Prof. Dr. Reinhard Herzog
Auch wenn die Kurse an den meisten Weltbörsen in den vergangenen Monaten kräftig zugelegt haben und die konjunkturellen Belebungstendenzen deutlich erkennbar sind, herrscht unter Anlegern immer noch tiefe Verunsicherung. Statt sich über die guten Quartalsabschlüsse vieler Unternehmen zu freuen, wird fast schon verzweifelt nach Negativpunkten gesucht. Die Folge: Nach Bekanntgabe neuer Zahlen brechen die Notierungen oftmals ein. Doch auch globale Probleme sorgen immer wieder für Turbulenzen: Noch im ersten Quartal 2010 wurde die Schuldenkrise Griechenlands in den Medien heruntergespielt. Die Kurse stiegen, Griechenland-Titel wurden von Beratern empfohlen. Als die Zahlen dann deutlich schlechter ausfielen als erwartet, wurden nicht nur die Emissionen Griechenlands, sondern auch die anderer Länder, etwa Portugals oder Spaniens, von den Anlegern massiv „abgestraft“ – selbst wenn die Lage zumindest vorerst weit weniger dramatisch ist als am Peloponnes.
Wie labil die Situation an den internationalen Finanzmärkten ist, zeigte sich in der ersten Maiwoche 2010. Nach einem freundlichen Start brach die Wall Street plötzlich massiv ein. Der Dow Jones-Index fiel um fast 10%, einzelne Papiere sackten binnen weniger Stunden um 50% und mehr ab. Da sich jedoch – sieht man einmal von den längst bekannten Problemen um Griechenland und den Euro ab – fundamental wenig geändert hatte, fielen die Erklärungsversuche in den Medien entsprechend vage aus. Die Verkaufswelle sei durch die Fehleingabe eines Händlers zustande gekommen, der Millionen mit Milliarden verwechselt habe. Aber auch Hedgefonds oder die Regierungen wurden als Verantwortliche für das Debakel ins Feld geführt. Selbst Gerüchte um neue Bankenpleiten fanden reichlich Zuhörer.
„Algo-Trading“ als Ursache
Erst im Nachhinein stellte sich heraus, dass der Kurseinbruch – wie schon mehrfach in der Geschichte – nahezu ausschließlich auf den automatischen Börsenhandel zurückzuführen war. Denn hier beherrscht schon lange das „Algo-Trading“ das Geschäft, also der Handel nach festen Algorithmen. Kauf- und Verkaufsaufträge werden nicht von Menschen nach individuellen Überlegungen getroffen, sondern von Computern, die vollautomatisch jede kleinste Kursbewegung nutzen. Gibt die XY-Aktie ein halbes Prozent nach, wird gekauft, bei einem Anstieg um ein Prozent wird wieder verkauft usw. Integriert sind dabei zahlreiche Sicherheitsmechanismen, die ein schnelles Auflaufen von Verlusten verhindern sollen. Dies funktioniert so lange, wie die Börse „normale“ Kursschwankungen aufweist. Allerdings genügen schon kleinste Unsicherheiten, um bei allen Programmen gleichzeitig Massenverkäufe auszulösen – mit den erlebten Folgen. Und dann trennen sich auch viele „menschliche“ Anleger von ihren Papieren, was die Panik letztlich verstärkt.
Als Anleger sollten Sie in solchen Situationen einen kühlen Kopf bewahren. Solange sich an den fundamentalen Daten nichts Wesentliches geändert hat, sollten Sie bestehende Positionen beibehalten. Mutige Spekulanten nützen derartige Phasen gar zum Zukauf. Schnelles Handeln ist lediglich dann erforderlich, wenn sich das fundamentale Bild tatsächlich massiv verändert, etwa im Fall neuerlicher Bankenpleiten oder eines schweren Attentats. Doch selbst dann ist es für langfristige Anleger oft sinnvoller, nicht in Panik zu verfallen, sondern die eingeschlagene Strategie unverändert beizubehalten.
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2010; 35(13):15-15