Prof. Dr. Reinhard Herzog
Schwache Zahlen
Und so sieht die Jahresbilanz 2011 alles andere als positiv aus. Nicht nur der DAX verlor im Gesamtjahr 15%, auch der Technologiewerteindex TecDAX büßte 20% ein und der ökologisch orientierte Öko-DAX lag zum Jahresende 50% im Minus. Gerade einmal sechs DAX-Titel konnten das Jahr mit einem positiven Ergebnis abschließen: Merck, FMC, Fresenius, SAP, Beiersdorf und adidas verzeichneten bis zu 26% Zuwachs. Hingegen büßte etwa die Aktie der Metro 48% ein, die Lufthansa lag per Jahresende 45% im Minus und die Commerzbank verlor sogar 71%. Ein ähnliches Bild ergibt sich bei den Nebenwerten aus dem MDAX: Hier ragen nur die Aktien von SGL Carbon und EADS mit einem Zuwachs von über 30% heraus. Negative Spitzenreiter sind in-des Wacker Chemie (–52%), TUI (–54%) und Heidelberger Druck (–67%).
Nicht viel besser war die Lage an den meisten anderen Weltbörsen: Nach acht Monaten Kursanstieg folgte ab August ein massiver Einbruch, der die Jahresperformance tief in die roten Zahlen drückte. Angeführt wird die Verliererliste von mehreren kleinen Börsen, bei denen ein Rückzug internationaler Anleger naturgemäß für besonders ausgeprägte Kursverluste sorgt: In Belgien ging es um 20% abwärts, in Helsinki um 32% und der österreichische ATX büßte sogar 35% ein.
US-Aktienmarkt behauptet sich
Eine Ausnahme war der amerikanische Aktienmarkt, der seinem Ruf als „Stehaufmännchen“ wieder einmal alle Ehre machte: Der breit angelegte Standard& Poor‘s-500-Index konnte das Jahr mit einem nahezu ausgeglichenen Ergebnis abschließen, der 30 Titel umfassende Dow-Jones-Industrial-Index lag sogar 5% im Plus. Selbst der Technologiewerteindex NASDAQ erreichte einen Zuwachs im einstelligen Plusbereich. Von der vergleichsweise guten Entwicklung in den USA profitierten europäische Anleger zudem durch den festeren Dollarkurs, der seit Beginn der Aktienbaisse immerhin mehr als 13% zulegen konnte. Nicht ganz so gut lief es in Japan: Hier brachte der starke Yen zwar auch rund 11% Währungsgewinn, der Nikkei-225-Index büßte im Jahresverlauf allerdings rund 18% ein.
Die Kernfrage gilt jetzt der weiteren Entwicklung. Ein Blick auf den Kurschart des DAX liefert keineswegs ein positives Ergebnis: Der Gleitende 200-Tage-Durchschnitt hat nachhaltig nach unten gedreht, die im Bereich von 5.000 Indexpunkten verlaufenden Widerstandsmarken wurden noch nicht erreicht und zudem ist der Rückgang bisher – insbesondere im Vergleich zu den Rückschlägen in den Jahren 2000/03 und 2008/09 – eigentlich noch viel zu kurz, um charttechnisch eine baldige Trendwende erwarten zu lassen. Indexstände von 5.000 Punkten oder weniger erscheinen aus charttechnischer Sicht keineswegs unwahrscheinlich, einige Pessimisten fürchten sogar eine mehrjährige Baisse, bei der frühere Widerstandsmarken von unter 4.000 Punkten erneut getestet werden könnten.
Positiv zu bewerten ist nach den Regeln der Charttechnik allenfalls die vergleichsweise stabile Entwicklung im Bereich zwischen 5.500 und 6.500 Indexpunkten und der freundliche Jahresauftakt 2012, was grundsätzlich auch die Basis eines neuen Aufschwungs darstellen könnte. Entscheidend ist jetzt, ob der DAX den Gleitenden 200-Tage-Durchschnitt in den kommenden Wochen dauerhaft übersteigen kann.
Risikoanlage Aktien
Fundamental gesehen ergibt sich ein zweigeteiltes Bild: Auf der Negativseite finden sich Argumente wie etwa die Euro- und Schuldenkrise, die ausufernden Staatsfinanzen sowie die erwartete starke konjunkturelle Abkühlung, die insbesondere eine Industrienation wie Deutschland unter Druck setzen könnte. Eine besondere Rolle wird dabei in den kommenden Monaten der Euro spielen: Bekommt die Politik die Lage in den Griff, könnte sich auch die Wirtschaft und damit die Börse stabilisieren. Sollte das Euro-Gefüge hingegen zerbrechen, droht auch den Unternehmen sowie der Börse Ungemach. Massive Kursrückschläge müssten danach einkalkuliert werden.
Positiv zu bewerten ist hingegen, dass die Wirtschaft in Deutschland und hier speziell auch der Konsum bisher noch keine nennenswerten Ermüdungserscheinungen erkennen lassen. Zudem haben die Unternehmen in den vergangenen Jahren derart massive Kostensenkungsmaßnahmen eingeleitet, dass sie auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten solide Gewinne erzielen sollten. Dies spiegelt sich im Übrigen in den vergleichsweise hohen Dividendenzahlungen wider, die allein schon ein Argument „pro Aktie“ darstellen. Auch unter mittel- bis langfristigen Gesichtspunkten führt an der Aktie zweifellos kein Weg vorbei: Denn schließlich handelt es sich hier um einen Sachwert, dessen Substanz selbst im unwahrscheinlichen Fall einer Währungsreform nicht gefährdet sein dürfte.
Für das erste Halbjahr 2012 stehen die Ampeln dennoch zunächst erst einmal auf Gelb. Zwar sollten bestehende Posi‑tionen solider dividendenstarker Werte allein schon aus Renditegründen beibehalten werden, Neuengagements sind jedoch vorerst eher zurückzustellen und die weitere Entwicklung abzuwarten. Erst wenn sich die Lage beruhigt – erkennbar an einer nachhaltigen Stabilisierung des DAX oberhalb des Gleitenden 200-Tage-Durchschnitts – können weitere Engagements in Betracht gezogen werden. Hier sind insbesondere preiswert gewordene deutsche Standardwerte zu nennen. Aber auch europäische Spitzenwerte sind in den vergangenen Monaten vielfach so billig geworden, dass sich der Einstieg langfristig rechnen dürfte.
Interessanter als der deutsche Markt sind nach wie vor amerikanische Aktien. Zumindest bisher ist der Aufwärtstrend des Dow-Jones-Industrial-Index nicht gebrochen, auch wenn der Gleitende 200-Tage-Durchschnitt zuletzt in eine Seitwärtsbewegung übergegangen ist. Positiv ist hier zudem der US-Dollar zu werten: Die Spekulanten interessieren sich zunehmend für den „Greenback“, selbst wenn die Verschuldung der USA eher noch gravierender ist als in der Euro-Zone. Auch charttechnisch besteht durchaus ein Potenzial von 10% und mehr.
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2012; 37(03):12-12