Claudia Mittmeyer
?Inwieweit halten Sie die (auch) auf Pauschalbeiträgen basierenden Krankenversicherungssysteme in den Niederlanden und der Schweiz für nachahmenswert?
Zunächst ist bemerkenswert, dass beide Nachbarländer jeweils ein wettbewerblich ausgerichtetes Krankenversicherungssystem für die gesamte Bevölkerung haben. Es gibt dort also – anders als in Deutschland – keinen segmentierten Krankenversicherungsmarkt mit höchst ungleich verteilten Wahlrechten und Solidarbeteiligungen für einzelne Bevölkerungsgruppen. Das bedeutet im Ergebnis: Wenn der Wettbewerb im Interesse der Versicherten und Patienten funktioniert und zu mehr Versorgungsqualität und -effizienz führt, können alle Bürger gleichermaßen davon profitieren.
In beiden Ländern ist zudem versucht worden, ein weithin geschlossenes Reformkonzept umzusetzen – in der Schweiz bereits Mitte der 90er-Jahre und in den Niederlanden mit einer umfassenden Reform, die 2006 in Kraft getreten ist. Dabei war jeweils eine zeitnahe Evaluation der Auswirkungen zentraler Reformmaßnahmen von vornherein vorgesehen, um bei Bedarf gezielte Korrekturen vornehmen zu können. Demgegenüber ist Gesundheitspolitik in Deutschland meist kurzatmiges Stückwerk, bei dem viele Maßnahmen von vornherein erkennbar nicht zusammenpassen. Was die Pauschalbeiträge in den beiden Ländern angeht: Hier zeigen die Erfahrungen, dass der steuerfinanzierte Ausgleich in der Praxis durchaus funktioniert, aber keineswegs zu Illusionen taugt. Es sind jeweils große Teile der Bevölkerung betroffen – in den Niederlanden bekommen aktuell nicht weniger als 70% aller Haushalte einen Zuschuss – und „weithin bürokratiefrei“ geht dies auch keineswegs vonstatten.
?Wie könnte eine zukünftige einfachere Gestaltung der Preisbildung bei Arzneimitteln aussehen?
Hier muss man unterschiedliche Marktsegmente unterscheiden. Im generikafähigen Marktsegment sollte an dem wettbewerblichen Instrument kassenindividueller Positivlisten auf der Basis von Rabattverträgen grundsätzlich festgehalten werden. Darüber hinaus sollte dieses erfolgreiche Instrumentarium auch auf patentgeschützte Analogpräparate ausgeweitet werden. Das sähe in der Praxis so aus, dass der Gemeinsame Bundesausschuss indikationsspezifisch Arzneimittelgruppen mit pharmakologisch- therapeutisch vergleichbaren Wirkstoffen definieren würde. Die Krankenkassen könnten dann für jede dieser Gruppen individuelle Arzneimittellisten erstellen und dazu Rabattverträge mit Arzneimittelherstellern abschließen.
Eine ganz andere Situation besteht dagegen bei echten Arzneimittel-Innovationen mit Alleinstellungsmerkmal. Hier besteht auch aus Sicht der Bundesregierung Handlungsbedarf, weil die entsprechenden Ausgaben in den vergangenen Jahren besonders stark gestiegen sind. Für die Preisfindung bei diesen Arzneimitteln ist grundsätzlich das Instrument der Kosten-Nutzen-Bewertung vorgesehen. Das ist auch sinnvoll, erfordert aber Zeit. Notwendig ist deshalb ein praktikables Preissetzungsverfahren für den Übergangszeitraum zwischen der Zulassung eines Medikaments und der Preissetzung nach erfolgter Kos‑ ten-Nutzen-Bewertung. Dabei könnte zum Beispiel eine Orientierung an einem europäischen Referenzpreissystem erfolgen.
?Seitens einiger gesetzlicher Krankenkassen wird immer wieder die Einführung des Apothekenfremdbesitzes gefordert. Wäre hier nicht die Bildung von Oligopolen und damit das Auftreten übermächtiger Verhandlungspartner zu befürchten?
Die Aufhebung des Fremd- und Mehrbesitzverbotes bei Apotheken ist keineswegs allein eine Forderung der Krankenkassen – diese Forderung wird vielmehr von praktisch allen ökonomischen Expertengremien vom Sachverständigenrat Wirtschaft bis hin zur Monopolkommission vertreten. Ein solches Verbot passt grundsätzlich nicht zu einer marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung. Durch verstärkte Wettbewerbsstrukturen in der Arzneimitteldistribution – im Groß- wie im Einzelhandel – könnten auch in Deutschland nennenswerte Wirtschaftlichkeitsreserven gehoben werden. Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, dass dies ohne Einbußen in Bezug auf die Versorgungsdichte, die Beratungsqualität und die Arzneimittelsicherheit möglich wäre. Wie in anderen Branchen auch wäre es die Aufgabe der Wettbewerbsbehörden zu verhindern, dass es durch zu starke Konzentrationsprozesse zu Wettbewerbsbeschränkungen kommt, die den positiven Wettbewerbswirkungen zugunsten der Verbraucher entgegenstehen.
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2010; 35(04):3-3