(Null-)Retaxationen bei Arzneimitteln

Wie Apotheker reagieren können


Dr. Bettina Mecking

Apotheken erfüllen mit der Abgabe ärztlich verordneter Arzneimittel ihren öffentlich-rechtlichen Versorgungsauftrag. Im Gegenzug besteht ein Vergütungsanspruch des Apothekers gegen die Krankenkasse – den einzelne Kassen durch fragwürdiges Retaxationsgebaren infragestellen.

Belastungsanzeige erhalten – was nun?

Wenn die Apotheke von einer Retaxation betroffen ist, also eine sog. Belastungsanzeige erhalten hat, sollte mit einer Reaktion hierauf nicht zu lange gewartet werden. Der pauschalierten Beanstandung durch einzelne Krankenkassen muss eine Einzelfallanalyse entgegengestellt werden. Mithilfe der Beratungsangebote der Verbände, spezialisierter Rechtsanwälte sowie ggf. entsprechender Fachforen können konkrete Empfehlungen zur Vorgehensweise entwickelt werden. Letztlich muss aber jede betroffene Apotheke im Einzelfall den Rechtsweg gegen die jewei­lige Krankenkasse beschreiten. Denn Sammelklagen durch die Apothekerkammer oder den Apothekerverband sind aus juristischen Gründen nicht möglich.

Verfahrensrecht

Gegen Beanstandungen der Kasse muss innerhalb der regional unterschiedlichen Fristen – meist drei oder vier Monate – durch den Apotheker selbst (ggf. anwaltlich vertreten) oder auch über den zuständigen Apothekerverband Einspruch eingelegt werden. Die Prüfung von Einsprüchen gegen eine von der Kasse ausgesprochene Beanstandung hat innerhalb einer Frist von üblicherweise vier Monaten – abhängig vom jeweiligen Arzneimittelliefervertrag – nach Eingang des Einspruchs bei der Krankenkasse zu erfolgen. Wird diese Frist ohne Stellungnahme der Kasse zur Sache überschritten, gelten die Einsprüche als von der Kasse anerkannt.

Hat der Einspruch des Apothekers hingegen keinen Erfolg, wird seinem Einspruch also nicht abgeholfen, so ist gegen den Einspruchsbescheid der Kasse innerhalb von zwölf Monaten der Rechtsweg zum Sozialgericht eröffnet, und zwar in Form einer Leistungsklage gemäß §54 Absatz 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Wer seinen Einspruchsbescheid rechtskräftig werden lässt, kann später nicht mehr von einer möglichen günstigen Grundsatzentscheidung profitieren.

Hat sich die Apotheke entschlossen, gegen den Einspruchsbescheid gerichtlich vorzugehen, empfiehlt es sich, die vom Sozialgericht stets vorgeschlagene Mediation abzulehnen, da diese mit erheblichem Zeitverlust verbunden ist. Bis zur erstinstanzlichen Entscheidung eines Sozialgerichts vergehen ohnehin bereits üblicherweise 1,5 bis 2 Jahre.

Grundsätzlich ist es auch möglich, gegen die Belastungsanzeige im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes vorzugehen. In diesem Fall wäre nach §86b Absatz 2 Satz 2 SGG eine einstwei­lige Anordnung gegen die Be­lastungsanzeige zu erwirken. Problem dabei ist aber, dass seitens der Apotheke ein entsprechender Anordnungsgrund, etwa eine drohende Existenzgefährdung, geltend gemacht werden muss, was bislang vor dem So­zialgericht in Retaxationsfällen noch nicht gelungen ist. Selbst eine Situation, bei der ein Apotheker Außenstände von über 1,5 Mio.€ hatte und ein Abzug in Höhe von über 30.000€ angeordnet wurde, führte nicht zur Annahme, dass dieser Apotheker konkret in seiner finanziellen Existenz bedroht ist. Vor diesem Hintergrund ist von der Einlegung vorläufigen Rechtsschutzes eher abzuraten, da dies nicht Erfolg versprechend erscheint.

Materiellrechtliche Ansätze

Bei der Kürzung des apothe­ker­lichen Vergütungsanspruchs verweisen die Krankenkassen auf arzneimittelliefervertragliche Regelungen sowie auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts. Der Apotheke wird der Vorwurf gemacht, sie belie­fere nicht ordnungsgemäß aus­ge­stell­te (BtM-)Verschreibungen. Im Fall der BtM-Verschreibungen wird ar­gumentiert, die formalen Vorgaben des §9 Betäubungs­mittel-Ver­schreibungsverordnung (BtMVV) seien nicht eingehalten, somit entfalle der Vergütungs­anspruch. In §12 BtMVV sei für solche Fälle ein ausdrückliches, an die Apotheke adressiertes Abgabeverbot postuliert, das als spezifisches Berufsrecht zu beachten sei. Diese Vorgehensweise sei durch die ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gestützt.

Gegenargumentation

In vielen Fällen handelt es sich allerdings gar nicht um offensichtliche Fehler, vielmehr nehmen die Kassen einen solchen aufgrund eigenmächtiger Einschätzung an – auch wenn sie sich dabei nicht auf ausdrück­liche gesetzliche Vorgaben stützen können. Nirgends steht etwa, dass das Ankreuzen des Aut-idem-Feldes immer maschinell erfolgen muss und nicht auch handschriftlich vorgenommen werden darf. Dies ist nur ein oft genanntes Beispiel für eine ab­struse Auslegung. Die Durchschriften dieser Rezepte liegen der für die Prüfung zuständigen Bundesopiumstelle vor und wurden dort nicht beanstandet.

Während dem zur Abgabe von Betäubungsmitteln an den Patienten befugten pharmazeutischen Personal im Rahmen des Kontrahierungszwangs die Pflicht auferlegt ist, die vorgelegte Verordnung auf die Einhaltung der formalen betäubungsmittelrechtlichen Vorgaben zu prüfen, fehlt den Krankenkassen die Zuständigkeit für eben diese Prüfung von BtM-Rezepten, so die Bezirksregierung Düsseldorf in ihrer offiziellen Stellungnahme vom 23. November 2011. Sie dürfen das Prüfergebnis daher nicht zur Grundlage ihrer Retaxationsentscheidungen machen.

Neben der Prüfung der formalen Vorgaben hat die Apotheke vor Abgabe eines verordneten Betäubungsmittels nur noch zu prüfen, ob die BtM-substanzspezifischen Höchstmengen eingehalten wurden. Ansonsten regeln die allgemeinen Bestimmungen des Arzneimittelliefervertrags die Ab­gabevoraussetzungen abschließend. Liegen die dort enumerativ aufgeführten Angaben auf dem Formular vor, so ist die Verordnung „ordnungsgemäß ausgestellt“. Selbst wenn in den Arzneimittellieferverträgen – was meist gar nicht der Fall ist – ein deklaratorischer Hinweis auf betäubungsmittelrechtliche Vorschriften enthalten ist, müssen andere Stellen als die Krankenkassen darüber befinden, ob die entsprechenden Rechtsregeln greifen.

Nach der betreffenden Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sollen die gesetzlichen Krankenkassen nicht zur Ver­gütung von Arzneimitteln verpflichtet sein und der Vergütungsanspruch der Apotheker gegen Krankenkassen ganz entfallen, wenn die Abgabe des Arzneimittels unter Verstoß gegen gesetzliche Regelungen erfolgte.

Allerdings handelt es sich bei den der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zugrunde liegenden Konstellationen um offensichtliche Abgabehindernisse wie die Abgabe entgegen den Voraussetzungen des Apotheken­gesetzes, z.B. beim Versandhandel ohne entsprechende Erlaubnis, oder des Arzneimittelge­setzes, z.B. die Abgabe unter Missachtung der fehlenden Verkehrsfähigkeit von Importarzneien. Die Situation bei den Null­retaxationen von BtM-Verschreibungen ist hiervon jedoch zu unterscheiden: Die Kassen erhalten Leistun­gen, für die sie unter Berufung auf Förmlichkeiten, deren Nichtbeachtung keine Gefahren für die Arzneimittelsicher­heit hervorrufen, nicht bezahlen wollen, und dürfen diese Leistungen dann behalten. Den Spezialfall der Nullretaxationen von BtM-Re­zepten hat das Bundessozialgericht noch gar nicht entschieden.

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2011; 36(24):10-10