Prof. Dr. Reinhard Herzog
- Was möchte ich überhaupt am Ende meines Berufslebens, am Ende des Lebens erreicht haben?
- Wer profitiert von meinem Handeln und warum (nicht wenige werden feststellen, dass sie vor allem für andere arbeiten, beispielsweise das Finanzamt, die Angestellten, die Sozialkassen oder (Ex-)Partner)?
- Was soll am Schluss überhaupt übrig bleiben?
- Welchen Preis bezahle ich heute: zeitliche Belastung, Gesundheit, Lebensqualität?
- Welchen persönlichen Preis möchte bzw. kann ich mit meiner Konstitution aber dauerhaft entrichten?
Es sind also nicht nur nackte Zahlen, um die es geht. Im Gegenteil: Diese sind meist ganz gut beherrschbar. Vielmehr stehen zuerst einmal sehr persönliche Belange im Mittelpunkt, ja regelrechte Lebensanschauungen. Nicht jeder ist der Ansicht, dass man bis zum Lebensende hamstern muss, teilweise unter Selbstausbeutung, um seinen Nachkommen möglichst viel zu hinterlassen und sie bei jeder Gelegenheit zu „päppeln“. Das wird übrigens oft nicht einmal geschätzt oder belohnt; zudem haben angesichts heutiger Lebenserwartungen viele Kinder im Falle der Erbschaft bereits selbst ein vorgerücktes Alter erreicht. Und nicht wenige „Problemfälle“ resultieren daraus, dass die Nachkommen sich schon frühzeitig in die „soziale Hängematte“ des künftigen Erben gelegt haben. Wie auch immer die individuellen Schwerpunkte gesetzt werden – am Ende sollte eine zumindest grobe Zielvorstellung stehen:
- Welche betriebliche Bilanz stelle ich mir realistisch vor? Wo sollten der bzw. die Betriebe am Ende meiner Laufbahn stehen? Mit welchem „Nettowert“ abzüglich aller Schulden und eventuellen (grob umrissenen) Steuern kann ich rechnen?
- Wie sieht die Privatbilanz aus? Welches Nettovermögen nach Abzug aller Privatschulden und ggf. Steuern erscheint möglich bzw. entspricht meinen Zielvorstellungen? Welche laufenden Vermögenseinkünfte können daraus aus der bisherigen Erfahrung erwirtschaftet werden?
- Welche Renteneinkünfte werden die Basisversorgung darstellen? Welche Zahlungen müssen dafür noch geleistet werden? Ist es besser, auf die Rentenversicherung zu vertrauen, oder sollten die Beiträge möglichst reduziert werden, weil Sie eher auf Ihr eigenes Können bei der Geldanlage bauen?
- Angesichts des heutigen Ökonomisierungsdranges in allen Lebensbereichen ist selbst eine „Familienbilanz“ opportun: Wie geht der Nachwuchs in meine Berufs- und Finanzplanung ein? Das mag man für unangemessen oder auf die Spitze getriebenen Materialismus halten; angesichts der Beträge, die zu Buche stehen (ein Kind kostet statistisch rund 150.000€ bis zum Berufseintritt), kann dies jedoch in einer seriösen Zukunftsplanung nicht außen vor bleiben, und wenn es nur in Form entsprechend höherer privater Lebenshaltungskosten berücksichtigt wird.
Um diese Ziele zu verfolgen, empfiehlt sich eine strikte Bilanzierung des betrieblichen und des privaten Bereichs. Mit einer regelmäßigen, ehrlichen „Inventur“ aller Vermögenswerte und dagegen stehender Schulden haben Sie die größte Chance, Ihre Vorstellungen zu realisieren. Nicht zuletzt entscheidet der bereits erreichte Vermögensstatus über das weitere Vorgehen und die Risiken, die noch eingegangen werden dürfen.
Aller Anfang ist schwer und „die erste Million am mühsamsten“. Nicht ganz falsch ist daher der Spruch: Wer nichts hat (und nichts zurücklegt), kann letztlich nur arbeiten. Wer wenig hat, muss spekulieren und Risiken eingehen, wenn er irgendwann dem Hamsterrad entfliehen will. Wer viel hat, darf nicht mehr spekulieren, sondern muss klug und nachhaltig investieren.
„Spekulieren“ wollen wir hier im erweiterten Sinne verstehen, nämlich in Form einer höheren Risikobereitschaft bei gleichzeitig größeren Gewinnmöglichkeiten. Damit ist auch der betriebliche Bereich gemeint, nicht nur die Anlage in Aktien, Wertpapieren, Beteiligungen etc.
Wenn Sie beispielsweise einen langjährig sehr gut geführten Betrieb für einen stolzen Preis übernehmen, kaufen Sie sich vor allem einen halbwegs gesicherten Arbeitsplatz, der Ihnen ein ordentliches Einkommen bescheren mag. Jedoch arbeiten Sie für andere, insbesondere die Bank und den Voreigentümer. So richtig gewinnträchtig ist das oft nicht; im Gegenteil, einmal gekaufte Firmenwerte haben sich in letzter Zeit dramatisch verflüchtigt. Eine Honoraraufbesserung mag diesem Verfall demnächst etwas entgegenwirken. Trotzdem: Diese Modelle gehen zwar halbwegs auf in dem Sinne, dass Sie nicht notleidend werden; eine lohnende unternehmerische Mehrrendite zu einer gut bezahlten Angestelltentätigkeit erzielen Sie aber vielfach nicht. Erst recht nicht, wenn Sie die Arbeitszeit und die Lebensqualität einbeziehen.
Solche Renditen erreichen Sie nur mit Risiko und Mut: mit einer cleveren Neugründung (wobei man da sorgfältig hinschauen muss!), der Erschließung einer Marktlücke oder der Übernahme eines abgewirtschafteten Betriebs „gegen Warenlager“, dessen Standortbedingungen aber stimmen, also eine „Turnaround-Story“.
Abwägung von Gewinnen und Verlusten
Einer der spannendsten Erfolgsfaktoren auf dem Weg zur Optimierung des Lebenseinkommens ist in der Tat der Umgang mit Gewinn- und Verlustrisiken und deren möglichst zutreffende Abwägung. Einerseits können Sie sich mit kleinen, aber sicheren, überschaubaren Schritten kontinuierlich vorarbeiten: das Modell „Sparbuch“. Hier brauchen Sie vor allem eines: viel Zeit und regelmäßige Sparleistungen. Wer jeden Monat 500€ zurücklegt, und das 30 Jahre lang zu 2% Zinsen, hat am Ende etwa 245.000€. Mit 2% Inflation schmilzt dieser Betrag aber real auf rund 135.000€ ab. Bei 5% Rendite ergeben sich 408.000€, real 225.000€. Mit 7,5% sind es gar 641.000€ bzw. inflationsbereinigt 354.000€. Steuern auf die Zinsen reduzieren den Anlageerfolg beträchtlich. 26,4% Abgeltungssteuer inklusive „Soli“ mindern das Endkapital im Beispiel trotz stolzer 7,5% Vorsteuerrendite auf erheblich geschmälerte 447.000€ (real: 247.000€)! Wer der Inflationsfalle entkommen will, der passe seine Sparrate konsequent jedes Jahr an, erhöhe sie also z.B. um besagte 2%. Analoges gilt, um die Steuern zu kompensieren.
Das ist das berühmte Zinseszinsmärchen: Das Vermögen wächst laufend dank hoher Rendite. Viele Anbieter von Finanzprodukten versprechen dies. Die Realität sieht anders aus, wie gerade zurzeit zu sehen ist. Mit der Methode „Sparbuch“ (alternativ: Bundesanleihen etc.) erhalten Sie nicht einmal den Geldwert, so niedrig sind die Zinsen. Er schrumpft sogar.
Um dem zu entkommen, müssen Sie höhere Risiken eingehen, in jedem Fall aber cleverer agieren und sich mehr um Ihre Geschäfte kümmern. Das geht anderen genauso, folglich schauen viele nach Alternativen. „Blasenbildungen“ in bestimmten Anlageklassen, seien es Immobilien, Rohstoffe oder teilweise Aktien, sind die logische Folge. Umgekehrt waren Kredite selten so billig wie heute, was für einen stärkeren unternehmerischen Part spricht: Investieren in die eigene Betriebszukunft.
Doch wie wägen Sie Chancen und Risiken gegeneinander ab, um sich eben nicht mühsam in kleinen Renditeschritten, sondern mit größeren Sprüngen vorwärtszubewegen?
Sie kommen leider um eines nie herum: um die Beurteilung der Zukunft, um Prognosen – mit allen Unsicherheiten und Irrungen, ob bei der Bewertung einer Kapitalanlage, einer Filiale oder einer Modernisierung.
Beispielrechnung für Gewinn- und Verlustrisiko
Dazu müssen Sie eine Vorstellung von der Gewinn- und Verlustseite bekommen: Wie hoch ist der mögliche Verlust (also die maximal mögliche Einbuße =V)? Und wie hoch schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit dafür ein (=p V )? Wie sieht auf der anderen Seite der erwünschte Gewinn aus (=G)? Wie wahrscheinlich ist dieser (=p G )? Dann gibt es in aller Regel noch den Bereich „dazwischen“: Gewinne oder Verluste fallen geringer als erwartet aus.
Das Verlustrisiko R V ergibt sich aus möglicher Verlusthöhe mal der Eintrittswahrscheinlichkeit: R V = V x p V , und das gilt analog für die Gewinnchance: R G = G x p G . Entscheidend ist jetzt das Verhältnis von Gewinnchance und Verlustrisiko (R G /R V ): Es sollte stets deutlich größer als eins sein.
Nehmen wir als Beispiel eine Filiale mit einem Gesamtkaufpreis von 250.000€. Sie gehen davon aus, dass Sie mindestens eine 50%-Chance haben, 20% Ihres Investitionskapitals auf Sicht eines Jahres zu erwirtschaften (=50.000€ Gewinn p.a.). Umgekehrt ist der Worst Case die Abwicklung zum Sach- und Warenlagerwert, was ein Verlustrisiko von 70% bedeuten soll. Dessen Eintrittswahrscheinlichkeit schätzen Sie auf allenfalls 10%.
Damit sind, in absoluten Anteilen ausgedrückt, R G = 0,5 x 0,2 = 0,1 und R V = 0,7 x 0,1 = 0,07. Das Verhältnis R G /R V beträgt etwa 1,4, also über 1, aber nicht allzu weit darüber. Das Verlustrisiko ist im Grunde noch zu hoch.
Genau das ist der entscheidende Punkt: Hohe Verluste können den Weg zum angepeilten Lebenseinkommen empfindlich erschweren. Eine entsprechende „Delle“ aufzuholen, kostet viel Mühe und wirft Sie zeitlich zurück – nicht selten um Jahre! Das ist tunlichst zu vermeiden oder zumindest mit Verlustbegrenzungsstrategien (Stop-Loss) unter Kontrolle zu halten.
Chancen und Risiken von Wertanlagen
Dies ist ein einfaches Beispiel dafür, wie man nicht nur auf das Bauchgefühl hört. Wenn es um Wertpapiere, beispielsweise Anleihen, geht, lässt sich das gefürchtete Ausfallrisiko anhand der Ratingnoten quantifizieren. Ein Rating im A-Bereich steht für ein Ausfallrisiko von deutlich unter 1% pro Jahr, im B-Bereich kann dies durchaus auf 5% klettern. Eine mehr oder weniger hohe Renditedifferenz zu „sicheren“ Bundesanleihen wird eben mit größerem Risiko erkauft. Die Prämien für Ausfallversicherungen (Credit Default Swaps, CDS) sind auch ein Indikator.
Bei Immobilien sind die Korridore der Wertentwicklungen, die laufenden Kosten sowie die Einnahmen meist ebenfalls gut kalkulierbar – wenn man sich damit näher beschäftigt. Zu achten ist auf außergewöhnliche Kostenrisiken wie eine Sanierung.
Zusammengefasst: Für gängige Wertanlagen gibt es durchaus genügend Daten, die das Abwägen von Chance und Risiko erlauben.
Verantwortung übernehmen
Was heißt das nun? Zuerst: Mehr Verantwortung für das eigene „Value-Management“ übernehmen. Und im Gefolge: mehr denken und vielleicht lieber etwas weniger arbeiten. Kunden bedienen lassen können Sie zu Stundenpreisen von knapp 20€ bis gut 40€, je nach Qualifikation. Eine Stunde nachgedacht oder mit den richtigen Leuten geredet, sollte erheblich mehr einbringen. Damit steigen Ihre Chancen, dem Hamsterrad zu entfliehen, unabhängiger, mündiger und eigenverantwortlicher zu werden. Das kann man gerade einem Berufsstand, der so fremdbestimmt ist, aber selbst auch gerne nach Regulierung ruft, nicht oft genug ins Stammbuch schreiben.
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2012; 37(12):5-5