • Mit den Augen der Kunden sehen. Was Sie für wichtig halten, muss nicht für die Kunden gelten – und umgekehrt.
  • Rationalisierung nur da, wo es die Kunden nicht se­hen, dort aber weiterhin konsequent (z.B. Warenlager-Automatisierung).
  • Nicht irgendwelchen Versprechungen, kurzfristigen Verlockungen oder dem eigenen Größenwahn hinterherlaufen.

Jetzt ist die Zeit für eine solide Planung in einem nunmehr angstfreieren Umfeld. Zunächst muss sich niemand mehr erst einmal „für den Tag X“ wappnen. Expansion muss nicht um jeden Preis erfolgen, sondern nur, wenn sie wirklich sinnvoll ist. Ob so auch wieder etwas mehr Kollegialität zu­rückkehrt?

Dr. Reinhard Herzog,
Apotheker, 72076 Tübingen,
E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

Checkliste Apothekenszenarien-Manager

Ein Rechenblatt zur Kurzfristplanung und Kalkulation verschiede­ner Szenarien finden Sie hier

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2009; 34(13):5-5