Prof. Dr. Reinhard Herzog
Der Markt der Medizinprodukte ist vielgestaltig; von der Spritze über Verbandstoffe bis hin zu künstlichen Gelenken, Stents und Zahnfüllmaterialien reicht das Spektrum. Auch die gesamten bildgebenden Diagnosegeräte und Dialyseapparate fallen hierunter, neben medizinischen Instrumenten oder Seh- und Hörhilfen aller Art. Damit sind viele Produkte per se nicht in der Apotheke beheimatet.
Die Medizintechnik ist international mit bekannten Firmennamen wie Baxter, B. Braun, Dräger, General Electric, Johnson&Johnson, Medtronic, Philips, Roche oder Siemens vertreten, teilwei‑ se lediglich in entsprechenden Healthcare- oder Diagnostika-Sparten. Der Weltmarkt dürfte 2012 um 300Mrd.US-$ betragen (Pharmazeutika zu Herstellerpreisen: gut 900Mrd.US-$). In Deutschland setzten die hier produzierenden Medizintechnikunternehmen 2010 rund 20 Mrd.€ um, davon gut ein Drittel im Inland, der überwiegende Teil geht aber mit weiter steigender Tendenz in den Export.
Gute Berufsaussichten
Mit rund 175.000 Beschäftigten in den Firmen und etwa 30.000 bis 35.000 im nachgelagerten Handel kommt die Medizintechnik schon recht nahe an die Pharmabranche heran (Beschäftigte in reinen Pharmabetrieben mit über 20 Mitarbeitern 2010: 103.000, mit Kleinbetrieben und pharmazeutischen Betriebsteilen rund 130.000; in Apotheken: etwa 148.000 inklusive Inhaber, hier aber nicht auf Vollzeitstellen umgerechnet). Die Zunahme an Beschäftigten in der medizintechnischen Industrie ist beachtlich (plus 12 % von 2000 bis 2008), während in der Pharmaindustrie eher Stellen verloren gehen und auch in den Apotheken Sättigungstendenzen unverkennbar sind. Die Berufsaussichten können also im medizintechnischen Bereich als gut gelten.
Bei der Zahl der Patente hält die medizintechnische Industrie übrigens eine Spitzenstellung in der EU. Nähere Brancheninformationen finden sich u. a. beim Bundesverband Medizintechnologie (www.bvmed.de). Preisdruck und höhere Rohstoffkosten wirken sich jedoch auf die Margen aus; zudem droht das Damoklesschwert der bürokratischen Überregulierung. Die Zulassungshürden sind in Europa allerdings (noch) wesentlich leichter zu nehmen als in den USA, wo ausschließlich die mächtige FDA über die Zulassung entscheidet.
Betrachtet man die Ausgabenseite, dann ergibt die Aufstellung des Statistischen Bundesamts für das Jahr 2010 (Gesundheitsausgabenstatistik) folgende Zahlen zu Endverbraucher- bzw. Kostenträgerpreisen, also brutto:
- Arzneimittel inklusive Verbandmittel 46,3Mrd.€, davon Verbandmittel ca. 1,0Mrd.€,
- Hilfsmittel 14,2Mrd.€,
- Zahnersatz inklusive Laborkosten 6,5Mrd.€ sowie
- sonstiger medizinischer Bedarf 12,1 Mrd. €.
Die Ausgaben für Medizinprodukte und verwandte Erzeugnisse inklusive Verbandmittel, Zahnersatzmaterialien und entsprechende technische Laborleistungen betrugen 2010 immerhin 33,8Mrd.€, 2008 waren es noch 30,5Mrd.€. Hier besteht also eine erhebliche Wachstumsdynamik. Die Bereiche, in denen die Apotheken schon heute aktiv sind bzw. die künftig interessant werden könnten, sind natürlich viel kleiner. Hier steht ein niedrig einstelliger Milliardenbetrag an, im Vergleich zum Tierarzneimittelmarkt (siehe AWA-Ausgabe vom 15. April 2012, Seite 5 bis 7) handelt es sich gleichwohl um deutlich größere Marktsegmente.
Zukünftige Herausforderungen
Um die künftig wohl erheblich größer werdende Rolle der Medizintechnik besser zu verstehen, lassen Sie uns kurz einen Blick auf die kommenden Herausforderungen werfen, die nicht zuletzt auch die Rolle der Apotheken maßgeblich tangieren werden.
Fachleute wissen: Die deutlich zunehmenden Kostenprobleme des Gesundheitswesens resultieren erstaunlicherweise nur zu einem geringen Teil aus dem demografischen Wandel und weit überwiegend aus dem medizinischen Fortschritt. Und hier stehen wir vor regelrechten „Fortschrittsfallen“: Ein bedeutender Teil der Gesundheitskosten eines Menschen (die publizierten Werte reichen bis gut 50 %) fällt in seinen letzten zwei Lebensjahren an, das meiste davon oft in den allerletzten Lebensmonaten. Ursache ist die Hightech-Medizin, deren Nutzen jedoch vielfach begrenzt ist.
Weiterhin bedeutet medizinischer Fortschritt heute oft nur die verbesserte Therapie chronischer Erkrankungen ohne echte Heilung bzw. den Gewinn einiger Lebensmonate oder vielleicht auch Lebensjahre beispielsweise bei einer Vielzahl der Krebsfälle, die sich nicht vergleichsweise einfach chirurgisch kurieren lassen. Die Kosten für diese immer komplexeren Therapien explodieren.
So zynisch es klingt: Die Ausgaben z. B. für die moderne Chemotherapie sprengen nur deshalb nicht jedes Gesundheitsbudget, weil ihre Wirkung eher bescheiden ist. Gelänge es tatsächlich, Krebs als chronische Erkrankung zu therapieren und den Menschen eine im Wesentlichen normale Lebenserwartung zu ermöglichen (wie beispielsweise bei Diabetes), käme Jahr für Jahr eine deutlich sechsstellige Zahl an Patienten mit heutigen Jahrestherapiekosten jenseits der 50.000€ hinzu. Was das wirtschaftlich heißt, kann sich jeder ausmalen. Wir reden hier langfristig von sehr hohen Milliardenbeträgen, an deren Finanzierbarkeit erhebliche Zweifel erlaubt sind. Somit besteht die Wahl, diese nicht kausalen „Stand-by-Therapien“ drastisch zu verbilligen (und zwar nicht nur um 20 % oder 25 %), oder es kommen Alternativen auf den Plan.
Und hier sind wir beim Thema: Schon heute haben wir eine Vielzahl an Therapien, die ein überraschend gutes Kosten-Nutzen-Verhältnis aufweisen. Bei den Arzneimitteln sind es oft sogar noch die „Klassiker“ wie Antibiotika, Impfstoffe, Schmerzmittel u. a., während es bei den Pharmaka neuester Generation schon eher kritisch wird, siehe oben.
Gute Kosten-Nutzen-Relation bei technischen Innovationen
Sehr gute Relationen sehen wir dagegen häufig bei technischen Innovationen: Ob die künstliche Linse, die in wenigen Minuten bei Kataraktoperationen eingesetzt wird, moderne Stents, künstliche Gelenke (sofern die Indikation zur Operation nicht zu weit gestellt wird), zahlreiche Innovationen im OP-Saal, von der minimalinvasiven Chirurgie über Laserskalpelle bis hin zu Robotersystemen in der Neurochirurgie – der Fortschritt wird hier im wahrsten Sinne greifbar. Die Kosten können zwar im Einzelfall ebenfalls beträchtlich sein, verblassen aber hinter den Aufwendungen für eine jahre- oder jahrzehntelange Therapie chronischer Leiden.Blicken wir in die fernere Zukunft: Wäre es nicht ein gewaltiger Fortschritt, wenn eines Tages ein „Zellular-Scanner“ Krebszellen bereits entdeckte, bevor sie sich überhaupt millionenfach in Form eines Tumors konzentriert haben? Und es selektive Methoden gäbe, sie rasch und preisgünstig zu eliminieren? Jedenfalls erscheint dies langfristig chancenreicher, als gegen eine oft jahrelang fehlgelaufene Zellregulation antreten zu wollen, was heute mangels Alternativen versucht werden muss.
Nicht zuletzt ergänzen und beflügeln sich klassische Pharmazie und Technik immer stärker, man denke an künftige elektronische Freigabesysteme, nadelfreie Injektionssysteme, verschiedenste Ansätze des „Drug Targeting“ und vieles mehr.
Nun, dieser kleine Abriss sollte Ihnen ausreichend illustriert haben, dass die Medizintechnik aus sehr guten Gründen vor einer großen Zukunft steht; die klassischen Pharmazeutika werden, trotz eigentlich ebenfalls guter Perspektiven, einer viel intensiveren Kosten-Nutzen-Diskussion ausgesetzt sein. Das gilt insbesondere, solange sie keine echte Heilung versprechen, sondern langfristig verabreicht werden müssen. Damit wird klar: Die Apotheke der Zukunft darf die zahlreichen Technik-Trends nicht verpassen!
Zurück in die Gegenwart
Nun, bis zum „Zellular-Scanner“ (in der Apotheke!?) ist es noch ein sehr weiter Weg. Die Tech‑nisierung hinterlässt aber bereits jetzt auf der Ebene der „consumer products“ ihre klaren Spuren:
- Die Zahl der für den Endkunden geeigneten Tests hat sich erheblich erhöht – bis hin zu Gentests für einige Hundert Euro, die verschiedenste Krankheitsrisiken, aber auch die Verträglichkeit von Arzneimitteln und die genetisch bedingten Wirksamkeitsvoraussetzungen („Pharmakogenomik“) aufzeigen.
- Nicht zu vergessen sind in diesem Zusammenhang zahlreiche Softwareprogramme und zunehmend „Apps“. Doch welche Apotheke hat hier einen Überblick? Insbesondere sollte es bei den Programmen darum gehen, auf die Interessen und die Neugier des Kunden an seinem Körper einzugehen und nicht nur angebotsorientierte Werbung auf neuen Kanälen zu machen.
- Wir haben heute eine Vielzahl an Mess- und Diagnosegeräten für den Hausgebrauch zu überschaubaren Preisen, die über die „Klassiker“ Blutdruck- und Blutzuckermessung weit hinausgehen.
- Und natürlich gibt es auch zahlreiche Therapie- und Wellnessgeräte (mit oft fließendem Übergang) für den Gebrauch zu Hause.
Leider ist es der großen Mehrzahl der Apotheken bisher noch nicht gelungen, hier ein klares Profil zu entwickeln. Demzufolge spielt sich bereits heute vieles im Internet ab (Seiten wie www.wellango.de vermitteln einen ersten Eindruck) und selbst die Auswahl an medizintechnischen Geräten bei einem Media Markt übersteigt oft die einer normalen Apotheke bei Weitem.
Indes hat die Welt der Technik auch ihre Besonderheiten. Sie ist schnelllebig. Das Risiko von „Ladenhütern“ ist erheblich. Der Beratungsaufwand kann sehr hoch sein. Der Preis spielt bei technischen Geräten stets eine Rolle, siehe Computer, Flachbildschirme etc. Anderseits sind die Menschen bereit, hier erhebliche Beträge zu investieren – der Siegeszug von Apple mag als Beispiel genügen.
Starke Partner gefragt
Die Apotheke braucht deshalb leistungsstarke Partner – hinsichtlich Marktüberblick und Produktselektion (Sie können alleine nicht den globalen Markt überschauen), auf der Einkaufsseite (günstige Bezugsquellen samt Logistik, gerade hier auch international) sowie auf der Serviceebene (Handling von Reparaturen, Gewährleistungsansprüchen sowie ggf. Installations- und Wartungsarbeiten). Nicht umsonst gibt es nur noch we-nige vollkommen eigenständige Elektrofachhändler. Die Apotheken mit ihrer Lieferanten- und Kooperationslandschaft könnten all diese Herausforderungen durchaus meistern.
Fazit: Was können Sie nun konkret tun?
Medizinprodukte verschiedenster Art sind ja bereits apothekenüblich – und nicht alle (siehe Hilfsmittel und Co.) machen unter Rentabilitätsaspekten Freude! Darüber hinaus gibt es aber die bislang noch wenig erschlossenen Produktsegmente, die weiter oben skizziert wurden und die sich vielfach in anderen Handelskanälen befinden. Hier ist Aufbauarbeit, idealerweise im Zusammenschluss mit den Lieferanten und Kooperationen, zu leisten.
Dann wären da noch die Zukunftsmärkte, Dinge wie jüngst in den Handel gekommene Gentests geben einen ersten Fingerzeig, was alles noch kommen mag. Hier hilft nur eines: die Augen offen halten, den Stand der Wissenschaft verfolgen und dafür Sorge tragen, dass diese Zukunftsprodukte nicht völlig an der Apotheke vorbeigehen.
Mit ihrem ortsnahen, bundesweiten, kompetenten Vertriebsnetz, dessen schon rein logistische Bedeutung bei aller Heilberufsausrichtung gerne unterschätzt wird, stehen die Apotheken als Partner zur Verfügung, an denen endkundenorientierte Firmen in der Zukunft nicht so einfach vorbeikommen sollten. Hierzu bedarf es aber des Willens der Apotheker, sich diesen Märkten weiter zu öffnen.
Manch Kollegin oder Kollege befindet sich noch am Anfang der Berufslaufbahn und einige Leser stehen vor der Frage, welchen Weg eigentlich ihr Nachwuchs einschlagen soll. Vor diesem Hintergrund ist der Medizintechnikmarkt ebenfalls einen näheren Blick wert. Die Zukunft wird ohne Zweifel – übrigens quer durch alle Lebensbereiche! – immer technischer und insbesondere von anspruchsvoller Hochtechnologie geprägt sein. Kluge Unternehmer erkennen die Chancen.
Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2012; 37(09):8-8