Arzneiverordnungs-Report 2009

Politik mit verfälschten Zahlen


Dr. Christine Ahlheim

So lesenswert der Arzneiverordnungs-Report in weiten Teilen ist, so ärgerlich ist aber auch, dass hier mit verfälschten Zahlen Politik gemacht wird. Der Ausgabenanstieg wird hochgejubelt, Beiträge von Leistungserbringern und Versicherten werden dagegen kaum erwähnt.

Die Ausgaben für Arzneimittel stiegen auch im vergangenen Jahr stärker als die Gesamtaus­gaben der gesetzlichen Krankenversicherung: Sie wuch-sen um 5,3% auf 29,2 Mrd. € (oh­ne Impfstoffe), während die GKV-Ausgaben um 4,7% auf 160,8 Mrd. € zunahmen. Der Anteil der Arzneimittel an den GKV-Ausgaben erhöhte sich von 18,1% im Vorjahr auf 18,2%; damit liegen die Arzneimittelausgaben auf dem zweiten Platz nach den Krankenhauskosten mit 52,6 Mrd. € und vor den Ausgaben für ärztliche Behandlung mit 24,3 Mrd. €.

Der Umsatz im GKV-Fertig­arzneimittelmarkt, der den Analysen des Arzneiverordnungs-Reports zugrunde liegt, stieg um 5,4% auf 26,7 Mrd. €. Prinzipiell unterscheidet sich der GKV-Fertigarzneimittelmarkt von den GKV-Arzneimittelausgaben dadurch, dass die gesetzlichen Abschläge, z.B. der Kassenrabatt der Apotheker, und die Selbstbeteiligung der Versicherten nicht abgezogen werden. Zudem finden Sprechstundenbedarf, Rezepturen, Verbandstoffe etc. keine Berücksichtigung. Dagegen wur­den in diesem Jahr erstmals die Ausgaben für Impfstoffe einbezogen.

Der Umsatzanstieg beruht sowohl auf einer Zunahme der Verordnun­gen um 2,4% als auch auf der Strukturkom­ponente, insbesondere dem Wechsel zu teureren Arzneimitteln oder teureren Dar­reichungsfor­men. Dabei trugen einige wenige Arznei­mittelgruppen wesentlich zum Umsatzwachstum bei: So wurden für Immuntherapeutika 17,6% bzw. 429 Mio. € mehr ausgegeben als im Vorjahr und für Tumortherapeutika 14,6% bzw. 235 Mio. €. Um 113 Mio. € vergrößerten sich die Kosten für Angioten­sin­hemmstoffe und um 125 Mio. € für Antidiabetika. Zusammen mit den ebenfalls deutlich gestiegenen Ausgaben für Antidepressiva, Anti­epi­lep­ti­ka, Antiasthmatika, Antiparkinsonmittel und Ulkustherapeutika erklären die­se Zuwächse 92% des Umsatz­anstiegs im GKV-Arzneimittelmarkt.

Kritik an Generikapreisen

Im generikafähigen Markt erhöhte sich der Anteil der Generika im Jahr 2008 nochmals deutlich auf mittlerweile 85,1% der Verordnungen. Auch der Verordnungsanteil der Generika am Gesamtmarkt wuchs weiter auf nunmehr 68,6% und hat sich damit seit 1991 fast verdoppelt. Gleichwohl beklagen die Autoren des Arzneiverordnungs-Reports, dass „die Generikapreise in Deutschland immer noch höher als in vielen europäischen Nachbarländern“ seien. So wird – wie bereits im Vorjahr – darauf hin­gewiesen, dass mit „engli­schen Generikapreisen“ Ein­sparungen von 3,4 Mrd. € mög­lich wären.

Kassenabschlag und Patientenzuzahlungen werden ignoriert

Dabei fällt gerade bei den Generika ganz erheblich ins Gewicht, dass die dem Arzneiverordnungs-Report zugrunde liegenden Daten weder den Kassenabschlag von 2,30 € je abgegebener Packung noch die Zuzahlungen der Patienten und auch nicht die Einsparungen durch die Rabattverträge berücksichtigen. Die tatsächlichen Ausgaben der Krankenkassen pro Generikapackung sind damit erheblich niedriger als die Preise, auf denen der Arzneiverordnungs-Report seine Vergleichsrechnungen aufbaut. Daher ge­hören Einsparsummen wie die genannten 3,4 Mrd. € ins Reich der GKV-Märchen.

Begründet wird diese Vorgehensweise im „Anhang“ – sozusagen im Kleingedruckten – damit, dass die „Ergebnisse in der zeitlichen Betrachtung kompatibel bleiben“. Auch wenn dies aus wissenschaftlicher Sicht korrekt sein mag: Es spräche nichts dagegen, neben die „kompatiblen Zahlen“ auch die tatsächlichen und deutlich niedrigeren Ausgaben der GKV für Arzneimittel zu stellen – außer natürlich, dass damit nicht so gut Politik gemacht werden könnte.

Darüber hinaus wird auch die Systematik der Arzneimit­tel­preisbildung in Deutschland von den Autoren des Arzneiverordnungs-Reports keineswegs angemessen gewürdigt. Durch den Fixzuschlag sowie den minimalen pro­zen­tualen Zuschlag auf den Einkaufspreis wurden die Apothekerhonorare seinerzeit absichtlich von den Arzneimittelpreisen abgekoppelt. Naturgemäß führte dies zu Preiser­höhun­gen bei den billigen und – teilweise erheblichen – Preisabsenkungen bei den teuren Medikamenten. Doch statt anzuerkennen, dass dies Innovationen bezahlbarer macht, wird im Arzneiverordnungs-Report einseitig der Preisanstieg bei den Generika beklagt – und auch noch moniert, dass „die teuren patentgeschützten Arzneimittel durch niedrige Distributionskosten subventio­niert“ würden.

Dass patentgeschützte Arz­neimittel dennoch teilweise erheblich teurer sind als in anderen Ländern, liegt an der Preispolitik der Hersteller. So kritisiert der Arzneiverordnungs-Report, dass die Grund­immunisierung gegen Gebärmutterhalskrebs in Deutschland rund 477 €, in den USA dagegen nur 247 € kostet. Angesichts solcher Unterschiede stellt sich die Frage, warum sich Krankenkassen und Politik an Rabattverträgen für Generika „abarbeiten“, anstatt – wie in anderen Ländern auch – Einfluss auf die Preisbildung der Hersteller zu nehmen. Aber es fällt nun einmal leichter, Druck auf GKV-Ver­sicherte, Apotheker und Ärzte auszuüben, als sich mit der mächtigen Pharmaindustrie anzulegen...

Einsparpotenzial weiter gestiegen

Als Einsparpotenzial nennt der Arzneiverordnungs-Report 3,4 Mrd. € und damit 551 Mio. € mehr als im Vorjahr. Am deutlichsten gestiegen ist das Einsparpotenzial bei den Analog­präparaten, und zwar um 426 Mio. € auf 1.731 Mio. €. Als Ursachen hierfür werden vor al­lem die Einführung preisgünstiger Ge­nerika sowie die Änderung der Nutzenbewertung von Arzneimitteln durch neue klinische Studien genannt.

Der Anstieg des Einsparpotenzials bei den Generika um 120 Mio. € auf 1.116 Mio. € wird im Wesentlichen darauf zurückgeführt, dass mögliche neue Einsparmöglichkeiten aufgrund von Patentabläufen umsatzstarker Originalpräparate noch nicht ausreichend in der Praxis umgesetzt wurden.

Bei den umstrittenen Arzneimitteln ist der Abbau des Einsparpotenzials quasi zum Stillstand gekommen. Daher sei es, so die Autoren des Arzneiverordnungs-Reports, überlegenswert, umstrittene Arzneimittel mit den heutigen Methoden der evidenzbasierten Medizin zu überprüfen.

Arzneiverordnung nach Arztgruppen

Ein gerade für Apotheker sehr interessantes Kapitel des Arzneiverordnungs-Reports ist die Verteilung der Verordnun­gen auf die verschiedenen Arztgruppen. Sie gibt wichtige Hinweise darauf, welche Ärzte im Umfeld der Apotheke am meisten nützen, wobei natürlich enorme Unterschiede innerhalb der einzelnen Gruppen auftreten kön­nen. Entscheidend sind hier die Verordnungen pro Arzt, die in der unten stehenden Tabelle zu finden sind.

Im Durchschnitt hat im Jahr 2008 jeder der 135.388 Vertragsärzte 4.492 Fertigarzneipackungen verordnet mit einem Umsatz von 197.000 €:

  • Spitzenreiter sind die Allge­meinmediziner und Praktischen Ärzte mit 7.463 Verordnungen je Arzt gegen­über 7.292 im Vorjahr.
  • An zweiter Stelle stehen die Kinderärzte mit 6.009 Verordnungen je Arzt nach 6.304 Verordnungen im Vorjahr.
  • Gefolgt werden sie von den Internisten, bei denen die Zahl der Verordnungen je Arzt von 5.200 im Vorjahr auf 5.520 im Jahr 2008 gestiegen ist.

Bei den Umsätzen liegen die Nervenärzte mit 374.000 € je Arzt an erster Stelle, ge­‑ folgt von den Internisten mit 311.000 € und den Allge­meinärzten mit 250.000 €. Die – verordnungsstarken – Kinderärzte generierten dage­gen nur einen Umsatz von 108.000 € je Arzt. Dies liegt unter anderem daran, dass ein erheblicher Teil der verordneten Arzneimittel nicht rezeptpflichtig und (auch deshalb) recht preiswert ist – was sich letztlich negativ auf den Ertrag der Apotheke auswirkt.

Fazit: lesenswert, aber mit kritischer Distanz

Der Arzneiverordnungs-Report bietet eine Fülle von pharmakologischen und pharmaökonomischen Informatio­nen. Gerade in Zeiten, in denen die ökonomische Komponente der Arzneimittelversorgung immer wichtiger wird, gewinnt dieses Wissen zunehmend auch im Apothekenalltag an Bedeutung. Daher lohnt sich die Lektüre durchaus auch für Apotheker, die in der öffentlichen Apotheke tätig sind. Angesichts der „Rechenkünste“ der Au­toren stellt sich jedoch die Frage, ob man den Ausführungen uneingeschränkt Glauben schenken darf – und ob sich die „Trickserei“ wirklich nur auf die für Apotheker leicht durchschaubare feh­len­de Be­rücksichtigung von Kassenabschlag und Zuzahlungen (s.o.) beschränkt.



Im Buchhandel ist der im Springer Verlag, Heidelberg, erschienene Band zum Preis von 47,95 € erhältlich.

Dr. Christine Ahlheim M.A.,
Apothekerin, 83278 Traunstein,
E-Mail: cahlheim@deutscher-apotheker-verlag.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2009; 34(19):5-5