Ute Jürgens
Introvertierte müssen extravertiertes Verhalten vorbereiten
Introvertierte dagegen arbeiten am liebsten alleine, gewissenhaft, langsam und stetig eine Aufgabe nach der anderen ab, sie besitzen ein starkes Konzentrationsvermögen und hören dem Kunden so lange zu, bis sie genau im Bilde sind und gezielt beraten können. Sie denken länger nach bevor sie sprechen, sind im schriftlichen Ausdruck oft besser als im mündlichen und einfallsreich im kreativen Bereich. Informationen werden gründlich verarbeitet. Viele von ihnen sind hochsensibel, haben ein stark ausgeprägtes Gewissen und vermeiden Risiken, Misserfolge und Gefahren. Gespräche drehen sich eher um tiefere Dinge, Small Talk ist überflüssig. Sie sind durchaus fähig, sich in entsprechenden Situationen extravertiert zu verhalten, wenn sie sich darauf vorbereiten können. Vorträge zu halten oder Teamsitzungen zu leiten ist also nicht nur für Extravertierte möglich.
Die hier dargestellten Eigenheiten sind meist nicht in Reinkultur zu finden, durch die Lebenserfahrung und Gewöhnung an häufig wiederkehrende Situationen lernen wir auch, Fähigkeiten vom anderen Typus zu übernehmen. Einen Test zum Thema „Introvertiert oder extravertiert“ findet man im Internet unter www.leise-menschen.com.
Umsetzen bei der Mitarbeiterführung
Auch was die Motivation angeht, reagieren beide Typen unterschiedlich. In „Still. Die Bedeutung von Introvertierten in einer lauten Welt“ beschreibt Cain, dass Extravertierte eher belohnungssensitiv sind, empfänglich für Ruhm und Reichtum. Introvertierte sind vermeidungssensitiv: Sie versuchen, Unangenehmes wie Fehler, Ärger, Auffallen und Ähnliches zu vermeiden, und schätzen die Sicherheit.
Als Apothekenleiter stellt man sich in seinem Verhalten am besten darauf ein. Man sorgt für Sicherheit, gibt immer wieder einmal zu verstehen, dass der Arbeitsplatz weder grundsätzlich noch nach kleinen Fehlern gefährdet ist, und lässt den Introvertierten Zeit, um sich auf Herausforderungen vorzubereiten.
Verdeutlicht man ganz selbstverständlich, dass man „leisen Leistern“ auch das Lösen schwieriger Aufgaben zutraut, wachsen diese häufig über sich hinaus. Ruhe und unterbrechungsfreies Arbeiten sollten gewährleistet sein. Zu kurzfristige Änderungen bezüglich Arbeitszeiten, Versetzen in die Filialapotheke oder bei den Urlaubsplänen können zu Leistungsabfall führen. Konfliktgespräche verursachen Druck und Angst, daher sollte man nachgeben, wenn eine Verschnaufpause gewünscht wird, oder diese selbst anbieten. Das vermittelt Ruhe und Sicherheit. Dabei muss aber klar sein, dass das abgebrochene Gespräch in absehbarer Zeit wieder aufgenommen wird.
Wie schon mehrfach im AWA erwähnt, ist ein breites Spektrum an Persönlichkeiten in einem Team wertvoll, da auch die Kunden unterschiedlich strukturiert sind. Im HV wird jeder Typus gebraucht, Stammkunden suchen sich das passende Gegenüber.
Frühwarnsystem bei aufwendigen Investitionen
Teamsitzungen in der Mittagspause oder nach der Arbeit sind für Introvertierte schwierig, weil sie nach Stunden in Gesellschaft Zeit für Rekreation brauchen, um sich wieder aufzuladen. Derjenige, der die Versammlung moderiert, sollte gezielt bei den Introvertierten nach ihrer Meinung oder Einschätzung fragen und verhindern, dass andere sie unterbrechen oder den Redebeitrag wegwerfend aburteilen. Das angeborene Frühwarnsystem bei den Leisen ist gerade dann Gold wert, wenn das Team über Investitionen mit erheblichem finanziellem oder zeitlichem Aufwand mitentscheiden darf.
Zu welcher Fraktion gehört die Apothekenleitung?
Schätzt die Apothekenleitung, wenn beispielsweise beim Einkauf auch einmal Risiken eingegangen werden, weil das Produkt schön aussieht oder „der absolute Gag“ wäre? Dann überträgt man am besten auch einer extravertierten Angestellten den Einkauf. Möchte man grundsätzlich auf Nummer sicher gehen, sollte dies besser ein stiller starker Mitarbeiter übernehmen, der sich nicht von raffinierten Angeboten verleiten lässt.
Komplexe Probleme lösen die Leisen mit viel Übersicht über die Zusammenhänge am besten alleine, sie geben ihre Einschätzung auf Nachfrage im Zweiergespräch fundiert zur Kenntnis. Allgemein tendieren Extravertierte zur Überschätzung und Introvertierte eher zur Unterschätzung eigener Talente und Fähigkeiten.
Extravertierte sind in ihrem Element, wenn es um die Kontaktaufnahme mit neuen Firmen, der Presse, Praxen oder Physiotherapeuten geht, weil z.B. ein gemeinsames Projekt gestartet werden soll. Sich am „Tag der Apotheke“ auf die Straße zu stellen und Passanten zu einer Aktion einzuladen – hier ist der Extravertierte der Versierte.
Berühmte „Leiseleister“
Erfolg hat viele Gesichter, das strahlende und laute Lachen gehört genauso dazu wie das in sich gekehrte Lächeln oder ein konzentriertes Stirnrunzeln bei der Arbeit. Und beileibe nicht jeden der nachfolgend genannten berühmten „Leiseleister“ hätte man auf den ersten Blick für introvertiert gehalten: Albert Einstein, Frederic Chopin, Woody Allen, Angela Merkel, Loriot und Barack Obama – alles Persönlichkeiten, die den ganz großen Wurf alleine im stillen Kämmerlein kreiert und es gelernt haben, im Rampenlicht zu stehen.
Voneinander profitieren können beide Typen: Die Extravertierten schaffen es, ernste Themen anzuschneiden und „satt“ zu durchdenken, die Introvertierten genießen es, auch einmal auf einer unbeschwerten Ebene die Leichtigkeit des Seins zu spüren.
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2012; 37(21):8-8