Prof. Dr. Reinhard Herzog
Nicht zuletzt die jüngsten Entwicklungen dürften das Grübeln beschleunigen: Warum tue ich mir das noch an? Verdiene ich überhaupt noch angemessen, rentiert sich das im Betrieb steckende Kapital? Lebe ich von der Substanz? Wie weit trägt mich meine Gesundheit? Die Psyche funktioniert häufig wie ein Fass: Viel Kapazität, aber der berühmte Tropfen bringt alles zum Überlaufen. Irrationale Entscheidungen nach dem Muster: „Jetzt ist es genug, keinen Monat länger mehr“ sind oft die Folge. Genau so soll es aber nicht sein.
Ähnlich problematisch sind allerdings die „150%-Planer“. Viele Jahre im Voraus werden detaillierteste Pläne für den Betriebsübergang geschmiedet, steuerliche Feinheiten kunstvoll versponnen – und dann „schmeißt“ der Filius hin, ändern sich rechtliche Rahmenbedingungen, funken andere Ereignisse dazwischen. Je länger sich ein Prozess hinzieht, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass etwas Ungeplantes passiert. Das Optimum liegt meist in der Mitte zwischen Schnellschuss und übersteigerter Perfektion.
Motive und Sachlagen
Die Beweggründe für einen Ausstieg, sei es durch regulären Verkauf, sei es durch Schließung und Abwicklung, lassen sich in Kann- und Muss-Motive unterscheiden.
Nicht zwingende Gründe gibt es viele, beispielsweise zunehmende Unlust oder der Wunsch, sich anderen Dingen im Leben zu widmen. Mancher hat seine Ziele schlicht erreicht und ist materiell gesättigt. Andere wiederum packt der Ehrgeiz, die Lage vor Ort ist zementiert, sie wagen den großen Schritt, woanders noch einmal neu anzufangen. Dies sind alles Entscheidungen, die üblicherweise relativ frei getroffen werden. Hier kann man nur raten, auf die eigenen Gefühle zu hören und die eigenen Talente zu erkennen. Mit etwas Mut tun sich bisweilen sogar ganz andere Perspektiven abseits der Apotheke auf.
Schwieriger sind die Fälle, bei denen nach objektiver Sachlage gar keine vernünftige Alternative zum Ausstieg besteht. Noch problematischer ist es, wenn dies nicht erkannt oder sogar beharrlich negiert wird, bis sich irgendwann eine Zwangslage – schlimmstenfalls die Insolvenz – zusammenbraut. Baldiges Handeln ist jedoch schon allein zur Abwehr größerer Schäden notwendig, die „Vogel-Strauß-Haltung“ führt hier nicht weiter. Typische Konstellationen sind:
- Apotheken, die beständig an Umsatz verlieren. Eine gewisse Zeit lässt sich hier noch etwas abernten, doch eine seriöse Planrechnung sollte schnell zeigen, wann diese Phase zwangsläufig zu Ende gehen muss (hierzu eignet sich z.B. das Excel-Rechenblatt Apothekenszenarien 2011, das Sie zum Download unter www.awa-dav.de im Bereich „Checklisten“ finden). Auf diese Entwicklung kann man sich also frühzeitig einstellen.
- Filialen, die absehbar allenfalls die „schwarze Null“ schreiben (das sind Betriebsergebnisse bis maximal etwa 2 Umsatzprozent) und schon bei geringfügig negativen Veränderungen in den Verlust kippen.
- Neugründungen, die die Erwartungen bei Weitem nicht erfüllen. Wenn die Prognoserechnung nach zwei Jahren 300 Kunden täglich mit je 30 € Umsatz vorsieht, Sie aber nach einem Jahr immer noch mit Mühe nur 75 Kunden à 15 ⬠haben und sich kaum etwas bewegt, dann wird es ernst. Als Erstes müssen Sie Ihren Liquiditätsspielraum und Ihre âCash-Burn-Rateâ, d.h. den monatlichen, tatsächlich in Geld anfallenden Verlust ermitteln. Damit können Sie hochrechnen, wie lange es noch dauert, bis wirklich der finanzielle Kollaps droht. Handeln Sie schnell, bevor Bank und Lieferanten es tun, d.h., setzen Sie alles daran, aus dem Objekt auszusteigen â lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne (oder mit ganz dickem) Ende!
- Plötzliche persönliche KriÂsen (wie gesundheitliche Tiefschläge), die zum Handeln zwingen. Für manchen beginnt ein wahrer Ãberlebenskampf, wenn manÂgels Personals und finanÂzieller Ressourcen noch ein hoher persönlicher Einsatz des Inhabers erforderlich ist. Auch hier dominiert oft das Prinzip Hoffnung über die rationale Vernunft.
Folgende wirtschaftliche Kriterien legen einen Ausstieg nahe:
- Der Punkt ist rein betriebswirtschaftlich erreicht, wenn der Betrieb absehbar keine positive Gesamtkapitalrendite und keinen angemessenen Unternehmerlohn mehr erzielt. Stecken z.B. in einer Apotheke 300.000 ⬠Buchwert (Warenlager, Einrichtung, ggf. Restwert des immateriellen âGoodwillâ), sollte der Betrieb dafür eine angemessene Verzinsung (im momentanen Niedrigzinsumfeld mit vielleicht 5% als Untergrenze) erwirtschaften, also mindestens 15.000 â¬. Der Unternehmerlohn ist je nach ApotheÂkengröÃe mit 70.000 ⬠bis 90.000 ⬠p.a. anzusetzen. Werden somit nicht mindestens 85.000 ⬠p.a. als GeÂâ winn (nach Abschreibun- gen, aber vor FremdkapitalÂzinsen, um die Zinsen nicht doppelt zu rechnen) erreicht, lebt der Inhaber im Grunde bereits unter dem wirtschaftlich vertretbaren Limit. Nach dieser strengen Auslegung müssten allerdings wohl mindestens 30% der Apotheken schlieÃen. Rechnen Sie aber ehrlich: Wird der Gewinn durch âmitversorgteâ FamilienangeÂhörige, Pkw im BetriebsverÂmöÂgen usw. âkünstlichâ geschmälert? Erlaubt der Betrieb allem Wehklagen zum Trotz immer noch ganz beachtliche Vorsorgeleistungen oder Kapitaldienste, die natürlich netto zum täglichen Verbrauch fehlen?
- Die Schmerzgrenze sollte aber spätestens erreicht sein, wenn der Inhaberstundenlohn auf âNiedrigÂlohnniveauâ (Richtwert: netÂto 10 ⬠bis 12 â¬) abrutscht oder die Apotheke gar dauerhaft ein teures âHobbyâ wird, sprich aus dem Privatvermögen bezuschusst werden muss.
- Filialen sollten zumindest ihre Kapitalkosten verdienen, zuzüglich eines Risikopuffers und echten WertÂbeitrags. Da politisch immer ein Renditerisiko (Spannenverfall) im Bereich von rund 2%-Punkten besteht und auch Umsätze schnell einmal 10% einbrechen können (âHärtetestâ), erfordert eine gesunde Filiale nachhaltig Ergebnisse nach Zinsen und Abschreibungen von mindestens 5%.
Leider sitzen viele Menschen ihre Probleme zu lange aus und verlieren in der Folge viel Geld. Es ist jedoch immer eine Frage der besseren oder eben noch schlechteren Alternative, die so manchen in seiner jetziÂgen Situation verharren lässt.
Fähig zum geregelten âExitâ?
Doch sind Sie überhaupt fähig zum geregelten Ausstieg, ohne verbrannte Erde zu hinterlassen oder sich gar in die Privatinsolvenz retten zu müssen? Wie die Aufzählung zeigt, sind einige Punkte zu beachten, und das gilt für die Option Verkauf bzw. Verpachtung genauso wie für eine SchlieÃung:
- Der Mietvertrag kann zur Fessel werden. Klären Sie, ob Sie vorzeitig aussteigen können (gerade, wenn eine Neugründung am Scheitern ist). Oft ist der Vermieter zum Entgegenkommen bereit, denn von einer âPleiteâ seines Mieters hat auch er nichts. Klären Sie weiter den Ãbergabezustand, was muss womöglich an den Räumen gemacht werden (Kosten)?
- Müssen sonstige länger laufende Verpflichtungen wie Leasing- und Wartungsverträge erfüllt werden oder könnten Sie sich ggf. âherauskaufenâ?
- Beim Thema Personal besteht oft â abseits der rechtlichen Fallstricke â eine persönliche Verbundenheit und Verantwortung (z.B. gegenüber Auszubildenden oder âtreuen Seelenâ). Bei Ãbergabe an einen Nachfolger gehen die Arbeitsverträge auf diesen über (Sie müssen die Mitarbeiter aber vorher informieren), bei SchlieÃung ist eine rasche Kündigung möglich. Es empfiehlt sich stets die frühzeitige Einholung eines Rechtsrats im individuellen Fall.
- Behalten Sie Ihre privaten Verpflichtungen im Auge sowie die Frage, wie es danach weitergehen soll (s.u.). Schauen Sie zudem auf etwaÂige steuerliche Fallen oder drohende âAltlastenâ. Auch von dieser Seite sollten Sie âausstiegsfähigâ sein.
Als Erstes wird jeder die Verkaufsfähigkeit seiner Apotheke prüfen. In schwieriger wirtschaftlicher Lage und ohne Standortperspektiven ist es kaum sinnvoll, zu lange auf den âweiÃen Ritterâ oder einen âDummenâ zu hoffen, der einen letztlich überhöhten Preis zahlt. Allenfalls in ausgesprochen attraktiven Regionen lässt sich eine solche âHobbyapothekeâ an jemanden verkaufen, der davon keine FaÂmilie ernähren muss.
Den Retter in der Not findet man bisweilen unter den Mitarbeitern oder in deren Umfeld. Manch angestellte(r) Approbierte(r) wird, den Arbeitsplatzverlust vor Augen, vielleicht die Chance sehen, doch noch etwas aus der Apotheke zu machen, zumal wenn die Ãbernahmebedingungen günstig sind. Doch läuft manchmal eben objektiv die Zeit gegen die Apotheke.
Intelligenter ist es, mit den unmittelbaren KonkurrenÂten einen âDealâ anzustreben, d.h. SchlieÃung gegen Abstandszahlung und vielleicht Ãbernahme des einen oder anderen Mitarbeiters. Dieser Weg wird immer noch recht selten beschritten, obwohl er für alle Seiten Vorteile hat. Basis für eine wirtschaftlich vertretbare âSchlieÃungsprämieâ ist der tatsächliche zusätzliche Rohertrag, der, mit einem Sicherheitsabschlag konservativ geschätzt, den jeweiligen Konkurrenten künftig nachhaltig zufallen dürfte. Die Spanne reicht dabei je nach örtlichen Umständen von eiÂnem âAnstandsbetragâ bis maximal etwa einem Jahres-rohertrag, häufig drei bis sechs Monatsroherträge. Viele Kollegen können jedoch nicht über ihren Schatten springen und wollen lieber das Ende abwarten â oft ist das aber trügerisch oder sehr langwierig.
Letzte Lösung Abwicklung
Erst wenn sich all das als nicht umsetzbar erweist, kommt die âAbwicklungâ in Betracht. Selbst hier kann man mit Geschick noch Erlöse (für Laborgeräte, Literatur, Einrichtungsgegenstände, EDV) erzielen. Verluste beim Warenlager reduziert man durch frühzeitige Verhandlung mit dem GroÃhandel. Zudem wird es rechtzeitig heruntergefahÂren und zum Schluss erfolgt dann konzentriert der Ausverkauf von Frei- und Sichtwahl mit Sonderaktionen. Sogar Gläser, Dosen usw. lassen sich dann noch an die Kundschaft bringen und selbst bei Ebay ist bereits ein lebhafter Markt für Apothekenbedarf entstanden. Dazu sollten Sie aber eine offensive Strategie fahren und Kunden wie Ãrzte mit einigen Wochen Vorlauf über den SchlieÃungstermin informieren. Je nach lokaler Situation kann es gelingen, RestÂbestände loszuwerden oder die Praxen noch einmal angesichts der SchlieÃung letztÂmalig zu bevorraten.
Wie geht es weiter?
Nur wirkliche finanzielle Unabhängigkeit ermöglicht freie Entscheidungen. Andernfalls stellt sich immer die Frage, wie es nach einer Betriebsaufgabe weitergeht. Renten- und Versorgungsansprüche sowie eventuelle Betätigungsmöglichkeiten an anderer Stelle sollten frühzeitig geklärt werden. Bei der Aufgabe von Filialen ist der Umgang mit dem Personal und den Schulden eine groÃe Herausforderung.
Nicht wenige Inhaber merken nach ihrem Ausstieg schmerzhaft, dass der Betrieb doch noch einiges abgeworfen hat, viele kleinere Vorteile des Selbstständigen eingeschlossen. Ãfters wurden Familienangehörige mitversorgt, diverse Beiträge und Vorsorgekosten waren quasi nebenbei gedeckt, der Kapitaldienst für Restschulden wurde geleistet. Nur wer sich all diesen Fakten frühzeitig und offen stellt, kann eine kluge Entscheidung fällen â vielleicht sogar doch noch zum Verbleib mit einem Sanierungskonzept.
Dr. Reinhard Herzog, Apotheker,
72076 Tübingen,
E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2011; 36(07):5-5