Helmut Lehr
Seit 2009 können laufende Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen dem Grunde nach nicht mehr steuerlich geltend gemacht werden. Im System der Abgeltungssteuer wird lediglich noch ein Sparerpauschbetrag von 801 € bzw. 1.602 € (bei zusammenveranlagten Ehegatten) berücksichtigt.
Hinweis: Eine Ausnahme vom Werbungskostenabzugsverbot gilt aber beispielsweise für sog. Transaktionskosten, die unmittelbar im Zusammenhang mit einem Veräußerungsgeschäft stehen1).
Bedeutung für aktuelle Steuererklärungen
Das Werbungskostenabzugsverbot trifft vor allem solche Steuerzahler besonders hart, die in der Vergangenheit Kapitalanlagen „auf Pump“ erworben haben und seit dem Veranlagungszeitraum 2009 ihre Schuldzinsen nicht mehr steuerlich absetzen können. Unabhängig davon könnte das Verbot aber generell gegen das im Steuerrecht zu beachtende „objektive Nettoprinzip“ verstoßen, wonach sogenannte Erwerbsaufwendungen von den (steuerpflichtigen) Einnahmen eigentlich stets abziehbar sein müssen.
Hinweis: Dass der Sparerpauschbetrag (801 €) in vielen Fällen keinen adäquaten Ersatz für die tatsächlichen Werbungskosten darstellt, wird schon daran deutlich, dass der Betrag z.B. bereits durch den Besuch nur einer Aktionärsversammlung pro Jahr aufgrund der Berücksichtigung von Fahrtkosten, Hotelkosten und Verpflegungsmehraufwendungen überschritten werden könnte. Insofern sind anhängige Musterverfahren von besonderer praktischer Bedeutung, da sich andere Steuerzahler darauf berufen könnten.
Bisheriges Klage- verfahren erledigt
Gegen das Werbungskostenabzugsverbot war ein Klageverfahren vor dem Finanzgericht Münster anhängig2) , das allerdings zwischenzeitlich aus anderen Gründen für erledigt erklärt wurde. Einer im gleichen Steuerfall anschließend erhobenen Sprungklage3) stimmte das Finanzamt nicht zu, sodass die Klage verfahrensrechtlich zunächst als (herkömmlicher) Einspruch behandelt werden musste. Andere Steuerpflichtige hatten daher keine Möglichkeit, auf dieses Verfahren zu verweisen.
Neues Verfahren vor dem Finanzgericht Baden-Württemberg
Beim Finanzgericht Baden-Württemberg ist nun erneut eine Sprungklage zur Pauschalierung des Werbungskostenabzugs bei den Einkünften aus Kapitalvermögen im Kalenderjahr 2009 anhängig4). Die Klagebegründung enthält zwar auch Argumentationsansätze zum objektiven Nettoprinzip (Abzug von Erwerbsaufwendungen), allerdings wird die Klage im Ergebnis darauf gestützt, dass die Klägerin aufgrund ihres Gesundheitszustandes auf fremde Vermögensverwaltung angewiesen sei und ihr somit „zwangsläufige Werbungskosten“ entstehen würden.
Hinweis: Die Finanzverwaltung hält dieses Klageverfahren für nicht geeignet, um solche Einspruchsverfahren ruhen zu lassen, mit denen in erster Linie eine Verletzung des objektiven Nettoprinzips geltend gemacht wird5). In einschlägigen Fällen wird sie deshalb Anträge auf ein Ruhen des Einspruchsverfahrens ablehnen. Steuerpflichtige sind dann wiederum gezwungen, in eigener Sache Klage zu erheben und tragen das entsprechende Kostenrisiko.
Bund der Steuerzahler unterstützt weitere Klage
Mehr Aussicht auf Erfolg verspricht ein ganz aktuelles „Musterverfahren“, das auch vom Bund der Steuerzahler unterstützt wird. Das Verfahren ist wiederum beim Finanzgericht Münster anhängig6) und richtet sich konkret gegen die Einschränkung des Werbungskostenabzugs bei der Abgeltungssteuer.
Betroffene Steuerzahler können sich nunmehr auf diesen Fall berufen, indem sie die ihnen entstandenen Werbungskosten zu den Einkünften aus Kapitalvermögen in ihrer Steuererklärung geltend machen, ablehnende Bescheide mittels Einspruch anfechten und unter Hinweis auf das neue Klageverfahren ein Ruhen des eigenen Einspruchsverfahrens beantragen.
Hinweis: Ob die Finanzverwaltung Einsprüche mit Hinweis auf das aktuelle Verfahren ruhen lässt, ist derzeit noch ungewiss. Ein Rechtsanspruch auf Zwangsruhe besteht nämlich erst dann, wenn das Verfahren bei einem obersten Gericht (in der Regel Bundesfinanzhof) anhängig ist.
Ruhen der Verfahren in naher Zukunft wahrscheinlich
Sobald eine Vielzahl von Steuerpflichtigen von der Einspruchsmöglichkeit Gebrauch macht, ist davon auszugehen, dass die Finanzverwaltung die Verfahren allein aus verwaltungsökonomischen Gründen ruhen lässt. So zeigt bereits die Stellungnahme der Oberfinanzdirektion Rheinland (siehe oben), dass die Finanzverwaltung dem Grunde nach bereit ist, die Verfahren ruhen zu lassen, sobald sich Steuerpflichtige auf einen geeigneten Musterfall berufen und eine Verletzung des objektiven Nettoprinzips geltend machen.
Hinweis: Bis auf Weiteres sollten Kapitalanleger daher hartnäckig bleiben und den Abzug erhöhter Werbungskosten auch im eigenen Einspruchsverfahren beanspruchen. Hier kann es durchaus sinnvoll sein, etwas auf Zeit zu spielen, da praktisch ständig damit zu rechnen ist, dass die Finanzverwaltung flächendeckend einer Verfahrensruhe zustimmt. In diesem Fall erspart sich der einzelne Steuerpflichtige insbesondere das Kostenrisiko einer Klage in eigener Sache. Schließlich dürfte bei dieser Problematik derzeit völlig ungewiss sein, wie der Bundesfinanzhof darüber abschließend entscheidet.
1) Vgl. AWA -Ausgabe Nr. 18 vom 15. September 2009, Steuer-Spartipp Nr. 2, Seite 18.
2) Aktenzeichen 6 K 1847/10 E.
3) Aktenzeichen 6 K 3260/10 F.
4) Aktenzeichen 9 K 1637/10.
5) Vgl. Oberfinanzdirektion Rheinland, Kurzinformation Einkommensteuer 8/2011 vom 24. Februar 2011.
6) Aktenzeichen 6 K 607/11 F.
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2011; 36(08):18-18