Prof. Dr. Reinhard Herzog
In der Tat könnten theoretisch die meisten Einzelhandelsgeschäfte ihren Umsatz auch in der halben Öffnungszeit bewältigen – die Kapazitäten wären in aller Regel vorhanden.Doch trotz im Wesentlichen stagnierender Absatzzahlen in den Apotheken (die Umsätze nehmen überwiegend durch steigende Packungswerte zu) hat sich, wie im übrigen Einzelhandel, ein Trend zu im‑ mer längeren Öffnungszeiten durchgesetzt. Zum Teil ist dies auf die flächendeckende Verbreitung von Apotheken an neuen Standorten zurückzuführen, vor allem in Einkaufscentern. Centerapotheken binden gerade in den Abendstunden Umsätze, die anderen, bereits geschlossenen Apotheken verlorengehen, auch Teile des Notdienstumsatzes.
Eine andere Frage ist, ob sich dies unter dem Strich alles rechnet. Schon haben wir die ersten 24-Stunden-Apotheken: cleverer Schachzug oder betriebswirtschaftliche Irrfahrt und Ausdruck von Verzweiflung im Konkurrenzkampf?
Das Thema Öffnungszeiten hat also stets zwei Seiten:
- die strategische Sichtweise, also das „Ob“,
- und die wirtschaftliche Sichtweise, also das „Wie“ und zu welchem Preis.
Strategische Aspekte
Die erste Frage lautet: Haben Sie Ihr Marktpotenzial weitgehend abgeschöpft? Mit anderen Worten: Lässt sich noch Umsatz holen oder wieder zurückerobern, den Sie vielleicht wegen nicht ausreichend kundenangepasster Betriebszeiten an die Konkurrenz verloren haben?
Kommen Sie zu dem Ergebnis, dass Sie eine gute Marktabdeckung haben (und sei es mangels direkter Konkurrenz), ist jede zusätzliche Öffnungsstunde letztlich unnötiger Aufwand. Falls Ihr Umsatz also dem rechnerischen Pro-Kopf-Umsatz in Ihrer Region multipliziert mit den Einwohnern Ihres Einzugsgebiets entspricht, hält sich das Zusatzpotenzial in Grenzen. Ein weiterer Indikator für eine gute Marktabschöpfung: Sie verlieren nur wenige Rezepte Ihrer Hauptverordner an die Konkurrenz. Zusätzliche Dienstzeiten können Ihre Stellung absichern, wirtschaftlich notwendig sind sie nicht. Aber aufgepasst: „Monopolisten“, die sich zu sicher fühlen, ziehen womöglich neue Konkurrenz an.
Meist ist die Lage jedoch nicht so eindeutig und es bestehen durchaus Steigerungsmöglichkeiten. Hier gilt der Blick als erstes den Gepflogenheiten der Konkurrenz: Wie werden dort die Öffnungszeiten gehandhabt? Manchmal ist die Sache klar: Sie hinken hinterher! Sind Sie trotz guter Lage der Einzige in der Umgebung, der mittags geschlossen hat, dann liegt die Vermutung nahe, dass Sie deutlich unter Ihren Möglichkeiten bleiben. Im Grunde haben Sie hier strategisch keine Wahl: Wenn Sie auf Augenhöhe mithalten wollen, ist die Mittagspause zumindest einmal für eine mehrmonatige Testphase Geschichte...
Sehr häufig befindet sich im Umfeld eine Center- oder Lauflagenapotheke mit langen Öffnungszeiten. Sie ist nicht existenziell bedrohlich, nimmt aber gerade in den Abendstunden Kunden weg. Was tun? Solche Fälle sind schlichte Rechenexempel: Was kostet jede zusätzliche Stunde und was muss sie mindestens einbringen? Dies wird weiter unten noch detailliert betrachtet.
Und dann gibt es den Fall, dass bislang die Grenzen abgesteckt und die Öffnungszeiten erträglich sind – aber Sie treten auf der Stelle und sind unzufrieden: Es „geht“ nichts mehr. Es ist ähnlich wie mit Marketing- und Preisaktionen: Lohnt es jetzt, den „First Mover“ zu spielen, sich also als Erster zu bewegen und die bislang heilige Mittagspause oder den 18-Uhr-Ladenschluss infragezustellen? Hier beginnt die Psychologie!
Die Rechnung geht auf, wenn die Konkurrenz es zulässt, dass Sie sich eine mehr oder weniger große zusätzliche Scheibe vom Umsatzkuchen abschneiden. Wenn Sie fünf unmittelbare Konkurrenten haben und jeder verliert einen unteren oder allenfalls mittleren fünfstelligen Umsatzbetrag, dann mag das unter der „Schmerzschwelle“ liegen. Sie kommen damit durch und ernten vielleicht 100.000 € oder 200.000 € Umsatz zusätzlich. Spätestens wenn es weh tut, wird jedoch bei einer größeren Zahl an Konkurrenten mindestens einer aufstehen – und dann beginnt sich womöglich eine schwer zu stoppende Spirale aus zunehmend aggressiven Wettbewerbsmaßnahmen zu drehen. Schlimmstenfalls führt dies zum Preiskrieg und zu höheren Kosten für alle – bei niedrigeren Erträgen. Dabei entpuppt sich manch „verschlafener“ Wettbewerber, einmal erwacht, als zäher, unterschätzter Gegner. Sie sollten Ihre Konkurrenten also einzuschätzen wissen. Deshalb gilt in dieser Situation wie für alle anderen Marketingmaßnahmen: Bevor Sie ein austariertes Gefüge ins Wanken bringen, versuchen Sie sich vorher darüber klar zu werden, wohin das Ganze kippen kann.
Wirtschaftliche Aspekte
Klarer auf der Hand liegen die nüchternen wirtschaftlichen Fakten. Die zentrale Basisgröße für alle Planrechnungen ist die Jahresöffnungszeit. Als Faustregel können Sie die geöffneten Wochenstunden mal 51 nehmen (eine Woche wird in der Regel durch Feiertage absorbiert), dann haben Sie die Regelöffnungszeit pro Jahr. Notdienste und Sonderöffnungszeiten (Adventssonntage usw.) kommen individuell hinzu.
Die Differenzen sind beträchtlich: Manche Landapotheke kommt mit 45 Stunden pro Woche gut aus – macht 2.295 Normalstunden im Jahr. Viele Centerapotheken („von acht bis acht“) haben 72 Wochenstunden abzuleisten – das sind 3.672 Stunden p.a. Von „acht bis zehn“, ein nicht mehr seltenes Modell mit 14-Stunden-Tagen, bedeutet gar 4.284 Stunden jährlich, plus Notdienste und möglicherweise verkaufsoffene Sonntage etc.
Als nächstes gilt es, die variablen Kosten je Stunde zu ermitteln. Es ist bei der Entscheidung für oder gegen zusätzliche Stunden nicht sinnvoll, alle Kosten kalkulatorisch umzulegen, sondern nur diejenigen, die sich tatsächlich mit neuen Öffnungszeiten verändern, nämlich:
- Personalkosten und
- variable Betriebssachkosten, das sind in erster Linie Strom, Wasser, zusätzlicher Bürobedarf, Telefongebühren etc.
Die variablen Sachkosten fallen kaum ins Gewicht. Bei einem Strombedarf von 10 kWh reden wir von etwa 2 € je Stunde. Im Zeitalter von Flatrate und elektronischer Kommunikation sind auch die sonstigen variablen Sachkosten marginal. Rechnen Sie in der Summe mit rund 5 € die Stunde, dann haben Sie all diese Kosten schon sehr großzügig umrissen. Lediglich „Apothekenpaläste“ mit etlichen hundert Quadratmetern müssen die Energiekosten vielleicht genauer betrachten.
Bleiben die Personalkosten. Wie im AWA schon öfter dargestellt, lassen sich diese einfach überschlagen. Nehmen Sie das Bruttogehalt des Mitarbeiters, auf Vollzeitbasis ausgedrückt, multiplizieren es mal 16 und teilen dies durch 1.700 Stunden – etwa die reguläre echte Arbeitszeit im Betrieb pro Jahr –, so erhalten Sie den überschlägigen Stundensatz zu Vollkosten. Apotheker schlagen mit etwa 30 € bis über 40 € zu Buche, PTA mit zirka 20 €, PKA im Schnitt mit noch etwas weniger.
Nun müssen Sie nur noch die Personalbesetzung für die zusätzlichen Stunden zusammenstellen, die jeweiligen Stundensätze addieren, 5 € Sachkostenpauschale dazuzählen und Sie haben die Zusatzkosten je Öffnungsstunde. In der Tabelle auf Seite 7 wurde dies einmal für gängige Konstellationen berechnet.
Auf den Punkt gebracht: Jede zusätzliche tägliche Öffnungsstunde, die sich das ganze Jahr hindurchzieht, benötigt selbst bei sparsamer Personalbesetzung deutlich fünfstellige Umsätze zur reinen Kostenkompensation; unter 150 € bis 200 € Umsatz in der jeweiligen Stunde ist „kein Staat zu machen“. An dieser Stelle wieder eine Faustregel: Nehmen Sie Ihre Kosten mal 4, dann haben Sie den erforderlichen Zusatzumsatz. Diese Formel basiert auf einer Spanne von 25%, heutzutage ein realistischer Wert.
Eine entscheidende Frage ist, wie viele Rezepte die zusätzlichen Stunden anziehen, hier winken nämlich im Schnitt mehr als 10 € Rohertrag je Kunde. In Randzeiten – z.B. Ausdehnung von 18.00 Uhr auf 19.00 Uhr – kann das je nach Praxiszeiten der umliegenden Ärzte rentabel oder aber sehr frustrierend sein.
Das Abschöpfen von Berufspendlern morgens hingegen erfordert fast noch nachtschlafene Öffnungszeiten ab 6.30 Uhr oder 7.00 Uhr. Hier dominieren jedoch schnelle Barverkäufe. Mit reinen Barkäufen – im Schnitt meist 8,00 € bis 10,00 € Umsatz netto – brauchen Sie größenordnungsmäßig 15 Kunden oder mehr stündlich, selbst bei „Ein-Mann-Besetzung“ und mit Berücksichtigung der höheren Spanne. Kommen überwiegend Rezeptkunden (40 € bis 60 € Umsatz), können bereits vier oder fünf Rezepte die Schwelle zur Kostendeckung darstellen. Wird eine Zweier- oder gar Dreierbesetzung vorgesehen, verschiebt sich der „Break Even“ weiter nach oben, wie die Tabelle zeigt. Wer genauer rechnen und den Personaleinsatz planen möchte, findet im AWA -Downloadbereich ein Excel-Rechenblatt (siehe Kasten unten rechts).
Viele Inhaber berücksichtigen ihren eigenen Lohn nicht, wenn sie den Betrieb länger und teilweise allein offenhalten. Sie nehmen den Zusatzertrag dann mit, sollten aber trotzdem einmal rechnen, wie hoch (oder oft niedrig) ihr Stundenlohn eigentlich ausfällt...
Öffnungszeiten testen
Grundsätzlich gilt, wie für alle Serviceleistungen und Marketingmaßnahmen: gegeben ist schnell, wieder wegnehmen ist schwierig! Trotzdem dürfen Sie sich den Weg zurück nicht durch eigene Denkblockaden verbauen. Selbst Einzelhandelsketten scheuen sich nicht, am Abend auch wieder früher zu schließen. Führen Sie deshalb neue Zeiten immer in Form einer Testphase ein. Diese sollte allerdings mindestens einige Monate währen, denn die Gewohnheiten der Menschen ändern sich nicht so schnell und etliche gute Kunden kommen nur ein- oder zweimal pro Quartal.
Sie können das durchaus als befristeten Test und neue kundenfreundliche Maßnahme aktiv auf Ihren Werbeträgern kommunizieren. Eine Rücknahme fällt dann ggf. leichter. Kundenumfragen vorweg können zudem dazu dienen, erst einmal den Bedarf der Menschen an längeren Öffnungszeiten zu verifizieren.
Dr. Reinhard Herzog
Apotheker, 72076 Tübingen,
E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de
Ein Excel-Rechenblatt zur Planung der Öffnungszeiten zum Download finden Sie hier . |
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2010; 35(21):7-7