Betriebsführung

Qualität erlebbar machen


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Obwohl in vielen Apotheken (inzwischen zwangsweise) ein hoher Aufwand für das Thema Qualität getrieben wird, ist es oft schwierig, den Kunden einen Mehrwert so zu vermitteln, dass sie tiefer in die Tasche greifen. Woran liegt das, was machen andere Branchen besser?

Dabei ist Qualität definitionsgemäß die Summe aller Eigenschaften eines Objektes, Systems oder Prozesses. Etwas detaillierter wird Qualität nach der Norm EN ISO 9000:2005 als „Grad, in dem ein Satz inhärenter Merkmale Anforderungen erfüllt“ definiert und zeigt damit, in welchem Maße eine Ware oder Dienstleistung den bestehenden Anforderungen entspricht.

Das sagt alles und nichts. Die Gefahr ist groß, dass man sich hinsichtlich der Anforderungen auf eine sehr innenzentrierte und prozessorientierte Sichtweise beschränkt. Fachleute sind begeistert, der Kunde verspürt aber keinen offenkundigen Mehrwert. Genau in dieser Falle steckt die Apotheke: fachlich oft top, aus Kundensicht aber „teuer“ und „bürokratisch“. Dagegen werden so einfache Dinge wie Freundlichkeit und Herzlichkeit (schwer in ein QMS-System zu packen) oder Lieferfähigkeit und Erreichbarkeit hochgeschätzt.

Qualität aus Kundensicht

Der Kunde besetzt den Qualitätsbegriff intuitiv je nach Produkt ganz unterschiedlich und vermengt ihn mit eigenen Vorstellungen. An ein und dasselbe Produkt können daher je nach Person sehr unterschiedliche Anforderungen gestellt werden. Dennoch haben sich mehrheitsfähige Muster herausgebildet, hier einige Beispiele.

Bei Lebensmitteln sind das neben Geschmack und individuellen Vorlieben heute verstärkt Aspekte der Gewinnung (Bio- und Öko-Welle), Gesundheit und Sicherheit (Schadstoffarmut usw.) sowie zunehmend das Vertrauen in bekannte, gerne regionale Anbieter angesichts der „Lebensmittelskandale“. Der letztgenann­te Aspekt spielt den Apotheken in die Hände – die Renaissance persönlichen Vertrauens!

Kosmetik steht ein wenig zwischen Lebens- und Arzneimitteln. Die Marke spielt eine sehr große Rolle, mehr als bei Lebensmitteln und zwischenzeitlich auch Arzneimitteln – Generika und Rabattverträge lassen hier die Markenbindung sinken. Die Verträglichkeit und das haptische Erleben sind die elementaren Qualitätsmerkmale. Das Ver­packungsdesign hat einen starken unterstützenden Einfluss auf das Qualitätserleben: „Teuer“ braucht die entsprechende Hülle.

Bei Arzneimitteln steht Qualität in erster Linie für Sicherheit und Verträglichkeit. Arzneimittel haben Nebenwirkungen und ihnen wohnt in den Augen der meisten Kunden stets eine Gefahr inne, auch wenn diese bisweilen (Abhängige!) verdrängt wird. Unbekannt ist sie fast nie. Somit findet eine Abwägung zwischen Leidensdruck – der nicht immer mit der medizinischen Schwere des Krankheitsbildes korreliert – und Verträglichkeit bzw. dem Risiko von Nebenwirkungen statt. Dabei stehen greifbare, erlebbare unerwünschte Wirkungen im Vordergrund, während möglicher­weise viel schwerwiegendere, aber seltene Ereignisse sehr schlecht abgeschätzt werden können.

Hier herrschen dann Extrem­positionen vor: entweder Negierung oder aber völlige Überschätzung des Risikos und Ablehnung des Mittels. Deshalb erhalten gut verträgliche, aber schwach wirksame Produkte oft gute Kundennoten (für die Wirkung sorgt gerne der Glaube...), während aus pharmakologischer Sicht bessere Wirkstoffe beim Kunden schlechter abschneiden.

Die eben geschilderten Merk­male umreißen aus Kundensicht vorrangig den Begriff Arzneimittelqualität, während die pharmazeutische Qualität (Gehalt, Herstellung nach GMP etc.) als selbstverständlich vorausgesetzt wird, in ihrer Tiefe vom Laien gar nicht durchdringbar ist und demzufolge auch nicht zusätzlich honoriert wird. Offenkundige Män­gel z.B. galenischer Natur oder Unzulänglichkeiten bei der Anwendung werden jedoch aufmerksam registriert.

Bei Dienstleistungen zählen Freundlichkeit, Erscheinungsbild (seriöses Äußeres bedingt einen Vertrauensvorschuss), Ambiente der Lokalität, professionelles und routiniertes Auftreten, Kompetenz oder zumindest der überzeugende Anschein davon, Klarheit und Transparenz sowie das Vermeiden von Situationen der Unsicherheit und Entscheidungsschwäche (den Begriff „Gespräche führen“ nehmen Profis durchaus wörtlich). Der Kunde möchte sich wohlfühlen, nicht selten handelt es sich um Leistungen, die er mit mehr oder weniger Aufwand auch selbst bewältigen könnte.

Exkurs: Autoindustrie

Schauen wir noch auf das deutsche Lieblingskind, das Auto. Bei kaum einem Gegenstand wird so über das Thema Qualität gestritten, gehen die Meinungen so auseinander. Der kleinste gemeinsame Nenner ist sicher die Alltagstauglichkeit und eine geringe Reparatur- und Pannenanfälligkeit, schon bei der Langlebigkeit scheiden sich die Geister: Wer nur einige Jahre least, sieht das anders als jemand, der eine „Anschaffung fürs Leben“ tätigt. Eine „gefühlte“ Qualität ist oft mit Äußerlichkeiten bei Innen- und Außendesign assoziiert.

Ganze Abteilungen beschäftigen sich damit, Produkte qualitativ zu „positionieren“. Mit Erfolg: Wie schafft es z.B. der Volkswagen-Konzern, dass jemand für einen Audi A3 etliche Tausend Euro mehr ausgibt als für einen vergleichbaren Golf oder gar Skoda? Dies ist die wirklich hohe Schule – die tatsächliche Funktionsqualität, die haptische und Erlebnisqualität, die Markenstärke und den Nimbus so zu verbinden, dass solche von den Produktionskosten her nicht gerecht­fertigten Preisunterschiede realisiert werden können. Der Lohn: Die vornehmlich süddeutschen Edelmarken verdienen zurzeit im Schnitt rund 4.000€ pro Auto, viele Massenhersteller nicht einmal 1.000€. Andere Beispiele fin­den sich im Textilbereich, in der Edelgastronomie, bei Kosmetika.

Doch aufgepasst! Schnell fokussiert man sich auf ein kleines Luxussegment, das letzten Endes nur einen geringen Marktanteil ausmacht. Was Porsche im Jahr an Autos baut, produziert Toyota in weniger als einer Woche... Oder auf die Apotheke gemünzt: Die Frage ist für die meisten nicht, zum „Rolls-Royce“ oder „Porsche“ der Apothekenlandschaft zu werden, sondern zum gehobenen „VW“ oder „Audi“ – noch massentauglich (Arzneimittel sind Massengüter!), aber eben mit einem sorgsam bemessenen „Premiumaufschlag“.

Nun geht es also daran, die Qualität in der Apotheke besser zu vermarkten.

1. Schritt: Die Pharmazeutenbrille absetzen

Auch wenn es schwerfällt: Ver­abschieden Sie sich einmal von Arzneibuch, Apothekenbetriebsordnung, Liefervertragswahnsinn und der introvertierten Sichtweise. Den Kunden interessiert es herzlich wenig, ob Sie zur Salicylvaseline heute eine vielseitige „Doktorarbeit“ an Dokumentation schreiben müssen. Bestenfalls bemitleidet er Sie. Und möchten Sie tatsächlich auf das Mitleid Ihrer Kunden an­gewiesen sein?

2. Schritt: In die Rolle des Kunden schlüpfen

Was hingegen nimmt der Kunde wie wahr? Hier ist sorgfältig zu unterscheiden: „Basisleistungen“ rechtfertigen in den Augen des Kunden – und darauf kommt es an! – keinen „Premiumaufschlag“. So wie man selbst von einem günstigen Alltagsprodukt das erwartet, wofür es gebaut wurde, erwartet der Kunde, dass er das richtige Arzneimittel rasch geliefert bekommt, und sei dies heute noch so aufwendig geworden. Der Kunde geht stillschweigend bei einer Rezeptur davon aus, dass drin ist, was verordnet wurde, und dass sie anwendungsfreundlich ist (wobei Anwenderfreundlichkeit von Rezepturen in diesem Zusammenhang ein eigenes Thema wäre...). Er erwartet, dass ein Ratschlag „gut“ ist, auf Fragen kompetent geantwortet wird und Freundlichkeit sowie kulantes Entgegenkommen herrschen.

Bis hierhin sind wir kaum über das Niveau „Massenhersteller“ hinausgekommen. Sicher – bei den Punkten „Kompetenz“ und „Kulanz“ kann man sich bereits spürbar von den Wettbewerbern absetzen. Denn die subjektiv erlebte Qualität ist stets auch relativ: Man muss nur deutlich besser sein als der Durchschnitt, um herauszuragen!

Was macht jedoch die weiteren Unterschiede aus? Es sind erstaunlicherweise oft Kleinigkeiten, so wie bei „Audi“ versus „VW“. Das fängt auf der Negativseite damit an, Schmuddelecken im Laden, vernachlässigte Sortimente, lieblose Schaufenster oder eine fahle Beleuchtung konsequent zu eliminieren. Lassen Sie Betriebsfremde hinschauen, Sie werden staunen, wie viel infolge von Betriebsblindheit übersehen wird.

Auf der Positivseite stehen, ohne gleich den High-End-Ladenbau zu bemühen, das Ambiente (sehr viel lässt sich allein mit der Lichtqualität erreichen!), das Gefühl von Herzlichkeit und einer liebevollen, individuellen Ausstattung, auch in Details: Deko­rationsgegenstände und Accessoires, Blumen, Aufmerksamkeiten für den Kunden, hier ein kleiner Akzent, da ein Farbtupfer, dort ein „Eyecatcher“, vielleicht gar etwas Kunst, bis hin zum eindrücklichen Markenzeichen, sprich Logo.

Das gilt gleichermaßen für Zu­gaben, Tüten, Infomaterial und eigene Drucksachen: statt Ramsch stets hochwertige Dinge, besser keine Zugabe als eine schlechte, keine lieblosen Industrie-Flyer, sondern qualita­tiv hochstehende Informationen, bis hin zur Papierqualität (vergleichen Sie einmal die Werbemittel und Produktbroschü­ren von anderen Han­delskanälen...).

Und ein Laden ist stets nur so gut wie seine „lebenden Bewohner“. Pseudo-Customer-Konzepte und externe Qualitätsüberprüfung sind in aller Munde. Doch entscheidet am Ende nicht vielmehr das subjektive Erleben der Kunden? Beleben Sie das Instrument des Rollenspiels mit Ihren Mitarbeitern neu, trainieren Sie Kundensituationen, schauen Sie nicht nur darauf, was die Mitarbeiter sagen, sondern wie sie es sagen. Beobachten Sie die Kundenreaktionen.

3. Schritt: Anregungen von außen holen

Ziehen Sie mit wachen Augen durch die Lande. Welche Läden locken Sie, was lässt Sie tiefer in den Geldbeutel greifen? Welches Ambiente empfinden Sie als qualitativ hochwertig und kauf­anregend, aber noch nicht als abgehoben? Ganz wichtig – zu „edel“ schreckt ebenfalls (zu) viele Menschen ab. Holen Sie zudem die Meinung von Mitarbeitern, Kollegen, Freunden ein.

4. Schritt: Umsetzung

Gehen Sie konsequent nach dem „Minimaxprinzip“ vor: mit überschaubarem Aufwand viel hermachen. Etwas Show und Glamour dürfen und müssen für ein Qualitätsimage einfach sein. In einer solchen gefühlt qualitativ hochwertigen Umgebung ist der Kunde bereit, im Schnitt mehr zu bezahlen. Wie viel, muss vor Ort im Hinblick auf die Kundenklientel und Kon­kurrenzsituation sorgfältig abgewogen werden.

Für preissensible Kunden hält man immer auch günstige, konkurrenzfähige Angebote bereit (EDEKA-Prinzip). Dass neben dem Äußeren der Kern stimmen muss, ist unbestritten. „K.-o.-Kri­terien“ aus Sicht des Kunden müssen Sie konsequent angehen.

Dabei gilt das Gesetz der Kon­stanz des Qualitätsniveaus über alle Bereiche und die Zeit hinweg. Spitzenleistungen auf der einen Seite, dafür aber ernste Mängel an anderen Punkten – das geht schief. Nette Verpackung verdeckt schlechte Leistungen nicht lange, die Beispiele hierzu sind zahlreich. So sind Sie selbst das schönste Auto rasch leid, wenn es im Alltag „zickt“.

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2013; 38(03):5-5