Prof. Dr. Reinhard Herzog
Eigentlich ist die Geldanlage in Aktien ganz einfach: Man nehme ein attraktives Unternehmen, zähle sein verfügbares Kapital und erteile seinem Kreditinstitut einen Kaufauftrag. Binnen weniger Sekunden sind die Papiere im Depot – und aus dem Anleger ist ein Aktionär geworden. Und dies mit allen Chancen, aber auch allen Risiken: Der Kurs der Aktien kann innerhalb weniger Tage um 10, 20 oder mehr Prozent steigen, er kann jedoch auch massiv unter die Räder geraten.
Das Problem dabei: Es existieren keine klaren Regeln, nach denen der Kurs einer Aktie steigt oder fällt. Es gibt Tage, an denen der Kurs eines Papiers trotz Gewinnwarnung des Unternehmens klettert, in anderen Phasen büßt ein Papier allein deshalb deutlich ein, weil sich ein größerer Investmentfonds von seinem Engagement trennen will. Auch der Gesamtmarkt reagiert alles andere als verlässlich: Als Anfang 2009 niemand mehr an eine Erholung glaubte und manche schon über eine Währungsreform diskutierten, begannen die Kurse zu steigen und in der Folgezeit machten gerade deutsche Standardwerte ihren Anlegern viel Freude. Umgekehrt kann auch jederzeit wieder eine Baisse einsetzen, ausgelöst möglicherweise durch eher nebensächliche Faktoren. Auch wenn sich der Tagestrend nicht mit absoluter Sicher- heit vorhersagen lässt, ist jedoch eines sicher: Langfristig schneiden Aktien wesentlich besser ab als alle anderen Anlageformen. Durchschnittliche Renditen von mehr als 7% sind eher die Regel denn die Ausnahme, während etwa am Anleihemarkt derzeit kaum über 4% zu erzielen sind.
Distanz vom Tagesgeschäft
Einer der größten Fehler bei der Aktienanlage ist das falsche „Timing“, also der Kauf bzw. Verkauf zu ungünstigen Zeitpunkten. Viele Anleger kaufen, wenn sie gerade Zeit und Lust dazu haben oder wenn das Konto einen ausreichenden Kapitalbestand signalisiert. Dabei vernachlässigen sie so grundlegende Fragen wie etwa nach dem allgemeinen Börsentrend oder Unternehmensdaten. Verluste sind damit oftmals vorprogrammiert. Anleger, die beispielsweise im Frühjahr 2000 aufgrund der seinerzeit überschwänglichen Berichterstattung in den Medien eingestiegen waren, verzeichneten in den Folgemonaten deutliche Verluste. Wer jedoch sein Geld zwischengeparkt und erst 2003 investiert hat, konnte satte Gewinne machen.
Der wichtigste Tipp für eine erfolgreiche Aktienanlage ist daher, die Wirtschaftslage erst einmal in aller Ruhe mit der gebotenen Distanz zu beobachten und sich nicht selbst unter Zugzwang zu setzen. Warum muss man investieren, wenn die Kurse bereits 100% gestiegen sind? Warum sollte man sofort einsteigen, wenn die Medien von einer erfolgreichen Unternehmensentwicklung berichten? Abwarten und Beobachten heißt insbesondere für Neueinsteiger die Devise. Und dies macht sich bezahlt: Schon nach einigen Monaten regelmäßigen Beobachtens entwickelt sich erfahrungsgemäß ein gutes Gespür für die Schlagzeilen, die wirklich die Kurse bewegen. Und wenn man dies über viele Jahre macht, steht einem erfolgreichen Investment nicht mehr viel im Weg.
Die zweite Frage gilt der Auswahl der Wertpapiere. Fragt man drei Experten, wird man mindestens sechs Meinungen hören – so lautet die scherzhafte Antwort auf die Frage nach der Bedeutung von Aktienanalysten. Keine dieser Meinungen ist jedoch letztlich der alleinige Weg zum Gewinn, vielmehr gilt es, die Plausibilität zu prüfen. In jedem Fall sollte sich ein Anleger vor dem Einstieg auch selbst das präferierte Unternehmen und seine Aktie genauer ansehen.
Hierfür bieten sich insbesondere zwei Analysemethoden an: Da ist zum einen die Fundamentalanalyse, bei der Fakten wie etwa die Dividende und – daraus abgeleitet – die Dividendenrendite, der Unternehmensgewinn und weitere Bilanzkennziffern ausgewertet werden. Insbesondere die Entwicklung in der Vergangenheit lässt dabei wertvolle Rückschlüsse auf die künftige Tendenz zu. Nachteil jedoch: Alle Zahlen sind mehr oder weniger „alt“, falsche Unternehmensentscheidungen oder Veränderungen der Marktsituation können sich in den künftigen Ertragsrechnungen niederschlagen.
Dem steht die Chartanalyse gegenüber, bei der die Kursgrafik nach bestimmten Kriterien ausgewertet wird. Fundamentale Faktoren bleiben indes unberücksichtigt. Eine wichtige Rolle spielen in der Chartanalyse insbesondere Kurstrends, die sich u.a. in Form des Gleitenden 200-Tage-Durchschnitts ablesen lassen. Aber auch mit dem Einzeichnen von Widerstands- und Unterstützungslinien lassen sich oft Entwicklungen erkennen und – vor allem – in die Zukunft fortschreiben. Auch hier gilt jedoch: Ein Chart kann noch so interessant aussehen, letztlich entscheidet der künftige Erfolg des Unternehmens über die Kursentwicklung.
Beide Analysemethoden haben also ihre Vorteile, aber auch manche Nachteile. Die fundamentale Analyse liefert ein klares Bild über die Entwicklung eines Unternehmens. Allerdings erfordert sie auch einiges an Aufwand und nicht zuletzt stellt sich die Frage nach der Aktualität. Die Chartanalyse ist dann ein wertvolles Hilfsmittel, wenn keine unerwarteten Ereignisse den Kurs beeinflussen. Nach einem Terroranschlag wird jeder Börsenkurs verlieren – und sei der Chart noch so attraktiv gewesen.
Letztlich läuft alles darauf hinaus, beide Methoden zu berücksichtigen. Wer sich über das Unternehmen informiert und dann noch den Chart unter die Lupe nimmt, hat einen bedeutenden Informationsvorsprung. Im Übrigen sollte sich jeder Anleger bewusst sein, dass für die Kursentwicklung von rund 70% aller Aktien allein der allgemeine Börsentrend maßgeblich ist. Wenn der DAX auf Baissekurs steuert, werden selbst fundamental solide Titel unter die Räder geraten, bei einer allgemeinen Hausse steuern auch Papiere aus der fundamental oder charttechnisch zweiten Reihe meist auf Erfolgskurs.
Hohe Risiken bei Spezialitäten
Ein weiterer großer Fehler vieler Anleger ist die nahezu schon zwanghafte Suche nach „Spezialitäten“. Es werden die Aktien kleiner und kleinster Unternehmen erworben, immer in der Hoffnung auf den großen Durchbruch, man setzt auf exotische Auslandswerte und wartet auf den dreistelligen Gewinn. In der Tat starteten zwar auch Unternehmen wie Microsoft oder Apple als Garagenbetriebe, zahlreiche Pleiten aus derselben Zeit belegen jedoch die Risiken, die mit solchen Anlagen verbunden sind. Gerade unter langfristigen Gesichtspunkten sollte der Schwerpunkt in erster Linie auf konservative Standardwerte gelegt werden, die – so die Erfahrung der vergangenen Jahre – sowohl in einer breit angelegten Hausse Gewinne verbuchen können wie auch in eher unsicheren Börsenzeiten eine solide Basis darstellen. Hier sind insbesondere die weltweiten Spitzentitel interessant.
Ein weiterer Vorteil der Konzentration auf „Bekanntes“: Jeder kann selbst anhand seines ganz persönlichen Umfelds die Chancen beurteilen, die er einem Unternehmen und damit seinen Aktien einräumt. Wer sich täglich über sein schlecht funktionierendes Handy ärgert oder mit seinem Autolieferanten über die Zuverlässigkeit der Marke diskutieren muss, sollte auch sein Aktiendepot danach ausrichten. Denn schließlich – auch das zeigt die Erfahrung – wirken sich Kundenzufriedenheit und Verbraucherverstimmung in der Summe auch auf das Unternehmen, seine Gewinne und schließlich auf den Aktienkurs aus.
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2009; 34(23):13-13