Dr. Christine Ahlheim
? Welche Befürchtungen haben Sie angesichts der von der neuen schwarz-gelben Koalition avisierten Änderungen in unserem Krankenversicherungssystem?
Zunächst einmal muss man feststellen, dass die neue schwarz-gelbe Koalition keine Einigung zur zukünftigen langfristigen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung erzielt hat. Eine Regierungskommission soll im nächsten Jahr Klarheit schaffen und hier gibt es bereits einen heftigen Streit zwischen CDU, CSU und FDP. Kurzfristig ändert sich an der Finanzierung für die Versicherten daher gar nichts. Es gibt weiterhin soziale Beiträge von Lohn, Gehalt oder Rente.
Die kurzfristige Frage ist aber, wie die Finanzierungslücke von rund 7,5 Mrd. € für die Krankenversicherung im Jahr 2010 gefüllt wird. Die neue Regierung hat wegen der Wirtschaftskrise auch einen Schutzschirm für die Krankenversicherung geplant. Das ist gut so. Denn gerade in der Wirtschaftskrise muss die Regierung den Konsum stützen.
Es ist geplant, dass die Krankenversicherung 3,9 Mrd. € als zusätzlichen Steuerzuschuss erhalten soll. Den Restbetrag müssen aber allein die Versicherten über Zusatzbeiträge aufbringen. Die Arbeitgeber sind daran nicht mehr beteiligt. Das werte ich kritisch. Derzeit machen wir uns bei der neuen Regierung dafür stark, dass die Belastungen gerecht auf alle Schultern verteilt werden.
Die BARMER-Versicherten profitieren aber davon, dass wir vorsorglich gewirtschaftet haben. Wir – also das neue vereinigte Unternehmen BARMER GEK – werden 2010 ohne Zusatzbeiträge starten.
Sorge bereiten mir die Pläne zum Umstieg auf private Kopfprämien. Denn das hätte fatale Folgen. Wenn ich eine Rechnung aufmache und von den gesamten Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung die Beiträge von Arbeitgebern, Rentenversicherungsträgern etc. sowie Steuerzuschüsse abziehe, verbleibt ein Betrag von umgerechnet etwa 145 € im Monat, den jeder Krankenversicherte aufzubringen hätte. Und dies unabhängig von seinem Einkommen. Das würde bedeuten, dass alle Versicherten mit weniger als 1.835 € Monatsbrutto stärker belastet würden, während die höher Verdienenden entlastet würden. Meine Hauptsorge ist daher: Wer sich die Kopfpauschale nicht leisten kann, muss den Staat um Hilfe bitten. In der Folge droht eine Privatisierung des Krankheitsrisikos. Das kann nicht im Sinne der Versicherten und auch nicht im Sinne einer stabilen Volkswirtschaft sein.
? Wie sollte sich Ihrer Meinung nach die gesetzliche Krankenversicherung zukunftssicher reformieren?
Die gesetzliche Krankenversicherung sollte auch in Zukunft eine umfassende und qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung zu sozialen Beiträgen anbieten. Die Abkoppelung der Beiträge vom Einkommen ist eindeutig der falsche Weg. Für mich müssen auch die Arbeitgeber weiterhin an der Finanzierung von Gesundheit paritätisch beteiligt werden. Und zwar auch an den zukünftigen Ausgabensteigerungen. Der Standort Deutschland profitiert schließlich von gesunden Arbeitskräften und einem leistungsstarken Gesundheitswesen. Nur durch eine gerechte Lastenverteilung und bei Teilhabe aller Versicherten am medizinischen Fortschritt leistet das Gesundheitssystem auch seinen Beitrag zum sozialen Frieden.
Des Weiteren müssen vorhandene Wirtschaftlichkeitsreserven mobilisiert sowie Versorgungs- und Prozessqualität gesteigert werden, um auch zukünftig Innovation in der gesundheitlichen Versorgung sicherzustellen. Erreicht wird eine höhere Wirtschaftlichkeit durch Optimierung der Prozess- und Ergebnisqualität in der Versorgung.
? Auf welchem Gebiet können Sie sich eine intensive Zusammenarbeit zwischen den Krankenkassen und Apotheken vorstellen?
Die BARMER weiß die besondere Stellung der inhabergeführten Apotheken zu würdigen. Wir wünschen uns für die Versicherten eine hochwertige pharmazeutische Beratung bei der Auswahl und Anwendung von Medikamenten sowie Unterstützung beim gesundheitsbewussten Verhalten. Die Arzneimittelsicherheit wird dadurch gestärkt. Dies können gerade die hoch qualifizierten Apothekerinnen und Apotheker gewährleisten. Aber: Auch die Apotheken müssen sich dem zunehmenden Wettbewerb im Gesundheitswesen stellen. Wir hätten uns hier durchaus eine Liberalisierung des bestehenden Mehr- und Fremdbesitzverbots vorstellen können. Auch ein verstärkter Versandhandel mit Arzneimitteln kann den notwendigen Wettbewerb auf dem Arzneimittelmarkt befördern. Die schwarz-gelbe Koalition zeigt sich durchweg strukturkonservativ und fern einer liberalen Wettbewerbswelt.
Eine intensive Kooperation ist bei den Rabattverträgen wichtig: Denn die Apotheker garantieren eine reibungslose, patientenorientierte Umsetzung. Sie verstehen sich hier als zentrale Dienstleister. BARMER GEK hat sich entschieden, den Weg der Sortimentsverträge fortzusetzen. Das erleichtert vor allem in den Apotheken die Beratung unserer Versicherten. Wir bauen auch in Zukunft auf eine qualitätsorientierte und intensive Zusammenarbeit mit den Apothekerinnen und Apothekern.
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2009; 34(23):3-3