Cosima Bauer
Vorurteile und Markenversprechen
Marken leben also mit Vorurteilen, aber auch buchstäblich von „Vorurteilen“: Der Markenname alleine erweckt bei vielen Verbrauchern ein besonderes Maß an Vertrauen in die Qualität und den Nutzen sowie die Sicherheit der Produkte. Diese Eigenschaften kann der Verbraucher in vielen Fällen – zumindest vor dem Kauf – nicht beurteilen oder überprüfen, aber er schreibt sie den Produkten quasi im Sinne eines positiven „Vorurteils“ zu.
Dass der Kauf eines Markenprodukts bei vielen Verbrauchern mit positiven Erwartungen einhergeht, beruht auf der Erfahrung, die die meisten Menschen bei vorangegangenen Käufen gewonnen haben. Die betriebswirtschaftliche Logik, die dem zugrunde liegt, ist, dass Unternehmen sich teure Medienkampagnen regelhaft nur für Produkte leisten (können), die hinterher auch den Erwartungen der Käufer gerecht werden. Nur unter dieser Voraussetzung – Ausnahmen bestätigen die Regel – werden sich im Endeffekt die Werbeinvestitionen wieder amortisieren. Es rechnet sich betriebswirtschaftlich meist nicht, durch Werbung ein Markenversprechen aufzubauen, das sich für die Verbraucher nach dem Kauf nicht erfüllt. Insofern ist die hohe Erwartung des Käufers in das Markenprodukt berechtigt und wird in der Realität in der Mehrzahl der Fälle auch bestätigt. Der Umkehrschluss, dass No-Name-Produkte qualitativ minderwertig sind, ist selbstverständlich nicht zulässig. Allerdings ist es mitunter hier für den Verbraucher aufwendiger, die Qualität vor dem Kauf zu beurteilen.
Aus ökonomischer Sicht erfüllen Marken vor diesem Hintergrund eine weitere Funktion, indem sie die sogenannten Transaktionskosten der Käufer, insbesondere deren Informations- und Zeitkosten senken. Statt des aufwendigen Studiums von Testberichten oder anderen Informationsquellen wird von eiligen Konsumenten z.B. der Winterreifen oder das Smartphone eines Markenherstellers bevorzugt. Diese Entscheidung fungiert gleichsam als Garantie dafür, ein bestimmtes Qualitätsniveau und den aktuellen Stand der Technik zu kaufen. Der eventuelle Preiszuschlag dieser Produkte gegenüber vergleichbaren „No-Names“ kann ökonomisch in der tatsächlichen Produktqualität begründet liegen. Er kann aber aus Verbrauchersicht frei nach dem Motto „Zeit ist Geld“ auch deshalb akzeptabel sein, weil ihm die verringerten Informationsund Zeitkosten gegenüberstehen.
Mit anderen Worten: Es ist nicht nur auf der emotionalen, sondern auch auf der rationalen Ebene zu begründen, warum viele Menschen bei wichtigen Kaufentscheidungen auf Marken setzen.
Spezialfall Arzneimittel
Wenn es um die Gesundheit und die Verwendung von Arzneimitteln geht, kommt Werten wie Vertrauen und Sicherheit eine ganz besonders hohe Bedeutung zu – und diese Werte werden mit Marken verknüpft. Folgerichtig ist gerade die Selbstmedikation, bei der die Verbraucherentscheidung für den Kauf maßgeblich ist, von Markenprodukten dominiert. In allen großen Indikationsbereichen sind die Top-10-Präparate aus der TV- oder Printwerbung bekannt und für den Großteil der Umsätze verantwortlich. Nicht ohne Grund entfällt auch der neben „Coca-Cola“ über alle Warengruppen hinweg weltweit bekannteste Markenname auf ein OTC-Präparat: Aspirin.
Gerade bei der Arzneimittelanwendung spielt der Glaube des Verbrauchers an das Produkt eine große Rolle. Zunächst basiert die Entscheidung, überhaupt ein Arzneimittel – und dann noch im Rahmen der Selbstmedikation – einzunehmen, auf dem Vertrauen in die Wirksamkeit und Sicherheit des Präparats. Ob das Mittel dann tatsächlich wirkt – auch unter dem Gesichtspunkt möglicher Placeboeffekte – und ob der Anwender die nötige Compliance aufbringt, basiert wiederum entscheidend auf den Erwartungen und der Einstellung des Verbrauchers zu dem Arzneimittel. Zusammengefasst kann somit der Nutzen des Arzneimittels unter Alltagsbedingungen neben den pharmakologischen Eigenschaften nicht unmaßgeblich von dem Markenbild und Produktimage des Präparats abhängen. Auch insofern leistet die Marke unter Umständen einen für den Behandlungserfolg und somit das Verbraucherinteresse bedeutsamen Beitrag.
Betriebswirtschaftliche Aspekte
Offensichtlicher und unmittelbarer als der verbraucherpolitische Aspekt von Markenpräparaten stellt sich die Betrachtung von Marken aus der betriebswirtschaftlichen Sicht einer Apotheke dar. Das positive Image von Markenpräparaten überträgt sich auf die Apotheke ebenso, wie umgekehrt die Arzneimittel im Apothekensortiment von dem positiven Umfeld und Gesamtbild ihres Vertriebsorts profitieren. Vor diesem Hintergrund bietet eine Reihe von Herstellern insbesondere im Bereich von Nahrungsergänzungsmitteln und Kosmetika, aber auch von nicht-apothekenpflichtigen Arzneimitteln ihre Präparate exklusiv nur in der Apotheke an.
Verbraucherumfragen belegen immer wieder, dass mit dem Vertriebsort Apotheke eine höhere Qualität und Wirksamkeit der verkauften Präparate assoziiert wird, als dies bei anderen Absatzstätten der Fall ist. Zugleich tritt für bestimmte Kundengruppen der Preis als Entscheidungskriterium für den Kauf häufig in den Hintergrund. Hieran wird deutlich, dass die Apotheke selbst, mit ihren klassischen Erscheinungs- und Wiedererkennungsmerkmalen sowie ihrem hochqualifizierten pharmazeutischen Personal, zur Marke geworden ist. Das „Apotheken-A“ als weithin sichtbares und positives Logo dieser Mar–ke steht für wirksame, sichere und qualitativ hochwertige Produkte, die mit einer unabhängigen und professionellen Beratung abgegeben werden. Insofern passt die Apotheke zu ihren Marken und die Marken passen zur Apotheke.
Unter den Gesichtspunkten der Rentabilitäts- und Deckungsbeitragsrechnung sprechen die günstigeren Kennzahlen der tendenziell höherpreisigen Markenpräparate dafür, die Markenorientierung der Apotheken im OTC-Segment nicht zu vernachlässigen. Gleichzeitig muss die Apotheke den unterschiedlichen Kundeninteressen und -präferenzen gerecht werden, indem für preissensible Käuferschichten, die mit der Markenalternative nicht den entsprechenden Mehrwert verbinden, ein attraktives Sortiment generischer Präparate bereitgehalten wird. Nur so können auch diese Kunden zufriedengestellt und an die Apotheke gebunden werden. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund konkurrierender Vertriebswege, die zum Teil stark auf den Preis fokussieren.
Fazit: Marken sind eine gute Empfehlung
Aus betriebswirtschaftlicher Sicht der Apotheken sind Marken sowohl unter Rentabilitäts- als auch unter Marketinggesichtspunkten sinnvoll und wichtig. Die vielfach unter dem pharmazeutischen Personal verbreitete Zurückhaltung oder gar Scheu, dem Kunden bei der Beratung im Handverkauf ein Markenpräparat zu empfehlen, obwohl es doch das „Gleiche auch billiger gibt“, ist oft unbegründet. Die Produkte unterscheiden sich – jedenfalls aus Sicht der hierfür empfänglichen Käufergruppen – eben gerade durch die beschriebenen Eigenschaften einer Marke von einem wirkstoffgleichen generischen Präparat. Diese Unterschiede können für den Verbraucher im Arzneimittelbereich – mehr noch als in vielen anderen Konsumgüterbereichen – relevant und Nutzen stiftend sein. In diesen Fällen gilt für das betreffende Präparat ebenso wie für die Apotheke selbst: Die Marke ist nicht immer der billigste, aber oft ein schneller und guter Weg zu einer zuverlässigen Selbstmedikation.
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2012; 37(06):9-9