Prof. Dr. Reinhard Herzog
„The trend is your friend“
In der Auswertung etwas komplizierter, in der Wirkung jedoch ähnlich erfolgreich ist die sog. Momentum-Strategie. Sie basiert auf einer ganz einfachen Börsenregel: Was bisher gut gelaufen ist, wird auch künftig gut laufen. Entsprechend werden aus einer vorgegebenen Anzahl von Aktien, z.B. aus den 30 Werten des DAX, diejenigen Papiere ausgewählt, die in einem festgelegten Zeitraum der Vergangenheit, z.B. im letzten Börsenjahr, die größten Gewinne gebracht haben. „Erfinder“ dieser Strategie ist Robert Levy, der bei 200 Aktien jeweils die Schlusskurse der letzten 26 Wochen (= halbes Börsenjahr) zusammenzählte, das Ergebnis durch 26 teilte und so den Durchschnittskurs erhielt. Im zweiten Schritt setzte er den aktuellen Kurs ins Verhältnis zum Durchschnittskurs. Lag also der Durchschnitt z.B. bei 40€ und kostete das Papier aktuell 50€, errechnete sich daraus eine Relative Stärke (RSL) von 1,25. Nun mussten nur noch die Werte mit den höchsten Ergebnissen gekauft und die Papiere mit den niedrigsten Zahlen verkauft werden. Da viele Anleger auf die bisher erfolgreichsten Titel setzten, würde der Herdentrieb für entsprechende Gewinne sorgen.
Die Ergebnisse können sich in der Tat sehen lassen: Je nach Aktienauswahl sind Erfolgsquoten zwischen 60% und 80% durchaus üblich – wobei die Treffsicherheit bei Nebenwerten wie etwa den MDAX-Titeln erfahrungsgemäß größer ist als im Standardwertebereich. Auch der Aufwand hält sich in Grenzen, wenn man z.B. die Zahlenangebote von Onlinebrokern oder aber ein eigenes PC-Programm zur Aktienanalyse nutzt. Allerdings erfordert die Momentum-Strategie wesentlich häufigere Transaktionen als etwa die AWA-Dividendenstrategie: Um sinnvoll zu agieren, müssen Depotanpassungen möglichst wöchentlich, zumindest aber monatlich vorgenommen werden.
Nicht übersehen werden dürfen jedoch auch die Risiken: Die Momentum-Strategie basiert auf der Annahme, dass ein erfolgreicher Aktienwert so lange weiter im Kurs steigt, solange der Trend nicht eindeutig gebrochen wird. Kommt es an der Börse aber zu einem allgemeinen Rückschlag, sind es oft gerade die zuvor besonders erfolgreichen Werte, die jetzt stark unter Druck geraten. Die Strategie eignet sich daher vorrangig in Zeiten stagnierender oder steigender Kurse, in einer Baisse kann sie indes gefährlich werden. Nachteilig ist zudem der vergleichsweise große Zeitaufwand und schließlich müssen auch die Gebühren im Fall häufiger Depotumschichtungen bedacht werden. Experten raten daher zu einem eher selektiven Handel, bei dem nur solche Papiere zum Kauf ausgewählt werden, die zu den besten 5% bis 10% der Rangliste zählen.
Auch der Analysezeitraum spielt eine Rolle: Basieren die Berechnungen z.B. nur auf 5, 20 oder 50 Tagen, werden Depotumschichtungen schneller erforderlich als bei einer RSL-Basis von 200 bis 250 Tagen. Dafür sind die Risiken eines zu spät erkannten Trendumschwungs jedoch im langfristigen Bereich wesentlich größer, denn schließlich können sich auch angeschlagene, aber zuvor sehr erfolgreiche Werte meist noch eine gewisse Zeit in der Spitzengruppe halten.
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2012; 37(13):14-14