Helmut Lehr
Der Bundesfinanzhof hat in seiner jüngeren Rechtsprechung1) grundsätzlich entschieden, dass Aufwendungen wegen eines behinderungsbedingten Umbaus der Wohnung außergewöhnliche Belastungen sein können2). Insbesondere stehe ein durch die Baumaßnahmen eventuell erlangter konkreter Gegenwert der steuerlichen Berücksichtigung nicht zwangsläufig entgegen.
Die Durchsetzung dieser Rechtsprechung ist für betroffene Steuerpflichtige allerdings noch längst nicht problemlos möglich. Nicht zuletzt wegen der regelmäßig hohen Umbaukosten verweigern zahlreiche Finanzämter die steuerliche Anerkennung, teils mit unterschiedlichen Begründungen.
Beispiel: Eine Ehepaar mit drei Kindern erwarb ein bebautes Grundstück für 30.000 €. Das Gebäude stammte aus der Zeit um das Jahr 1900. Die notwendige Renovierung kostete ca. 194.000 €. Da eines der Kinder zu 100% behindert ist, erforderte der Umbau des von ihm genutzten Wohnraums einen erhöhten Aufwand zur Schaffung eines barrierefreien Umfelds, insbesondere im Badezimmer. Aus diesem Grund machten die Eheleute anteilige Umbaukosten in Höhe von rund 35.000 € als außergewöhnliche Belastung geltend.
Ablehnung durch Finanzamt und Finanzgericht
Obwohl dem Finanzgericht Düsseldorf die Grundsatzentscheidung des Bundesfinanzhofs vom 22. Oktober 2009 (siehe oben) bereits bekannt war, lehnte es – wie bereits zuvor das Finanzamt – die steuerliche Berücksichtigung der anteiligen Umbaukosten ab3). Der Bundesfinanzhof habe nämlich zunächst nur den Fall entschieden, in dem ein vom Steuerpflichtigen bereits vor Eintritt der Behinderung genutztes Haus umgebaut werden musste. Anders sei der Fall zu beurteilen, wenn wie im obigen Beispiel ein neu erworbenes Haus umgebaut werden müsse und das Haus nach dem Umbau einem Neubau gleichkomme.
Bundesfinanzhof erkennt Kosten an
Mit Urteil vom 24. Februar 20114) hat der Bundesfinanzhof das Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf aufgehoben. Die behinderungsbedingten „Mehr-Umbaukosten“ sind danach grundsätzlich als außergewöhnliche Belastung begünstigt.
Es ist nach Ansicht des Bundesfinanzhofs insbesondere nicht erforderlich, dass die Behinderung auf einem nicht vorhersehbaren Ereignis beruht (z.B. Schlaganfall) und deshalb der Steuerpflichtige bzw. seine Angehörigen zu schnellem Handeln gezwungen sind. Es stelle sich auch nicht die Frage nach anderen (zumutbaren) Handlungsalternativen.
Hinweis: Damit spielt es für die Praxis keine Rolle, ob die Mehrkosten im Rahmen eines Neubaus, der Modernisierung eines Altbaus oder des Umbaus eines bereits selbst genutzten Eigenheims oder einer Mietwohnung entstehen.
Gegenwert unerheblich
Ein von der Finanzverwaltung oft ins Feld geführter Gegenwert5) ist nach Ansicht des Bundesfinanzhofs insoweit unbeachtlich. Behinderungsbedingte Umbaukosten begründen nämlich keinen über den individuellen Nutzungsvorteil hinausgehenden Gegenwert, sondern sind eine zwangsläufige Mehrbelastung des Steuerpflichtigen.
Hinweis: In ähnlichen Fällen haben die Finanzämter bislang häufig argumentiert, dass beispielsweise der Einbau einer begeh- oder befahrbaren Dusche sowie breiterer Badeingangstüren auch den nichtbehinderten Familienangehörigen zugutekomme und damit eine endgültige Belastung wegen des erlangten Gegenwerts fehle. Diese Argumentation läuft nun in vergleichbaren Fällen ins Leere.
Änderung der Rechtsprechung
In seiner früheren Rechtsprechung6) hatte der Bundesfinanzhof entschieden, dass für die Beurteilung eines erlangten Gegenwerts das Haus als Ganzes zu beurteilen sei und nicht etwa die einzelne (behinderungsbedingte) Baumaßnahme. Von dieser Entscheidung ist er nun auch ganz offiziell abgerückt.
Die Ermittlung der behinderungsbedingten Mehrkosten sehen die obersten Steuerrichter in der Praxis nicht als sonderlich problematisch an, obwohl sämtliche Aufwendungen für die Herstellung des Baus zumeist in einem einheitlichen Zusammenhang stehen. Nach Ansicht des Gerichts lässt sich grundsätzlich jedes einzelne Gewerk darauf hin überprüfen, ob es der Linderung einer Krankheit dient bzw. den behinderungsbedingten Lebenserschwernissen des Steuerpflichtigen bzw. eines Angehörigen Rechnung trägt und hierfür notwendig ist.
Hinweis: Eine solche Überprüfung ist beispielsweise im Rahmen der Bezuschussung von (baulichen) Maßnahmen zur Verbesserung des Wohnumfelds Pflegebedürftiger nach §40 Absatz 4 SGB XI durch den medizinischen Dienst der Krankenversicherung ständige Übung. Eine Bezuschussung spricht daher auch aus steuerrechtlicher Sicht dafür, dass die Kosten insoweit zwangsläufig erwachsen sind und als außergewöhnliche Belastung geltend gemacht werden können.
Finanzgericht muss ggf. Gutachten einholen
Sofern der Streit mit dem Finanzamt vor dem Finanzgericht endet, muss das Gericht nach Ansicht des Bundesfinanzhofs ggf. ein Sachverständigengutachten einholen um zu klären, welche bauliche Maßnahmen durch die Behinderung des Steuerpflichtigen oder eines seiner Angehörigen veranlasst sind.
1) Vgl. Urteil vom 22. Oktober 2009, Aktenzeichen VI 7/09.
2) Vgl. AWA -Ausgabe Nr. 5 vom 1. März 2010, Steuer-Spartipp Nr. 1, Seite 17.
3) Vgl. Finanzgericht Düsseldorf, Urteil vom 3. Februar 2010, Aktenzeichen 7 K 814/09 E.
4) Aktenzeichen VI R 16/10.
5) Vgl. AWA -Ausgabe Nr. 8 vom 15. April 2011, Steuer-Spartipp Nr. 1, Seite 17.
6) Vgl. Urteil vom 10. Oktober 1996, Aktenzeichen III R 209/94.
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2011; 36(10):18-18