Steuer-Spartipp

Abgeordnetenpauschale: Unzulässige Menschenrechtsverletzung?


Helmut Lehr

Die steuerfreien Aufwandsentschädigungen der Abgeordneten des Deutschen Bundestags sind vielen Steuerpflichtigen ein „Dorn im Auge“. Denn die entsprechende gesetzliche Regelung (vgl. § 3 Nr. 12 Einkommensteuergesetz) führt dazu, dass Bundestagsabgeordnete Kosten von deutlich über 40.000 € p.a. pauschal und ohne gesonderte Nachweise steuerlich geltend machen können. Hierin könnte durchaus eine Benachteiligung aller anderen Steuerbürger zu sehen sein, die nahezu jeden Euro Werbungskosten/ Betriebsausgaben dem Finanzamt belegen müssen.

Nachdem der Bundesfinanzhof bereits im Jahr 2008 die Klagen einzelner Steuerpflichtiger abgewiesen hatte, ging der Streit bis vor das Bundesverfassungsgericht. Dieses nahm eine entsprechende Verfassungsbeschwerde mit Beschluss vom 26. Juli 20101) erst gar nicht zur Entscheidung an. Damit ist die Rechtslage aus rein nationaler Sicht eigentlich klar und eindeutig: Andere Steuerpflichtige können eine entsprechende steuerfreie Aufwandspauschale (etwa in Höhe 1/3 ihrer Einnahmen) nicht beanspruchen.

Hinweis: Aufgrund der klaren Aussagen der Gerichte wurde der automatisierte Vorläufigkeitsvermerk2) bezüglich der umstrittenen Abgeordnetenpauschale aufgehoben3).

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte angerufen

Ein deutscher Finanzrichter und seine Ehefrau haben nun in eigener Sache den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte angerufen4). Mit ihrer Beschwerde machen sie einen Verstoß gegen das „Recht auf ein faires Verfahren“ (Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention – EMRK), einen Verstoß gegen den „Schutz des Eigentums“ (Artikel 1 des 1. Zusatzprotokolls zur EMRK) und einen Verstoß gegen das „Diskriminierungsverbot“ (Artikel 14 EMRK) durch Teile der vollziehenden Staatsgewalt sowie durch Teile der rechtsprechenden Staatsgewalt geltend. Sie verweisen dabei auf eine ihrer Ansicht nach „willkürliche Privilegierung“ der Abgeordneten des Deutschen Bundestags.

Kein Musterverfahren

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ist auch nach dem steuerlichen Verfahrensrecht nicht mit dem Europäischen Gerichtshof gleichzusetzen. Deshalb gilt die nun eingereichte Beschwerde nicht als sog. Musterverfahren, auf das sich andere Steuerpflichtige in eigener Sache berufen können. Es besteht daher kein Anspruch auf ein Ruhenlassen des eigenen Einspruchsverfahrens.

Dennoch besteht die Möglichkeit, die „Streitfrage“ auch für den eigenen Steuerfall zu nutzen. Entsprechend dem Vorgehen des „klagenden“ Finanzrichters könnte z.B. 1/3 der Einnahmen (ggf. des Gewinns) als pauschale Werbungskosten oder Betriebsausgaben geltend gemacht werden. Gegen die zu erwartende Ab­lehnung durch die Finanzverwaltung könnte Einspruch eingelegt und auf das Ver­fahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte hingewiesen werden.

Hinweis: Sollten in naher Zukunft vermehrt Steuerpflichtige von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, ist es durchaus wahrscheinlich, dass die Finanzverwaltung die entsprechenden Einsprüche aus verwaltungsökonomischen Gründen früher oder später ruhen lässt bzw. den Bescheiden wieder einen automatisierten Vorläufigkeitsvermerk beifügt. Einer Aussetzung der Vollziehung der Steuerbescheide wird die Finanzverwaltung angesichts der klaren nationalen Rechtsprechung aber sicher nicht zustimmen.

1) Aktenzeichen 2 BvR 2227/08 und 2 BvR 2228/08.
2)
Vgl. AWA -Ausgabe Nr. 10 vom 15. Mai 2005, Steuer-Spartipp Nr. 2, Seite 18.
3)
Vgl. Bundesfinanzministerium, Schreiben vom 29. Oktober 2010, Aktenzeichen IV A 3 - S 0338/07/ 10010.
4)
Vgl. Beschwerde Nr. 7258/11.

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2011; 36(06):17-17