Führung

Der Absolvent fängt an


Klaus Hölzel

Ein frisch approbierter Apotheker kann zu Recht stolz sein auf seinen Abschluss, er hat sich im Studium viel Spezialwissen angeeignet. Trotzdem ist Überheblichkeit unangebracht, denn im praktischen Berufsalltag ist der Absolvent noch ziemlich unerfahren.

Manchem frisch approbierten Apotheker fehlt nach dem Studium die Bereitschaft, sich einfach von seinen ersten Eindrücken prägen zu lassen und sich anzupassen, zu groß ist der Stolz über den Abschluss. Doch dieser sollte bes­ser im Elternhaus und Freundeskreis verbleiben, denn er verstellt die Sicht auf die Realität. Im Studium haben die angehenden Apotheker gelernt, Wissen anzusammeln und Probleme theoretisch zu lösen, verwechseln dies aber allzu oft mit einer „Betriebsfertigkeitsreife“.

Zu Höherem berufen

Nachdem seine beste Approbierte gekündigt hat, stellt ein Apothekeninhaber einen jungen, ehrgeizigen, frisch appro­bierten Absolven­ten mit Bestnoten ein, der seine praktische Ausbildung teilweise in einem Pharmaunternehmen absolviert hat. In der großen Center-Apotheke soll er die rechte Hand vom Chef werden und nach und nach auch Führungsaufgaben überneh- men. Der Absolvent ist stolz und fängt in dem Bewusstsein an, dass er genau der Richtige für diesen Job ist und in jedem Fall erfolgreich sein wird. Er stürzt sich in die Arbeit, übernimmt neben der Alltagstätigkeit einige Sonderprojekte. Seine Berufswahl sieht er voll bestätigt und fühlt sich zu Höherem berufen. Dabei vergisst er, erst einmal zuzuhören und die Dinge auf sich wirken zu lassen. Mit seinem Tempo überfährt er die neuen Kollegen und gibt ihnen kaum die Chance, ihn erst einmal kennenzulernen.

Die Falle der Selbstüberschätzung

Der junge Mann merkt, dass etwas schiefzulaufen droht. Seine Kollegen zeigen, dass sie sein Auftreten nicht akzeptieren. Der Chef ist so beschäftigt mit dem Aufbau des neuen Kosmetikstudios, dass er den Unmut seiner langjährigen Mit­arbeiter übersieht. Nach und nach verschlechtert sich die Stimmung im Team, die Leistung sinkt. Einige Angestellte machen aus Ärger über den Neuen nur noch „Dienst nach Vorschrift“. In ihren Augen ist der ehrgeizige junge Mann der Liebling des Chefs, der jetzt die Entscheidungen trifft und begehrte Sonderprojekte an sich reißt. Anstatt den Fehler bei sich selbst zu suchen, legt sich der junge Berufsanfänger aus Unsicherheit einen autoritären Umgangston zu und macht die Situation nur noch schlimmer. Er ist in die Falle der Selbstüberschätzung geraten und nicht in der Lage, sich mit Fingerspitzengefühl daraus zu befreien.

Mangelnde Selbstkritik

Oft mangelt es jungen Absolventen an der Fähigkeit zur Selbstkritik. Manche neigen dazu, bereits in den ersten Arbeitstagen forsch Dinge zu hinterfragen und stoßen damit etablierte Mitarbeiter vor den Kopf. Wer am liebsten gleich den Betrieb umstrukturieren möchte, statt zunächst einmal in die Abläufe hineinzuwachsen, wird kaum auf Gegenliebe treffen. Hier mangelt es an einer realistischen Einstellung.

Der Chef sollte in solchen Fällen die Anfangsversprechun­gen an den Neuen nicht zu hoch halten und eine angemessene Einarbeitungszeit klar vorgeben. Sonst läuft er Gefahr, dass die Harmonie sei­nes eingespielten Teams verloren geht und damit die Qualität seiner Apotheke sinkt.

Fehlendes Durchhaltevermögen

Warum fällt es manch frisch Approbiertem so schwer, sich intensiv mit alltäglich wiederkehrenden Aufgaben und neuen Herausforderungen im Detail zu beschäftigen? Die Personalberatung Kienbaum hat zum Absolventeneinstieg eige­ne Erfahrungen gemacht. Dort sieht man die Ursache in der Generation der Erben, die sich als Schüler und in den Semesterferien nicht ans Fließband stellen und nie kämpfen mussten, um Ergebnisse zu erzielen. Die Wohlstandszöglin­ge brächten zu wenig Erfahrung und Substanz mit. Erfolgsstreben setzt nämlich neben Denkvermögen vor allem Einsatz voraus, wichtige Eigenschaften für das Berufsleben. Auch feh­le eine gewisse Übung im Umgang mit Rückschlägen. Durch Niederlagen lernt der Schüler und Student, sich weiterzuentwickeln, nicht alles gleich hinzuschmeißen, sondern zu versuchen, es noch einmal und besser zu machen.

Der Apothekeninhaber sollte seinen Absolventen genau beobachten und ihn gegebenenfalls auf den Boden der Tatsachen zurückholen. Ist der Neue nicht bereit, sich auch einmal zurückzunehmen und Kritik einzustecken, zeigt er damit eine persönliche Unreife. An diesem Punkt muss der Vorgesetzte genau überlegen, ob es die guten Abschlussnoten wert sind, die Harmonie im gesamten Team zu gefährden. Zudem sollte er sich fragen, ob die sozialen Kompetenzen seines Mitarbeiters überhaupt ausreichen, um später wirklich Führungsaufgaben zu übernehmen.

Klassische Anfängerfehler

Neben der Selbstüberschätzung kann der Chef noch auf andere Eigenheiten eines frisch approbierten Mitarbeiters treffen. Manche Absolven­ten übertreiben es schlichtweg mit ihrer Neigung, überall „hineinzuschnuppern“, und lassen sich deshalb oft allzu viel aufbürden. Sie wollen – ohne überheblich zu sein – alles perfekt machen und überschätzen dabei ihre Fähig­keiten. Der Chef ist zunächst froh. Den kann ich grenzenlos belasten, meint er. Sowohl der Neue als auch der Apothekeninhaber denken hier zu kurz, denn physische Überforderung oder gar ein Burnout des Mitarbeiters kann nicht Ziel einer langfristigen Zusammenarbeit sein.

Der junge Apotheker muss sich daher im Berufsanfang auf eine Gratwanderung einstellen: Zum einen sollte er sich nicht alles aufhalsen lassen und zum anderen durch Interesse und Aktivität auf sich aufmerksam machen. Sein Chef fährt gut damit, die Dinge gerade zu Beginn durch gezieltes Lob und konstruktiven Tadel zu lenken, bis sich ein für alle Beteiligten effekti­ves Arbeitsniveau eingestellt hat.

Zu große Anpassung

Ein weiterer klassischer Anfängerfehler besteht in zu gro­ßer Anpassungsbereitschaft junger Approbierter. Erfüllt von dem Gedanken „in der Praxis ist alles anders“, lehnen sich einige Berufseinsteiger bequem zurück gemäß dem Motto: „Nach dem anstrengenden Studium habe ich mir erst einmal ein stressfreies Berufsleben verdient.“ Sie passen sich dem betrieblichen Standard viel zu schnell an. Da­bei können gerade neue Mitarbeiter gut erkennen, wenn gewisse Abläufe und Praktiken in der Apotheke allzu eingefahren und sogar uneffektiv sind. Sie nutzen ihr methodisches Rüstzeug, das sie an der Universität zweifels­ohne erlangt haben, also nicht in einer angemessenen Form für den betrieblichen Alltag.

Dieses Potenzial sollte der Apothekenchef jedoch nicht einfach brachliegen lassen. Nach einer Einarbeitungszeit von bis zu einem Jahr kann der Anfänger die ersten Projekte übernehmen, die der Umstrukturierung einzelner Pro­zesse dienen, z.B. eine Kundenbefragung oder eine POS-Analyse durchführen. Das Team hatte bis dahin die Chance, den Absolven­ten als integren Kollegen kennen und schätzen zu lernen, und wird nicht eifersüchtig auf dessen neue Aufgaben schauen.

Bei der Einstellung von frisch Approbierten gilt es also, sich nicht nur von den Noten leiten zu lassen, sondern den ganzen Menschen samt seiner Herkunft sowie sozialen Stärken und Schwächen zu beurteilen. Natürlich werden einige dieser Eigenschaften erst im Berufsalltag vollständig zutage kommen, doch mit einer guten Führung kann aus einem „Grünschnabel“ bald ein wert­voller Mitarbeiter werden.

Dipl.-Volkswirt Klaus Hölzel,
Apotheken Management-
Institut GmbH, 65375 Oestrich-
Winkel, E-Mail: sekretariat@apothekenzukunft.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2010; 35(02):8-8