Beschäftigung von Apothekenmitarbeitern

Freier Mitarbeiter oder Scheinselbstständiger?


Jasmin Theuringer

Kann man den Arbeitgeberpflichten entgehen, indem anstelle eines Arbeitsvertrags eine Beschäftigung als „freier Mitarbeiter“ vereinbart wird? Was in der letzten AWA -Ausgabe apothekenrechtlich beleuchtet wurde, kommt nun auf den arbeits- und sozialrechtlichen Prüfstand.

In der Apothekenpraxis werden in erster Linie Vertreter, die den Platz des Apothekenleiters während dessen urlaubsbedingten Abwesenheit einnehmen, als selbstständige Unternehmer beschäftigt. Nach Abschluss der Tätigkeit schreibt der Vertreter eine Rechnung mit Umsatzsteuerausweis, eine Meldung zur Sozialversicherung erfolgt nicht. Was aus Sicht beider verlockend klingen mag, kann vor allem für den Apothekenleiter weitreichende Folgen haben.

Nachträgliche Überprüfung möglich

Das Beschäftigungsverhältnis kann nachträglich einer Prüfung unterzogen werden. Das geschieht entweder im Rahmen einer Betriebsprüfung oder auch auf Veranlassung des Vertreters selbst. Dieser kann es sich nach Beendigung seiner Tätigkeit anders überlegen und Arbeitnehmerrechte wie Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder an Feiertagen geltend machen. Oder er beantragt Arbeitslosengeld und löst dadurch eine nachträgliche Prüfung des Beschäftigungsverhältnisses aus.

Bei der Frage, ob es sich um ein Arbeitsverhältnis oder um eine selbstständige Tätigkeit handelt, kommt es nicht darauf an, wie die Parteien das Vertragsverhältnis bezeichnet haben. Selbst wenn beide Parteien eine selbstständige Tätigkeit gewollt haben, ist ausschließlich relevant, wie sich die Beschäftigung in der Praxis tatsächlich dargestellt hat. Die Unterscheidung zwischen einem selbstständig Tätigen und einem Arbeitnehmer erfolgt im Wesentlichen anhand der nachfolgenden Kriterien.

Weisungsgebundenheit hinsichtlich Art, Ort und Zeit der Tätigkeit: Ein Selbstständiger ist bei der Ausübung seiner Tätigkeit frei von Weisungen des Auftraggebers. Er kann regelmäßig den Ort seiner Tätigkeit bestimmen und seine Zeit frei kalkulieren. Der Apothekenvertreter hingegen erfüllt während der Abwesenheit des Inhabers dessen Pflichten als Apothekenleiter, er muss während der Öffnungszeiten der Apotheke anwesend sein. Zeit und Ort der Tätigkeit sind daher festgelegt. Auch hinsichtlich der Art der Tätigkeit ist der Vertreter nicht frei, da er für die Aufrechterhaltung des Apothekenbetriebs entsprechend den gesetzlichen Vorgaben verantwortlich ist.

Eingliederung in den Betrieb des Arbeitgebers: Die Eingliederung in den Betrieb ist dadurch gekennzeichnet, dass der Mitarbeiter innerhalb der täglichen Abläufe des Betriebs eine feste Funktion hat. Er hat seinen Platz in der Hierarchie und verrichtet seine Tätigkeit mit den Mitteln, die ihm der Betrieb zur Verfügung stellt. All dies trifft auf den Apothekenvertreter zu.

Ausschließliche Verwendung fremden Arbeitsmaterials: Der Vertreter bringt nur seine eigene Arbeitskraft ein, er nutzt Waren und Geschäfts­ausstattung der Apotheke und trägt oft auch einen Kittel mit dem Logo der Apotheke.

Fehlen unternehmerischer Entscheidungsfreiheit: Der Vertreter darf die Preise nicht selbst bestimmen, er ist nicht befugt, Personalentscheidun­gen zu treffen oder für die Apotheke bindende Verträge zu schließen.

Pflicht zur persönlichen Leistungserbringung: Einem selbstständig Tätigen steht es in der Regel frei, den Auftrag mithilfe eigener Angestellten zu erfüllen. Der Apothekenver­treter hingegen ist verpflichtet, persönlich tätig zu werden.

Kein unternehmerisches Risiko: Der Vertreter ist weder am Gewinn noch am Verlust der Apotheke beteiligt. Für eine selbstständige Tätigkeit des Apothekenvertreters spricht jedoch, dass er ein eigenes unternehmerisches Risiko trägt, selbst werbend am Markt auftritt und frei ist, Aufträge anderer anzunehmen. Auch ist er regelmäßig für mehrere Auftraggeber tätig und nicht von einer Apothe­ke wirtschaftlich abhängig.

Gesamtschau aller Kriterien

Zweifellos liegen bei dem typischen Apothekenvertreter sowohl Merkmale einer selbstständigen als auch einer unselbstständigen Tätigkeit vor. Die Einordnung eines konkreten Beschäftigungsverhältnisses erfolgt auf Grundlage einer Gesamtschau aller Kriterien. Dabei haben entsprechend der gesetzlichen Wertung in §7 SGB IV die Merkmale der Weisungsgebundenheit und der Eingliederung in den Betrieb das größte Gewicht. Liegen diese vor, ist in der Regel von einer nichtselbstständigen Tätigkeit und damit von einem Arbeitsverhältnis auszugehen. Die Tat­sache, dass einem Apothekenvertreter kein Anspruch auf Urlaub und Lohnfortzahlung bei Ausfallzeiten zugestanden wird und keine Sozialabgaben gezahlt werden, ist als Abgrenzungskriterium ungeeignet. Es handelt sich hierbei nur um die Folgen einer – unrichtigen – Einordnung des Beschäftigungsverhältnisses als selbststän­dige Tätigkeit. Ein Apothekenvertreter ist daher als Arbeitnehmer zu quali­fizieren.

Nachzahlungen in der Sozialversicherung

Ergibt die Prüfung, dass es sich bei dem vermeintlich freien Mitarbeiter tatsächlich um einen Scheinselbstständigen gehandelt hat, so sieht sich der Apothekeninhaber zunächst Nachforderungen der Sozialversicherungsträger ausgesetzt. Diese können rückwirkend für vier Jahre Beiträge zur Sozialversicherung einfordern.

Der Apothekeninhaber haf- tet sowohl für die Arbeitnehmer- als auch die Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung. In §28 g SGB IV heißt es dazu, dass der Arbeitgeber seinen Anspruch gegen den Arbeitnehmer auf dessen Anteil am Gesamtsozialversicherungsbeitrag nur im Wege des Lohnabzugs geltend machen kann. Das bedeutet, dass bei einer nachträglichen Feststellung der Sozialversicherungspflicht die Arbeitnehmeranteile nicht mehr vom vermeintlich freien Mitarbeiter verlangt werden können, da dieser in der Regel längst ausgeschieden ist. Darüber hinaus begrenzt das Gesetz die Möglichkeit, rück­wirkend Arbeitnehmeranteile vom Lohn einzubehalten dadurch, dass ein unterbliebener Abzug nur bei den drei nächsten Gehalts­zahlungen nachgeholt werden darf. Im Ergebnis trägt also der Apothekeninhaber die gesamte Sozialversicherungslast.

Weiterer Nachteil der unrichtigen Einordnung eines Mit­arbeiters ist der Vorsteuer­abzug, den der Apotheken­in­haber auf Grundlage der vom Vertreter erstellten Rechnun­gen mit Umsatzsteuerausweis vorgenommen hat. Gemäß §15 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 UStG ist für den Vorsteuerabzug nicht nur notwendig, dass eine ordnungsgemäße Rechnung vorliegt, sondern auch, dass diese Rechnung von einem anderen Unternehmer stammt. Daran fehlt es, wenn die Tätigkeit nicht von einem Selbstständigen, sondern von einem Arbeitnehmer erbracht wurde. Der Vorsteuerabzug ist also rückgängig zu machen und es sind Nachzahlungen an das Finanzamt zu leisten. Die Nachzahlungen können anschließend vom Scheinselbstständigen zurückverlangt wer­den, was aber zusätzlichen Auf­wand bedeutet und mit dem Risiko der mangelnden Durchsetzbarkeit verbunden ist.

Schließlich sind auch An­sprüche des Vertreters selbst möglich. Die vereinbarte Vergütung wird sich im Fall beiderseitiger Tarifbindung am Gehaltstarifvertrag messen lassen müssen, wobei der vereinbarte Stundensatz in der Regel als Nettolohn gilt. Weiterhin sind Ansprüche auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und an Feiertagen denkbar, ebenso die Abgeltung von Urlaubs­ansprüchen.

Jasmin Theuringer, Rechts-­
anwältin, Bellinger Rechts-­
anwälte und Steuerberater,
40212 Düsseldorf,
E-Mail: theuringer@bellinger.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2010; 35(21):10-10