Kundenorientierung zwischen Virtualität und Realität

Wie digital wird die Apotheke der Zukunft?


Rüdiger Ott

Es verlangt schon gehörig Mut, um die Apotheke der Zukunft zu skizzieren. Digitale Medien und ein veränderter Gesundheitsbedarf sind nur zwei der vielen Faktoren, die Aufgaben und Design der Apotheke von morgen bestimmen werden. Wir wagen einen Blick nach vorne.

Erleben Innenstädte und Bedien­theken eine Renaissance?

Ein großes Thema ist für viele Apotheker aktuell die Frage nach dem Standort der Zukunft. Den Einzelhandel zieht es derzeit nämlich vielerorts immer noch an den Stadtrand. Drogeriemärkte, Discounter für Lebensmittel und Textilien und auch Gesundheitszentren präsentieren sich campusartig entlang den Zufahrtsstraßen der Gemeinden. Die Folge: Die Innenstädte sterben aus, Nachmieter für Gewerbeimmobilien sind dort schwer zu finden. Die Mietpreise fallen, allerdings meist nicht in dem gleichen Maße wie die Umsätze und Renditen der Mieter, da die Vermieter die neue Realität gar nicht wahrhaben wollen.

Doch wie geht es weiter? Experten glauben, dass Geschäftskonzepte in den Innenstädten eine Renaissance erleben werden. 2011 wurden bereits 81% der Neueröffnungen in innerstädtischen Lagen getätigt. Obendrein ist das Wachstum der Discounter seit Langem ins Stocken geraten. Aldi, Penny und Co. positionieren sich neu und wachsen vorrangig durch zusätzliche Standorte und hochwertige Sortimente. Die Be­dien­theken, die vor wenigen Jahren noch totgesagt wurden, gelten heute bei vielen Supermärkten als Hauptanziehungspunkte und Renditebringer zugleich.

Sind Innenstadt-Apotheken dem­nach nicht Auslaufmodelle, sondern Konzepte der Zukunft? Die Antwort fällt nicht leicht, weil viele Kollegen augenblicklich damit konfrontiert sind, dass nahegelegene Hausärzte keine Nachfolger finden oder Fachärzte in Gesundheitszentren abwandern. Gelingt es jedoch, die Infrastruktur der Apothekenumgebung (z.B. Personenaufzug, Parkplätze, öffentliche Verkehrsmittel) an die Kundenerwartung anzupassen, so stehen die Chancen für Innenstadtlagen langfristig sehr gut.

Faszinierende Konzepte: Virtual Stores

Traditionelle Ladengeschäfte sind u.a. deshalb erfolgreich, weil sie ein wichtiges menschliches Grundbedürfnis befriedigen: Der Mensch ist ein soziales Wesen und liebt es, andere Menschen zu treffen und sich mit ihnen auszutauschen. Umso erstaunlicher ist es, dass sich parallel zum stationären Handel extreme Konzepte virtuellen Einkaufens entwickeln und durchsetzen. „Tesco Homeplus Virtual Store“ (siehe www.youtube.com) zählt zu diesen Modellen.

Der Supermarkt-Gigant Tesco setzte im südkoreanischen Seoul eine Shop-Idee um, die im Grunde genommen nicht neu ist, aber durch die Smartphone-Technologie eine neue Dimension erreicht. In U-Bahnhöfen wurden beleuchtete Flächen mit realitätsnahen Bildern von Produkten installiert. Mit dem Smartphone und einer eigenen Tesco-Homeplus-App können die Kunden Barcodes und QR-Codes einlesen und sich ihre gewünschten Produkte nach Hause liefern lassen. Die Resonanz ist so großartig, dass Tesco in Südkorea zur Nr. 1 der Supermärkte wurde, ohne neue Ladengeschäfte zu eröffnen. Die Kernzielgruppe ist 20 bis 30 Jahre alt und nutzt morgens und abends die Fahrt zur Arbeit und den Heimweg, um Bestellungen auszulösen.

Vorbestellungen haben Tradition bei Apotheken

Vergleichbare Konzepte sind auch für Apotheken denkbar. Vorbestellung per Telefon und Abholung in der Apotheke oder am Drive-in-Schalter ist schon lange üblich. Auch Modelle, bei denen Kunden Kärtchen mit Kurzbeschreibungen der Produkte ziehen und am HV-Tisch vorlegen (z.B. apo.take), gibt es seit einigen Jahren. Nun gilt es, die neuen Möglichkeiten des rasant wachsenden mobilen Internets zu nutzen und dem Kundenbedürfnis des flexiblen Einkaufs gerecht zu werden. Im Gegensatz zum Lebensmitteleinzelhandel ist die Verknüpfung mit dem Vor-Ort-Geschäft allerdings viel wich­tiger, da der Kunde bei der Auswahl von Gesundheitsprodukten häufig Unterstützung benötigt.

Die Herausforderung der Vor-Ort-Apotheken wird darin bestehen, Onlineaktivitäten und Offizintätigkeit als Einheit zu managen. Hierzu sind organisatorische Änderungen erforderlich. Diese setzen eine Qualifizierung des Apothe­ken­teams und dessen aufgeschlossene Einstellung zum Onlinegeschäft voraus.

  • Bestelleingang, Mailverkehr und ggf. Social-Media-Aktivitäten müssen permanent betreut und kontrolliert werden. In vielen Apotheken hat derzeit lediglich der Inhaber Zugang zur digitalen Kommunikation. Aufträge, die per Mail eingehen, werden nicht selten übersehen.
  • Der Onlinekunde, der bei der Apotheke via App oder Website bestellt, sollte in der Offizin eine eigene Anlaufstation vorfinden, an der er seine Ware abholen oder Fragen zu online gekauften Produkten stellen kann. Die Textilkette C&A hat derartige Kundenservice-Points bereits eingerichtet (www.cunda.de).
  • In der Offizin der Zukunft dürften Bestellterminals zur Selbstverständlich­keit werden. Das ist mit Tablet-PCs und Touchscreens leicht zu realisieren. Produkte, die nicht vorrätig sind, kann der Kunde entweder selbst oder mit Unterstützung von Apothekenmitarbeitern ordern. Dies entspricht dem Zeitgeist des selbstbestimmten Kunden.
  • Alle Mitarbeiter des Apothekenteams sollten mit den Technologien bestens vertraut sein und die Onlinekommunikation und -bestellungen nicht als Konkurrenz sehen, die den eigenen Arbeitsplatz gefährdet. Bei der Konzeption eines Prämiensystems gilt es zu berücksichtigen, dass Synergien und Trends optimal genutzt werden.
  • Der Patient, der zu Hause von Angehörigen gepflegt wird, rückt in den nächsten Jahren immer mehr in den Mittelpunkt der Apothekenpraxis. Die elektronische Kommunikation kann die Versorgung und Betreuung durch die Apotheke enorm verbessern. So können verbrauchte Artikel (z.B. Verbandstoffe, Wundpflegeprodukte) mit der Scanfunktion des Smartphones in der Apotheke nachbestellt werden. Der Kunde verfügt dann daheim über ein Quasi-POS-System, das seinen „Lagerbestand“ steuert.
  • Für diese mit der Vor-Ort-Apotheke vernetzten und von ihr geführten Patienten sollten Anwendungsvideos zu praxisrelevanten Fragestellungen (z.B. Wechseln von Wundverbänden, Hautreinigung, Sondenspülung) zur Verfügung stehen.
  • Multichannel-Apotheken wer­den sich zukünftig mit ihren Kunden sowohl real als auch virtuell treffen. Vergleichbare Begleitprogramme gibt es bereits im Sport (z.B. mit Personal Trainern) und für Selbsthilfegruppen. Häufig erfolgt die Kommunikation per Mail (z.B. via Outlook). Zukünftig werden geschlossene Communitys (z.B. bei Facebook, Google+) dies ersetzen.
  • Neu konzipierte Apotheken sollten – wenn möglich – einen Drive-in- oder Walk-in-Schalter haben. Das alte, kleine Nachtdienstfenster hat ausgedient. Es fördert weder die Kundenkommunikation noch den aktiven Verkauf. Ein moderner Express-Schalter verfügt über ein großes Fenster, ähnlich einem Bankschalter, und eine kleine Sichtwahl mit gefragten OTC-Produkten. Anders als bei Fast-Food-Restaurants schätzen Apotheker vor allem einen Vorteil: Außerhalb der Kernöffnungszeiten kann die Apotheke von einer Person betrieben werden.

Fazit: In Schritten verzahnen

Das rasante Wachstum des mobilen Internets und die damit verbundenen Änderungen des Kaufverhaltens der Kunden überfordern zeitweise selbst Insider anderer Branchen, die näher am Geschehen der Entwicklung sind. Konzepte wie „Tesco Homeplus Virtual Store“ sind extreme Modelle. Sie zeigen uns Richtungen auf. Die große Herausforderung für Apotheken wird es sein, Mitarbeiter und Technologien kontinuierlich in die Zukunft zu führen und Online- und Off­line­aktivitäten zu verzahnen. Die Apotheken-Apps sind hierzu ein erster und wichtiger Schritt.

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2013; 38(03):8-8