Silber

Heiße Spekulationen mit weißem Metall


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Das böse Erwachen kam Anfang Mai 2011: Der Silberpreis, der sich in den vorangegangenen 30 Monaten verfünffacht hatte, brach binnen weniger Tage um fast 30% ein. Doch von einer Trendwende am Silbermarkt wollen viele Experten nichts wissen.

Bis zur Jahrtausendwende war mit Edelmetallen wenig Geld zu verdienen: Der Goldpreis, zuletzt in den 1970er-Jahren hochspeku­liert vom damals noch amtlich festgelegten Preis von 35US-$ je Feinunze auf zeitweise mehr als 800US-$, ging unter Schwankungen auf unter 250US-$ zurück. Auch mit Silber, Platin und anderen Metallen konnten Anleger allenfalls kurzzeitige Gewinne verbuchen. Geändert hat sich die Lage im Jahr 2002: Unsicherheiten rund um die Euro-Einführung, aber auch die enorme Verschuldung der USA und nicht zuletzt spekulative Tendenzen ließen die Metallpreise kontinuierlich klettern. Mit Rekordwerten von über 1.600US-$ erreichte der Goldpreis inzwischen abso­lute Höchststände.

Gefragt war aber auch Silber, das lange Zeit im Schatten des „großen Bruders“ Gold stand. Hier fielen die Preissteigerungen sogar noch beträchtlicher aus. Kostete die Feinunze im Herbst 2008 ge­rade einmal 8,50US-$, so wurde im April 2011 die 50-US-$-Marke – zumindest kurzzeitig – überschritten. Entsprechend ausgeweitet wurde das Angebot für Geld­anleger. Ob Münzen, Barrensilber oder auch Sammlungsgegenstände wie alte Bestecke – passende Investments werden in großer Vielfalt angeboten. Die Steinbeis-Hochschule Berlin hat ermittelt, das sich bereits rund 52.000 Tonnen Silber im Besitz der Bundesbürger befinden – Tendenz: deutlich steigend.

Gold optisch teuer

Als wichtigster Grund für den starken Anstieg wird der hohe Goldpreis genannt: Mit rund 1.600US-$ bzw. fast 1.120€ je Feinunze hat das edle Metall ein Preisniveau erreicht, das es für private Kleinanleger uninteressant gemacht hat. Viele weichen daher auf das optisch wesentlich billigere Silber aus, was dem Metall den Beinamen „Edelmetall des kleinen Mannes“ einbrachte.

Aber auch die Silberminen haben mit reduzierten Förderungen in den vergangenen Monaten dazu beigetragen, dass der Silberpreis überdurchschnittlich zulegen konnte. Nicht zuletzt ist die boomende Konjunktur zu nennen, die für entsprechende Nachfrage nach dem Industriemetall Silber sorgte. Hinzu kamen die Spekulanten, die beim markt­engen Silber ein willkommenes Betätigungsfeld fanden und alles verfügbare Silber aufkauften.

Spekulation auf Termin

Eines der wichtigsten Instrumente dabei: der „Silber-Future“ – ein Terminkontrakt, der unter anderem an der größten Rohstoffbörse der Welt, der Chicago Mercantile Exchange (CME), sowie an der New Yorker COMEX in großen Volumina gehandelt wird. Er ermöglicht dem Spekulanten einen preiswerten Einstieg: Wer z.B. mit einem Silbervolumen von 100.000US-$ spekulieren will, muss dafür üblicherweise lediglich eine Sicherheitsleistung von 5.000US-$ zur Verfügung stellen, dennoch ist er in vollem Umfang an den Preisschwankungen des 100.000-US-$-Kontrakts beteiligt.

Und gerade dieser Future war es, der Anfang Mai 2011 den Crash auslöste. Angesichts der überbordenden Silber-Spekulation hob die Börse die Sicherheitsleistung ab Ende April 2011 in fünf Schritten auf immerhin 11% an, das heißt, ein Silber-Engagement über 100.000US-$ kostete schließlich 11.000US-$ Sicherheit. Konnte ein Spekulant diese Sicherheit nicht erbringen, musste er sein Engagement verkaufen. Dies führte zu einer ersten Verkaufswelle und zu einem massiven Preiseinbruch, gleichzeitig begann eine Ketten­reaktion: Der fallende Silberpreis brachte immer mehr Spekulanten in Not, deren Sicherheitsleistung aufgebraucht war. Das Ergebnis: Der Silberpreis verlor binnen einer Woche fast 30% an Wert.

Diese Entwicklung erinnert fatal an das Jahr 1980, als Silber schon einmal rund 50US-$ kostete: Damals waren es die Brüder Nelson Bunker und Herbert William Hunt, die versuchten, den Silbermarkt zu „cornern“, wie es in der Fachsprache heißt. Binnen weniger Monate kauften sie rund 150Mio. Unzen (= ca. 5.000 Tonnen) physisches Silber sowie mehr als 200 Mio. Unzen Silber an der Warenterminbörse. Das physische Silber ließen die Hunts teilweise sogar in eigens gecharterten Frachtflugzeugen nach Zürich und London bringen, weil sie dem amerikanischen Staat nicht trauten und eine Konfiszierung befürchteten.

Aber auch in Deutschland sorgte der „Hype“ damals für hektische Entwicklungen: Silber war bei Banken und Sparkassen gefragt – ob als Münzen, Barren oder in Form eigens geschaffener Anlage- und Ansparkonten. Gleichzeitig boomte das Geschäft der Scheide­anstalten, denen enorme Mengen Silberbesteck, Schmuck und Medaillen zum Einschmelzen und zur Auslieferung in gut handelbarer Barrenform angeboten wurden.

Neue Regeln führten zum Crash

Die Transaktionen an der Termin­börse kosteten den Hunt-Brüdern dann jedoch den Erfolg. Denn angesichts der überbordenden Spekulation legte die Terminbörse fest, dass keine weiteren Käufe mehr getätigt, also keine neuen Long-Positionen mehr eingegangen werden durften. Es wurde ein „liquidation-only“-Handel angeordnet, der lediglich die Schließung der Kontrakte bzw. den Handel gegen entsprechende Short-Positionen erlaubte. Der Sil­berpreis stürzte ab, wobei die Banken mit extrem niedrigen Ankaufspreisen dafür sorgten, dass die Hunt-Brüder mit Verlusten von mehreren Milliarden US-$ in die Pleite getrieben wurden. Über 15 Jahre sollte es dauern, bis Silber bei Anlegern wieder interessant wurde.

Aktuell sind die Meinungen geteilt. Silber-Pessimisten sehen den jüngsten Rückgang lediglich als Vorboten für eine längere Baisse. Selbst wenn sich der Silberpreis in den vergangenen Wochen wieder stabilisieren konnte, wird als Zielgröße eine Preisspanne zwischen 15US-$ und 25US-$ – oder noch weniger – genannt. Gegenüber dem heutigen Preis von immerhin 38US-$ bedeutet dies einen Rückgang von bis zu 60%.

Technische Reaktion contra Trendwende

Optimisten gehen indes davon aus, dass der Rückschlag im Mai lediglich eine von der Termin­börse ausgelöste technische Reaktion auf den vorangegangenen starken Anstieg war und der Markt dadurch sogar noch an Kraft gewonnen habe. Gestützt werden sie von charttechnischen Überlegungen: Beim Rückschlag wurde der mittelfristige Aufwärtstrend bisher noch nicht durchbrochen, was nach den Regeln dieser Analysemethode als positives Signal gilt. Risiken bestehen danach erst dann, wenn der Silberpreis nachhaltig unter eine Bandbreite von 28US-$ bis 30US-$ nachgeben sollte.

Vor diesem Hintergrund erscheint es sinnvoll, den Markt realistisch zu betrachten. Silber ist als Indus­triemetall in der boomenden Konjunktur zweifellos weiterhin stark gefragt. Und selbst wenn das daneben zu beobachtende spekula­tive Interesse durch den Crash zurückgegangen ist, dürfte das Wechselspiel aus Angebot und Nachfrage für eine gewisse Stabi­lität sorgen. Hinzu kommen die Impulse vom Goldmarkt. Da der Goldpreis weiterhin kein Ende der Hausse erkennen lässt, dürfte sich auch der Silberpreis vorerst stabil halten können.

Steigendes Risiko bei erlahmender Konjunktur

Das Blatt kann sich allerdings schnell wenden: Sobald die Konjunktur erlahmt – und damit wird von einigen Analysten bereits Ende 2011 oder Anfang 2012 gerechnet – könnte die boomende Nachfrage einbrechen. Ein starker Verfall des Silberpreises wäre dann die Folge. Denn während beim Gold immer noch der Schmucksektor ausgleichend wirken kann, herrschen beim Silber im Schmuckbereich weiterhin ein starkes Überangebot und eine eher verhaltene Nachfrage.

Silber ist mithin weiter eine eher „heiße Spekulation“, die von tendenziell konservativ eingestellten Anlegern gemieden werden sollte. Wird ein Investment in Edelmetallen angestrebt, bleibt Gold – trotz der starken Steigerungen in den vergangenen Jahren – immer noch die erste Wahl.

Bereits vergleichsweise teuer geworden ist in den vergangenen Monaten die Alternative Platin, das – ähnlich wie Silber – auch relativ hohen spekulativen Impulsen unterliegt. Dies gilt auch für Pal­ladium, wobei hier ins­besondere die industrielle Nachfrage eine Rolle bei der Preisfindung spielt.

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2011; 36(15):15-15