Betriebsführung

Gut, besser oder top?


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Das Bessere ist des Guten Feind, sagt ein Sprichwort. Immer weiter, höher, schneller, exakter, sicherer: Wo liegen die vernünftigen Grenzen zwischen steigendem Aufwand und Nutzen für den Apothekenbetrieb, aber auch für Ihre Kunden und Ihre Mitarbeiter?

Maßstäbe

Wer setzt die Maßstäbe und was sind überhaupt geeignete Anhaltspunkte, ob ein Betrieb gerade noch gut genug ist oder aber in der Spitzengruppe marschiert?

Beim absoluten Ansatz werden absolute maximale Fehlerquoten bis hin zur „Null-Fehler-Philosophie“, Leistungswerte wie Umsätze, Erträge, Kundenzahlen, bediente Kunden je Mitarbeiter etc. oder „weichere“ Kennziffern (Kun­denzufriedenheit, Werte auf diversen Skalen) vorgegeben. Viele Management- und QMS-An­sätze basieren eher auf diesen harten, über weite Strecken vergleich­baren absoluten Maßstäben.

Beim relativen Ansatz ist entscheidend, wie Sie sich in der unmittelbaren Konkurrenzumgebung schlagen. Das kann auf das Motto „Unter Blinden ist der Einäugige König“ hinauslaufen oder aber auf das Durchsetzen in einem Haifischbecken. Mit anderen Worten: Gut sein ist relativ. Entscheidend ist, dass Sie nicht hinter Ihre Konkurrenz zurückfallen, das Spielen im oberen Drittel ist bereits ein ordentliches Ergebnis, im Idealfall bewegen Sie sich in der Top-Liga der besten 10% oder peilen diese realistisch an. Dieser pragmatische relative Ansatz setzt freilich voraus, dass Sie Ihre Konkurrenz richtig einzuschätzen wissen, um entsprechende individuelle Zielgrößen aufstellen zu können. Dafür kann dieser Weg aber im Einzelfall weitaus ressourcenschonender und intelligenter sein.

Praktisch wird es auf eine Mischung beider Ansätze hinauslaufen. Für klar fassbare Parameter (wie Fehlerquoten oder harte betriebswirtschaftliche Daten) sind absolute Zielvorgaben sinnvoll. Wenn es jedoch darum geht, wie der Betrieb an sich ausgerichtet werden soll, ob hohe Investitionen in neue Abläufe, Sortimente oder Einrichtungen gesteckt werden sollen, dann ist der Seitenblick zur Konkurrenz immer zu empfehlen.

Dass dieses Thema für die Betriebsführung einen hohen Stellenwert hat, verdeutlichen folgende Fakten. So werden nach dem Pareto-Prinzip mit 20% des Aufwandes 80% des Nutzens erzielt; die letzten Prozente hingegen werden immer aufwendiger und unterliegen dem Phänomen des „abnehmenden Grenznutzens“. Dieses Phänomen ist ubiquitär verbreitet, in der Technik wie in der Pharmaforschung oder auch in der Apotheke. Angesichts eines erreichten sehr hohen Standards wird es immer aufwendiger, noch besser zu werden. Das oft kaum spürbare Mehr an Leistung, Sicherheit oder Bequemlichkeit kostet sehr viel. Nur echte technologische Durchbrüche („Sprunginnovationen“) vermögen diese Kette für eine gewisse Zeit zu unterbrechen. Sie können sich also in dem (übersteigerten) Bestreben, immer bes­ser zu werden und höher hinaufzusteigen, rasch verheben – wirtschaftlich und kräftemäßig, mit allen negativen Rückwirkungen auf die Arbeitsfreude, das Betriebsklima und die Mitarbeitermotivation. Gesunder Pragmatismus ist angesagt.

Leistungsverteilung

Nicht wenige Betriebe glänzen mit Spitzenleistungen oder Spitzenplatzierungen auf einigen Gebieten, patzen dafür aber an anderer Stelle. Viele bieten da­gegen eine konstante Leistung ohne herausragende Stärken und Schwächen. Die praktischen Beispiele sind vielfältig.

Da ist die sehr engagierte PTA Meyer, eine Expertin für Homöopathie und Haustiere mit zahl­reichen Fortbildungen. Wer mit entsprechenden Fragen an sie herantritt, kann eine im Vergleich zum Konkurrenzumfeld exzellen­te Beratung und Betreuung erwarten. Der Prostatapatient oder die Diabetikerin werden dagegen zwar nicht „grottenschlecht“, aber im Endergebnis allenfalls durchschnittlich bedient, da sie bei Frau Meyer nicht dieselbe Begeisterung wie ihre Spezialgebiete auslösen. Das wird deutlich spürbar und Feh­ler in den Nicht-Spezialgebieten sind keineswegs selten.
PTA Schulze hingegen hat keine derartigen Spezialgebiete; sie ist so „gepolt“, dass ihre natürliche Neugier und ihr einfühlsames Wesen fast alle Kunden vereinnahmen. Jeder fühlt sich gut aufgehoben und verstanden, auch wenn rein fachlich sicher einmal das eine oder andere Detail bei Spezialfragen auf der Strecke bleibt. Große Ausrutscher nach unten oder gravierende Fehler gibt es bei ihr aber nicht.

Was ist für den Betrieb nun unter dem Strich besser?

Betrachten wir dazu einmal ein ganz anderes Beispiel: Sie haben die Aufgabe, einen Motor zu bauen, bestehend aus etlichen Hundert Einzelteilen, und die Qualitätsvorgaben unter Einhaltung strikter Kostenlimits zu erstellen. Sie könnten nun die teuersten und am höchsten belasteten Teile heraussuchen und Ihr Augenmerk vor allem darauf lenken. Sie verbauen also die besten Kolben, Nockenwellen, Benzinpumpen usw. Indes müssen Sie dann an der Peripherie sparen, also werden scheinbar unwichtige Allerweltsteile wie Schläuche oder Befestigungsschellen billigst eingekauft. Das Ergebnis wird sein, dass zwar fast nie eine Nockenwelle kaputtgeht, aber wo­möglich laufend Wasserschläuche platzen oder Kabel abfallen, was ebenfalls ärgerliche Pannen bedeutet und das Qualitätsimage ruiniert. Durch diese Schule sind viele Autohersteller gegangen (und gehen es z.T. heute noch). Von Henry Ford ist überliefert, dass er Schrottplätze absuchen ließ. Teile, die niemals kaputtgegangen waren, ließ er in schlechterer und damit güns­tigerer Qualität fertigen...
Die Natur arbeitet übrigens ähnlich: So ziemlich jedes Organ kann erkranken, jeder Knochen brechen. Es ist unter dem Aspekt einer optimalen Ressourcennutzung nicht sinnvoll, den Magen oder einen bestimmten Knochen so zu dimensionieren, dass er im Laufe des Lebens nie ausfallen kann. Das ginge nämlich auf Kosten anderer Organe, die dafür häufiger Probleme bekämen.

Was heißt das? Ein konstant ordentliches, aber nicht extrem hohes und damit zu teures Qualitätsniveau quer über alle Leistungsbereiche hinweg ist besser als Spitzenleistungen nur in Teilbereichen, erkauft mit Schwächen in anderen Segmenten. Eine solche Strategie der Spezialisierung kann man vielleicht betriebswirtschaftlich rechtfertigen, falls die „Steckenpferde“ den Großteil des Ertrags einbringen – was bei Homöopathie und Haus­tieren sicher nicht der Fall ist.

Diese Sicherstellung eines guten Niveaus durchgehend über alle Bereiche ist also das A und O. Ansätze wie die „Six-Sigma-Philoso­phie“ greifen das systematisch auf (hier geht es u.a. darum, dass jeder einzelne Prozessschritt oder jedes Einzelteil möglichst nur eine Fehlerwahrscheinlichkeit von höchstens drei zu einer Million haben darf). Oder einfacher ausgedrückt: Keine Blößen geben ist wichtiger als Spitzenleistungen in Randbereichen!

Bedenken Sie, dass sich Ihre Kunden über schlechte Erfahrungen in ihrem Bekanntenkreis weitaus häufiger auslassen als über gute. Enttäuschungen vielfältigster Art bei den letzten Besuchen in der Apotheke oder eine als kleinlich empfundene Behandlung z.B. anlässlich einer Reklamation wiegen also mehrfach schwer.

Da die Interessen nun einmal unterschiedlich und Menschen keine Roboter sind und nicht jeder alles gleich gut beherrscht, sind Themen wie Wissensmana­gement, Weitergabe von Erfahrungen, Arbeit mit Datenbanken und Wissensquellen aller Art sowie der vertrauensvolle Umgang im Team („es gibt keine dummen Fragen“) essenziell auf dem Weg zu eben diesem gleichmäßig guten Qualitätsniveau (fast) ohne Ausreißer nach unten. Spitzenleistungen und Spezialgebiete sind dabei die „Sahnehäubchen“ und insbesondere marketingtechnische Profilierungschancen, aber kein Selbstzweck.

So wie z.B. Autos durch exklusive Designmerkmale und „Eye-catcher“ aufgehübscht und trotz gar nicht einmal herausragender, aber robuster technischer Basis zum Premiumprodukt werden (ganz ähnlich übrigens auch viele Kosmetika, Nahrungsergänzungsmittel etc.), so kann die Apotheke ebenfalls solche „Glanz­punkte“ setzen, auf solider Grundlage. Aber diese Glanzpunkte dürfen nicht zu viele Ressourcen binden.

Schön abgerundet werden kann dies durch stete angenehme Überraschungen und eine Lebendigkeit und Dynamik der Betriebsführung, die den Kunden signalisiert: Hier passiert was, die sind immer vorne mit dabei und verstauben nicht!

Ressourcenallokation

Damit ist ein wichtiger Punkt angesprochen: Wie verteile ich die begrenzten Mittel optimal? Wo setze ich Schwerpunkte und wo spare ich sinnvollerweise, ohne Kunden zu vergraulen?

Der entscheidende Punkt ist bereits angesprochen: Sparmaßnahmen sollten möglichst nicht für den Kunden direkt spürbar werden. Und wenn doch, dann sollten Sie den Stier bei den Hörnern packen und ganz offensiv und transparent damit umgehen: Plastiktragetaschen nur noch gegen Gebühr, Botendienst nur in dringenden Ausnahmefällen usw. Aber das ist eine Gratwanderung und hängt vor allem vom Leistungsniveau der unmittelbaren Konkurrenz ab. Es ist sehr gefährlich und verlangt nach einer sehr hohen Marktmacht, den „First Mover“ bei Sparmaßnahmen an den Kunden zu spielen!

Einsparmaßnahmen hinter den Kulissen

Einsparungen sind daher möglichst hinter den Kulissen vorzunehmen, um im Gegenteil Ressourcen freizuschaufeln, damit Sie mehr für die Kunden tun können: Organisationsabläufe, Verwaltung, Einkauf von Waren und Dienstleistungen, Hinterfragen von technischen Spielereien. Ein wenig Tricksen und Blenden gehört auch dazu – die Mittel müssen Sie nicht unbedingt in aufwendige Verbesserungsprogramme investieren, wenn Sie schon ganz gut aufgestellt sind. Etwas fürs Auge, ein wenig Aufhübschen, der eine oder andere „Gimmick“ können auf die Kunden mehr Eindruck machen – für weniger Geld und Aufwand. Wie Sie mit wenig Aufwand viel erreichen, erfahren Sie in einer der nächsten Ausgaben des AWA.

Heute und morgen


Die Welt befindet sich in einem dynamischen Wandel. Viele meinen, sie sei „schneller“ geworden. Was heute „en vogue“ ist, gilt morgen schon als alter Hut. Der größte Druck kommt von der Technik – hier muss man nicht unbedingt jeden Trend als Erster mitmachen, wenn man nicht gerade ein „Elektronik-Junkie“ ist. Gleichwohl verändern sich auch Sichtweisen, Lehrmeinungen und Re­lationen. War z.B. die Pharmabranche lange ein Vorbild für Sicherheits- und Hygienestandards, haben andere Branchen zwischenzeitlich enorm aufgeholt. Im Einzelhandel hat sich der Ladenbaustandard deutlich erhöht, Sauberkeit, Hygiene und Organisation haben sich im Lebensmittelhandel stark verbessert. Hat die Apotheke in diesem Umfeld tatsächlich noch eine Spitzenposition?

Wenn es um das Thema „gut, besser oder top?“ geht, muss der Blick auch über die Berufsgrenzen hinaus schweifen. Wer nicht abgehängt werden möchte, ist gut beraten, stets die Augen offenzuhalten. Ein solcher „kon­tinuierlicher Beobachtungsprozess“ ist dann die Grundlage für laufende Verbesserungen, auch KVP (kontinuierlicher Verbesserungsprozess) genannt. Entscheidend ist wieder das Augenmaß: möglichst gut zu vernünftigen Kosten, Vermeidung der Falle des abnehmenden Grenznutzens, aber auf keinen Fall das Risiko von Ausfällen und krassen Minderleistungen eingehen!

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2011; 36(24):5-5