Prof. Dr. Reinhard Herzog
Die Aktienauswahl ist nicht einfach: Bilanzzahlen, Unternehmensmeldungen, Gewinnerwartungen, Perspektiven und nicht zuletzt Charts spielen eine Rolle, geht es um die Entscheidung für das nächste Investment. Jede Auswertungsmethode hat ihre spezifischen Vorteile, aber auch erhebliche Nachteile. Besonders deutlich wird dies beim Wettstreit um die „richtige“ Unternehmensbewertung. Hier stehen sich zwei Expertengruppen gegenüber:
- Der Value-Investor ist auf der Suche nach unterbewerteten Aktien. Gewinn- und Umsatzzahlen spielen zwar auch eine gewisse Rolle, viel wichtiger sind jedoch Kennzahlen wie der Buchwert oder das Kurs/Buchwert-Verhältnis. Aber auch Faktoren, die sich nicht in Zahlen fassen lassen, sind von Bedeutung, etwa die Branchenzugehörigkeit, die Einführung am Markt und die Verständlichkeit der Produktpalette.
- Der Growth-Investor blickt indes mehr in die Zukunft. Entscheidungskriterien sind z.B. die Umsatz- und Ertragsentwicklung der vergangenen Jahre und die mögliche weitere Entwicklung. Das künftige Wachstum steht dabei im Mittelpunkt, wobei entsprechende Investments sowohl in Einzelwerten (z.B. Technologieaktien) wie auch in ganzen Regionen (z.B. Indien, China) erfolgen können.
Bis in die 1990er-Jahre – so belegt ein Performance-Vergleich – war die Wertentwicklung von Value- und Growth-Investments weitgehend identisch. Der Grund: Zu dieser Zeit spielten Wachstumstitel an der Börse noch keine nennenswerte Rolle, die Kurszettel enthielten überwiegend Papiere von Unternehmen mit langer Historie. Mit dem „Neuen Markt“ kam die Wende: Technologiepapiere lenkten das Interesse auf sich und bald schon sorgte eine bisher nie gekannte Spekulationswelle für enorme Kursgewinne bei Papieren, die dem Growth- Gedanken zuzuordnen waren.
Doch die Kursgewinne waren nicht von langer Dauer und bereits nach knapp zwei Jahren lagen die Performance-Kurse beider Varianten wieder auf gleichem Niveau. Dies war die große Stunde der Value-Investoren. Nach dem Debakel insbesondere mancher Telekommunikationspapiere wollten Anleger von Wachstumschancen nichts mehr wissen. Sie setzten auf Bewährtes und sorgten damit für Kursgewinne bei Papieren, die der Value-Strategie zuzuordnen waren. Doch auch diese Übertreibungen wurden inzwischen wieder korrigiert und heute weisen Value-Titel gegenüber Growth-Papieren im langfristigen Vergleich nur noch einen kleinen Vorsprung auf.
Kleinere Unternehmen
Die Hauptfrage gilt jetzt freilich der weiteren Entwicklung. Auch nach der erlebten Krise – über deren Ende immer noch diskutiert wird – werden sich manche der „altgedienten“ Konzerne noch schwertun, zu früherer Stärke zurückzufinden. Hinzu kommen oft branchenspezifische Probleme wie die Kreditkrise im Bankensektor oder der erwartete Einbruch in der Automobilindustrie nach dem Auslaufen der Abwrackprämie. Dagegen könnten sich gut aufgestellte kleinere Unternehmen durchaus überdurchschnittlich entwickeln.
Per saldo sollten also Growth-Investments in den kommenden Monaten die Oberhand gewinnen können. Mindestens ebenso wichtig wie die Perspektiven ist dabei allerdings die Glaubwürdigkeit der Prognosen, haben Aktien in den vergangenen Jahren doch das Vertrauen mancher Anleger verloren.
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2010; 35(07):12-12