Betriebsführung

Vom Erfahrungsaustausch profitieren


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Wer heute nicht aufpasst, kann sich schnell in den Weiten und Tiefen der Informationsgesellschaft verlieren. Andererseits gibt es so viele wertvolle Möglichkeiten zum Erfahrungsaustausch und zur Wissensvermittlung wie nie zuvor – doch die richtige Selektion ist wichtig.

Eigene Interessen und Ziele

Bevor wir auf die einzelnen Möglichkeiten des Erfahrungsaustauschs eingehen, sollten Sie für sich folgende Fragen beantworten:

  • Welche Themen interessieren mich?
  • Für welche dieser Interessensgebiete benötige ich einen Input von außen und was kann ich mir mit womöglich geringerem Aufwand selbst erschließen?
  • Wie viel Zeit und Geld kann und möchte ich für einen Er­fahrungsaustausch mit anderen Kollegen erübrigen?
  • Was bin ich selbst bereit zu investieren und zu geben, und was erwarte ich? Austausch lebt vom Geben und Nehmen. „Trittbrettfahrer“ sind der Tod aller kooperativen Aktivitäten.


Ihre Erwartungen sollten Sie ebenfalls im Vorhinein genauer umreißen. Suchen Sie...

  • ...möglichst konkrete Antworten auf klare Fragen bzw. sogar ganz spezielle Arbeitsgruppen z.B. zu EDV- oder betriebswirtschaftlichen bzw. finanziellen Themen?
  • ...vielfältige Anregungen für Ihren Berufsalltag nach der Formel „mein Erfolg – dein Erfolg“?
  • ...eine Plattform für Projekt- und Entwicklungsarbeit, die neue Ideen entwirft und zum Erfolg führt, aber entsprechendes Engagement jedes Einzelnen erfordert?
  • ...Abwechslung vom Alltag, angenehmes Ambiente und Austausch mit „Leidensgenossen“, die schlicht mal etwas Trost spenden und das Gefühl der beruflichen Einsamkeit auflösen?
  • ...konkrete Gemeinschaftsaktivitäten wie gebündelter Einkauf, Personaltausch, Marketingaktionen usw.?


Je höher Ihre Erwartungen sind, umso größer ist das Enttäuschungspotenzial bzw. umso genauer sollten Sie selektieren. Wer nicht so hohe Ansprüche stellt und eher das Motto beherzigt „Profitieren kann ich von den Erfahrungen der anderen immer“, geht ein geringeres Risiko ein.

Ganz zentral ist zudem die Frage, wie tief der Austausch gehen soll, welche Betriebsinterna und Zahlen präsentiert werden und wie hoch die Vertrauens­ebene gehängt werden muss. Die Erfahrung zeigt, dass die Werthaltigkeit der Informationen mit dem Vertrauen und der persönlichen Wertschätzung steigt und es deshalb viele verschwiegene, oft langjährig etablierte Zirkel gibt.

Am Problem des Vertrauens und des persönlichen Eindrucks Auge in Auge scheitern deshalb die meisten Internet-Aktivitäten. Viele, vor allem offene Foren kommen über Belanglosigkeiten und Allerweltswissen nicht wesentlich hinaus. Und ob der momentane Siegeszug von Facebook und Co. eine wirklich dauerhafte Entwicklung zum zweiten, wirklich ernst zu nehmenden Internet-Ich markiert, ist noch lange nicht entschieden.

Erfa-Gruppe – der Klassiker

Die bewährte Erfa-Gruppe – es spricht viel dafür, dass diese Form des Austauschs mit mehreren Treffen im Jahr ihre Bedeutung selbst im Internetzeitalter behalten wird. Das gilt umso mehr, falls einige Regeln beachtet und moderne Techniken behutsam integriert werden.

Das hält Erfa-Gruppen zusammen:

  • Gemeinsamkeiten, tragende Elemente und Zielsetzungen – dazu gehören je nach persönli-chen Vorlieben ggf. ein gewisses Ambiente, in jedem Fall aber Spaß und Freude auf ein Wiedersehen und ein ausgeprägtes In­teresse an Wohlergehen und Entwicklung der Teilnehmer.
  • Vertrauen und Kommunika­tion auf „Augenhöhe“ – die Teilnehmer sollten also sorgfältig unter Einbeziehung der Gruppenmeinung ausgesucht werden.
  • Positiv wirkt immer wieder eine Auflockerung mit scheinbar erst einmal fachfremden Themen, von denen man aber viel lernen kann.


Zudem müssen gewisse Formalien eingehalten werden:

  • Klare Themensetzung und Tagesordnungen für die einzelnen Sitzungen, Terminfindung mit hinreichend langen Vorlaufzeiten und mehreren Terminvorschlägen.
  • Klare Rollenverteilungen im Hinblick auf Moderation bzw. „Vorsitz“.
  • Bei der Arbeit mit Zahlen und Daten ist die gründliche Vorbereitung der Teilnehmer entscheidend, die Datengrundlagen sind für alle gleichermaßen eindeutig zu definieren (bei unterschiedlichen EDV-Systemen bisweilen ein Problem).
  • Ernsthafte konzeptionelle Pro­jekt- und Entwicklungsarbeit gelingt nur, wenn alle mitmachen, inklusive „Hausaufgaben“.
  • Es werden Regeln hinsichtlich des Datenaustauschs formuliert, wobei neben der üblichen E-Mail auch externe Datenplattformen („Cloud“) wie die Dropbox u.a. infrage kommen, auf die alle Teilnehmer passwortgeschützt zugreifen können.


Das ist Gift für solche Gruppen:

  • sich verselbstständigende grup­pendynamische Prozesse und Dominanzverhalten Einzelner unter Vernachlässigung der In­teressen der Mehrheit;
  • Konkurrenzverhalten und Neid (u.a. wegen zu großer Unterschiede in Erfolgsbilanzen oder Persönlichkeitsstrukturen);
  • zu geringe Herausforderungen und aufkeimende Langeweile.


Hinterfragen Sie weiterhin im Hinblick auf den Initiator einer Erfa-Gruppe, inwieweit die Neu­tralität gewahrt bleibt oder das Ganze in­teressengeleitet ist. Eine interessengeleitete Gruppe muss nicht per se schlecht sein; nur bestimmte Themen sind dort vielleicht nicht optimal aufgehoben, andere hingegen schon.

Foren, Chats, soziale Netzwerke

Der „Markt“ der Foren und Netzwerke ist inzwischen sehr vielfältig – und das ist eines der großen Probleme dieser Medien. Ähnlich wie Szenekneipen verschwinden viele von ihnen rasch wieder. Damit dominiert die Kurzlebigkeit und Beliebigkeit. Selbst Top-Adressen (z.B. Studi­VZ) erleben nach vergleichsweise kurzer Zeit einen jähen Absturz. Facebook scheint bislang dagegen immun zu sein, auch das eher beruflich motivierte Netz­werk XING schlägt sich recht gut, doch wie lange noch? Die Internetgemeinde hat etwas Nomadenhaftes – die Karawane zieht rasch weiter. Im Moment versucht gerade Google, mit Google+ zu Facebook aufzuschließen.

Dies gilt auch für etliche apothekenre­levante Foren und Chats, und es gibt gute Gründe dafür. Schon allein die Verteilung der Daten über die ganze Welt nach Spielregeln, die man selbst nicht beeinflussen kann, erlaubt die Frage: Will ich auf solch ei­ner Plattform tatsächlich tief reichende betriebliche Dinge austauschen? Auch die Qualität der einzelnen Beiträge z.B. in den zahlreichen Foren lässt leider allzu oft zu wünschen üb­rig. Wenn „Kakerlake013“ oder „Spee­dyXY“ ihre spontanen geistigen Ergüsse in die Tastatur „hauen“, gerne unter Missachtung elementarer formaler Kri­terien und Höflichkeitsgebote, dann hat dies erkennbar eine andere Bedeutung und Wertschätzung, als wenn letztlich Klarnamen und eindeutige Identitäten dahinter erkennbar sind. Viele Zeitungs­foren machen hier gerade ihre Erfahrungen.

Wer trotzdem von solchen anonymen Plattformen profitieren möchte, sollte sich einen „Adlerblick“ angewöhnen: aus genügender Distanz Beiträge schnell überfliegen und nach interessanten Stichworten und formalen Qualitätsmerkmalen (Aufbau, Orthografie) scannen. Denn das komplette Durchlesen lohnt den Zeitaufwand meist nicht, zu gering ist die Ausbeute an wirklich verwertbarer Information.

Je spezieller jedoch der Teilnehmerkreis, je mehr die Anonymität aufgehoben ist, umso höher wird die Qualität und umso stärker nähern wir uns sogar den alten, verschwiegenen, langjährigen Erfa-Gruppen an, nunmehr auf virtueller, elektronischer Basis. Es gelten klare Regeln, die sich auch andernorts im Alltag bewährt haben: Je exklusiver der „Laden“, umso schneller fliegt man bei unpassendem Benehmen raus. Die zentrale Rolle nimmt eine fachkompetente, souverän agierende Moderation ein (bei der sich immer die Frage stellt: Wer macht das, warum und wofür?). Und auf solch gefestigter Basis sollten sich elektronische Austauschplattformen als hinreichend vertrauenswürdig und langlebig erweisen.

Auch rein thematisch sehr speziell agierende Foren (z.B. zu Abrechnungsfragen) heben sich meist positiv hervor; die Tiefe und Spezialität des Themas schreckt „Störenfriede“ und „Dummschwätzer“ doch ab.

Unabhängig von der Qualität solcher elektronischer „Tummelplätze“ sollten Sie sich jedoch ganz allgemein einige grund­legende Fragen stellen:

  • Überschauen Sie in der Welt des Internets, was Sie tun, und haben Sie eine Vorstellung, was mit den Daten eigentlich geschieht bzw. geschehen kann?
  • Durchblicken Sie den Aufbau und die Funktionalität der jeweiligen Websites? Ungebetene Facebook-Partys wegen eines gesetzten oder nicht gesetzten Häkchens sind ja bereits legendär...
  • Wissen Sie, wer alles mitliest? Gerade bei „anonymen“ und offenen Foren können das alle möglichen Personenkreise sein. Dass die virtuelle Welt schnell in die reale Welt überschwappen kann, dafür gibt es zahlreiche Beispiele, bei denen Forenkontakte und -streitereien ihre bisweilen höchst unangenehme Fortsetzung im „wirklichen Leben“ gefunden haben.
  • Ist ggf. Ihre Anonymität wirklich so geschützt, wie Sie glauben? Über Ihre IP-Adresse sind Sie jederzeit rückverfolgbar, es ist nur die Frage, wer auf das Adressprofil, welches bei dem Betreiber aufläuft, Zugriff hat. Wer dies umgehen will, muss weitergehende Maßnahmen ergreifen.

Wenn Sie in diesen Medien nicht wirklich sattelfest sind (und das gilt für die meisten), sollten Sie vom Austausch sensibler Informationen abseits gesicherter, überprüfbarer Wege absehen und insbesondere „offene“ Plattformen meiden.

Die alten Regeln haben Bestand

Zusammengefasst zeigt sich, dass auch in unserer modernen Welt die alten Regeln für einen sinnstiftenden Erfahrungsaustausch nach wie vor gelten:

  • Qualität geht vor Quantität, weniger ist mehr.
  • Vertrauen zählt – Anonymität lässt tiefer gehendes Vertrauen in aller Regel nicht zu.
  • Vertrauen braucht einen Teilnehmerkreis auf „Augenhöhe“, genügend Zeit zum Wachsen und eine positive Rückkopplung.
  • Jeder sollte bereit sein, selbst zur Qualität beizutragen und auch etwas zu geben.
  • Klare Regeln sind nicht nur ein einschnürendes Korsett, sondern bilden den notwendigen Ordnungsrahmen, ohne den es meistens nicht funktioniert.


Selektion ist also Trumpf, um den zeitlichen Aufwand und den Nutzen vernünftig zusammenzubringen. Gleichwohl sind der informelle Zusammenschluss und die Vernetzung ein Gebot der Stunde, um die zunehmende Komplexität des Alltags zu meistern.

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2012; 37(02):7-7