Rüdiger Ott
Gewinner beherrschen Logistik und Internet-Marketing
Ihren Optimismus begründeten die Online-Start-ups damals mit ihren exzellenten Kenntnissen über EDV und über das Verhalten von Internetusern. Zudem prognostizierten sie, dass Menschen in naher Zukunft wohl nur noch „online shoppen“ gehen würden.Ihre wichtigsten Mitbewerber waren seinerzeit die traditionellen Versandhändler wie Otto-Versand und Quelle, die ihre Waren per Katalog anboten. Sie glaubten an eine erfolgreiche Zukunft, weil sie das Beherrschen der Logistik und die jahrelange Erfahrung im Versandgeschäft als elementare Erfolgsfaktoren sahen.
Die Gewinner dieser Marktentwicklung haben eines gemeinsam: Es ist ihnen gelungen, sowohl die Logistik als auch das Internetmarketing auf hohem Niveau zu betreiben.
Kunde erwartet Multichannel
Werfen wir einen Blick auf die Liste der erfolgreichen Online-Händler, so sehen wir, dass jeder zweite der 1.000 größten deutschen Shops auch stationäre Geschäfte hat (z.B. Tchibo und Weltbild). Zwei Drittel dieser sogenannten Multichannel-Unternehmen haben ihren Ursprung im stationären Handel. Das verbliebene Drittel war zunächst nur online aktiv und hat erst in der Folgezeit Ladengeschäfte eröffnet.
Offensichtlich sehen die Kunden also Stärken bei beiden Vertriebswegen und möchten jeweils „das Beste aus beiden Welten“. Experten behaupten, dass es nicht mehr eine Frage ist, ob der stationäre Einzelhandel auch in den Online-Handel einsteigt, sondern nur noch wann und wie. Denn der Kunde erwartet Präsenz auf allen Vertriebskanälen.
Umsätze nicht mehr trennbar
Die Annahme, dass die einen Kunden sich ausschließlich im Internet bewegen, während die anderen nur Ladengeschäfte bevorzugen, kann heute unter dem Kapitel „moderne Märchen“ abgelegt werden. Der Sachverhalt ist deutlich komplexer. Viele Kunden informieren sich im Internet, bevor sie im Laden kaufen. Andere sehen sich die Produkte im Geschäft an und bestellen später online. Auch Apothekenkunden nutzen beide Möglichkeiten nebeneinander. Der erhoffte Online-Umsatz landet derzeit leider nur zum Teil in der Vor-Ort-Apotheke.
Selbst große Multichannel-Unternehmen, die beide Vertriebswege parallel betreiben (z.B. Schuh Görtz), können heute die Umsätze nicht mehr exakt trennen. Die typische Frage nach dem Umsatzanteil des Onlineshops am Gesamtunternehmen ist daher nicht zuverlässig zu beantworten.
Kunden schätzen Onlineshopping
Die Argumente, die für das Onlineshopping sprechen, sind so vielfältig wie die Angebote und die Kunden selbst. Die größten Vorzüge sind:
- Zeitliche Flexibilität: Obwohl die verlängerten Öffnungszeiten das Planen von Einkäu-fen erleichtert haben, wird die 24-Stunden-Verfügbarkeit sehr geschätzt. Schließlich haben sich auch die Arbeitszeiten der Menschen verändert. Insbesondere Eltern bestellen gerne nach 21 Uhr.
- Größere Auswahl: Kein Einzelhandelsgeschäft und keine Apotheke kann vor Ort die Produktvielfalt und -verfügbarkeit bieten wie ein Internetshop. Manche Sport- und Schuhgeschäfte bilden maximal 10% ihres Sortiments im Laden ab.
- Möglichkeit, Produkte selbst zu gestalten: Bei mymuesli.com kann der Kunde sein eigenes Müsli kreieren und ihm einen Namen geben. Wer seinen Sportschuh individuell designen will, findet bei miadidas.de die Lösung. Dies ist ein Beweis dafür, dass trotz ausufernder Sortimente in allen Bereichen der Wunsch nach Selbstverwirklichung besteht.
- Hohe Transparenz: Nicht nur der Vergleich von Preisen, sondern auch Produktbewertungen von Usern und Kundenstimmen zu den Lieferanten geben eine große Sicherheit bei der Kaufentscheidung.
Bei derart vielen Vorteilen ist die Frage durchaus berechtigt, weshalb Kunden überhaupt noch in „normalen“ Geschäften einkaufen. Dafür scheint es ja nach wie vor genügend Gründe zu geben.
Kunden lieben Offlineshopping
Die Stärken des einen sind bekanntlich die Schwächen des anderen. So hat das „reale Shoppen“ etliche Eigenschaften, die das Internet nicht bieten kann.
- Mehr Erlebnischarakter: Im Vor-Ort-Geschäft können wir Produkte fühlen, tasten, riechen und manchmal sogar ausprobieren (z.B. Tees oder Kosmetika). Wir kommen mit Menschen zusammen und treffen vielleicht Gleichgesinnte zum Austausch.
- Eigenständiges Auswählen: Im Ladengeschäft kaufen wir nicht ein Foto, sondern das tatsächliche und gewünschte Produkt. Jeder, der gerne Obst und Gemüse einkauft, kann sich gut vorstellen, weshalb der Online-Handel mit Lebensmitteln nicht in Schwung kommt.
- Bessere Beratung: Ein gutes Beratungsgespräch ist auf das Gegenüber individuell abgestimmt. Das Wahrnehmen von Körpersignalen ist dabei ebenso wichtig wie die Einschätzung der intellektuellen Fähigkeiten. Das Gesprächsniveau wird angepasst und der Kunde kann gezielt nachfragen, wenn er es wünscht.
- Sichere Zahlungssysteme: Anders als in den USA stehen die Deutschen den Online-Zahlungsmethoden nach wie vor sehr skeptisch gegenüber. „Bargeld gegen Ware“ gilt immer noch als sichere Sache.
Betrachtet man, welche Faktoren der Kunde beim Einkaufen in Ladengeschäften schätzt, so ist schwer vorstellbar, dass das Internet in allen Bereichen das „reale Shoppen“ ersetzen kann.
Der Kunde kauft eine bestimmte Marke – egal wo
Die Entscheidung, ob der Kunde zukünftig online oder offline kaufen wird, hängt von mehreren Faktoren und Entwicklungen ab. Ist ein Produkt wenig beratungsbedürftig und als solches klar definiert, kann es gut im Internet vertrieben werden. Das ist der Grund, weshalb Bücher, CDs und Fahrkarten/Flugtickets die ersten Sortimente waren, die im Netz Erfolg hatten. Auf der anderen Seite ist auch nachvollziehbar, dass – jeweils aus verschiedenen Gründen – Bananen, kühlpflichtige Medikamente und exklusiver Schmuck wohl die letzten Produkte sind, die den neuen Vertriebskanal erobern werden.
Die wichtigste Erkenntnis der Multichannel-Unternehmen ist, dass Kunden online und offline bei Weitem nicht so stark unterscheiden wie die Unternehmen selbst. Kunden kaufen eine bestimmte Marke oder bei einer bestimmten Marke. Der Vertriebsweg ist für sie nicht wirklich relevant. Daher ist und bleibt die Apotheke als lokale Marke so erstrebenswert.
Fazit: Vertriebswege verzahnen
Der Kunde erwartet heute eine Präsenz seiner bevorzugten Produkte sowohl im Internet als auch im Ladengeschäft vor Ort. Beide Vertriebswege werden parallel genutzt. Je nach Situation und Produkt kauft er oder informiert er sich online oder offline. Die zukünftige Herausforderung für Vor-Ort-Apotheken besteht darin, diese beiden Vertriebswege perfekt miteinander zu verzahnen – sowohl hinsichtlich der IT als auch auf Mitarbeiterebene.
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2013; 38(02):8-8