Kundenbindung

Mit Individualangeboten punkten


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Der Versandhandel und preisaktive Konkurrenten vor Ort gelten nach wie vor als spürbare Bedrohung. Umso mehr verwundert es, wie vergleichsweise leicht viele Apotheken ihre Top-Kunden ziehen lassen. Gibt es praktikable Alternativen zur Kundenbindung?

Die Situation erkennen

Am Anfang steht die Erkenntnis. Warum geben manche Menschen ein Vielfaches dessen aus, was andere üblicherweise für Selbstmedikationsprodukte in der Apotheke lassen, und das womöglich bei vergleichbarer Krankheits- und Betroffenheitssituation? Die Ergründung dieser Motivlage ist ein entscheidender Punkt, um Kunden dauerhaft „bei der Stange“ zu halten. Wodurch wird nun die Ausgabebereitschaft wesentlich bestimmt?

  • Sicher in hohem Maße durch die eigenen Einkommens- und Vermögensverhältnisse: Man kann es sich leisten, muss nicht so genau hinschauen. Allerdings spielt auch die Persönlichkeitsstruktur eine wichtige Rolle. Nicht wenige Wohlhabende sind außerordentlich knauserig, daher der Spruch: Von den Reichen kann man sparen lernen!
  • Der krankheitsbedingte Leidensdruck ist wohl das bedeutsamste Motiv, ggf. sehr tief in die Tasche zu greifen. Dieser Leidensdruck korreliert keinesfalls immer mit der medizinischen Bedeutung. Gefährliche und schwere Leiden werden bisweilen überraschend tapfer, bisweilen gleichgültig ertragen, während beim sprichwörtlichen „Pickel im Gesicht“ Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt werden. Das hat für die Apotheke interessanterweise einen außerordentlich positiven Nebenaspekt: Da hier kaum ernste medizinische Aspekte tangiert sind und somit nicht unbedingt der Arzt mit im Boot sein muss, können Sie im Rahmen des medizinisch Ge- und Verbotenen relativ frei agieren. Der Kunde erwartet in erster Linie eine deutlich spürbare subjektive Entlastung, die nicht immer mit dem objektiven Bild einhergehen muss.
  • Der nüchterne, ergebnisorientierte Kunde (oft Berufstätige in besserer Stellung, Rentner und Pensionäre aus ehemals gehobenen Positionen) möchte einfach bestimmte Ziele erreichen, mal mehr, mal weniger quantifizierbar: Gewichtsreduktion, Verbesserung gewisser Blutparameter, optimale „Vorsorge“ gegen gefürchtete Krankheiten (nicht selten durch familiäre Disposition verstärkt) oder allgemein etwas für die „Fitness“ tun.
  • Verunsicherte Kunden, häufig finanziell gar nicht so gut gestellt, befinden sich in einer Spirale aus mangelnder Anerkennung, beruflicher und materieller Unzufriedenheit, verschiedenen persönlichen Problemen und einem auf diesem Nährboden bunt wuchernden Krankheitsgeschehen, etliches davon psychosomatisch, mit der Tendenz zur Chronifizierung und Verstetigung in den rein physischen Bereich hinein. Am Ende stehen tatsächlich schwer Kranke; der ganze Mensch ist im Grunde das Problem. Der Leidensdruck lässt sich hier nicht mehr nur an der Krankheit festmachen, er zieht sich durch das ganze Leben. Eigentlich wären das ideale Kunden, nur hapert es oft an den finanziellen Mitteln, zudem ist hier eher eine durchgreifende Lebensberatung vonnöten als eine (allein) pharmazeutische Lösung. Gleichwohl bieten sich manche Ansatzpunkte, trotz der begrenzten Zahlungsfähigkeit.

Im Ergründen der Motivlage liegt also ein entscheidender Schlüssel, solche Kunden mit dem Potenzial zum Top-Kunden auf ihrer Ebene anzusprechen und dauerhaft zufriedenzustellen. Wenn Sie nämlich erkennen, worauf es dem Kunden ankommt, können Sie ihm nicht nur wie bisher passende Produkte anbieten. Vielmehr können Sie klare Ziele abstecken sowie Wege und Konzepte entwickeln, um diese Ziele am Ende zu erreichen, und die Erfolge auf dem Weg dorthin objektivieren und dokumentieren. Das geht deutlich über das heute üblicherweise Gebotene hinaus und wird von der preisaktiven Konkurrenz typischerweise nicht offeriert.

Eigene Flexibilität entwickeln

Überwinden Sie Ihre eigenen Denkblockaden! Nicht wenige Kolleginnen und Kollegen sagen teilweise unverblümt: Das ist mein normaler Preis und davon weiche ich keinen Cent ab! Rechtfertigungsgründe finden sich zuhauf: Versandhändler müssen etliche Pflichten nicht erfüllen und können Kosten sparen oder profitieren im Ausland von Steuerdifferenzen, der aktive (erfolgreiche?) Konkurrent nebenan „legt doch nur drauf und ist bald pleite“, wir können uns Preisnachlässe nicht „leisten“ (aber Kundenverluste schon?) etc.

Oder auf den Punkt gebracht: Wer etwas nicht will, hat Gründe, wer etwas will, findet Wege. Wenn man sich so auch sein ei­genes Weltbild erhalten kann – den Kunden interessieren diese Argumente mehrheitlich nicht. Im Zweifelsfall stimmt er mit den Füßen ab, was man zunächst kaum merkt. Erst nach und nach reift die Erkenntnis, dass man Marktanteile verliert, dass von den allgemeinen Verbesserungen in der Branche in der eigenen Apotheke kaum etwas ankommt, da die Marktanteilsverluste unter dem Strich trotzdem eine Einkommensstagnation oder gar einen Rückgang bescheren. Diese Situation finden wir erstaunlich häufig – die Schere öffnet sich selbst mit höheren Honorarvolumina weiter.

Mit anderen Worten: Wenn sich Ihre Einkommenslage im laufenden Jahr nicht spürbar verbessert, dann läuft etwas schief! Das mag nachvollziehbare Ursachen haben, z.B. der Wegzug eines Verordners. Sollte sich aber im strukturellen Umfeld nichts verändert haben, ist eine solche unbefriedigende Gewinnentwick­lung ein Alarmsignal. Wer erfolgreich seine Kundenzahlen stabil hält oder gar noch ausbauen kann, mag das Thema lockerer sehen. Nur: Auch er sollte sich fragen, ob er genügend tut, um seine Top-Kunden zu halten.

Reif für neue Angebote!

Welche Möglichkeiten haben Sie nun, im Kampf um die guten Kunden noch besser zu bestehen?

  • Sie machen schlicht das, was andere auch tun. Also gibt es dann fortan ebenfalls Sonderangebote, Sammelheftchen, Zugaben aller Art usw. Das ist nicht besonders einfallsreich, kann aber wirksam sein, vor allem, wenn Sie es besser, fantasiereicher und „mit Herz“ machen. Nur, das ist nichts Neues.
  • Sie schnüren neue „Angebotspakete“ und kommen Ihren Kunden auf eine Art entgegen, die bislang noch wenig verbreitet ist. Möglicherweise macht das mehr Arbeit, was nicht schlecht sein muss, wenn man damit eine Reihe „bequemer“ Konkurrenten „ab­hängen“ kann, die letztlich nur ihre vergleichsweise einfachen „Geschäftsmodelle“ am Laufen haben. Es zählt bekanntlich, was unter dem Strich bleibt.

Wie kann nun eine solche neue Angebotspolitik aussehen? Denken Sie dazu einmal an Ihr eigenes Beschaffungsverhalten! Neh­men wir an, es steht eine größere Reparatur an oder Sie interessieren sich für die Mitgliedschaft in einem Fitnessclub. Schauen Sie sich mehrere Anbieter an? Lassen Sie sich Angebote machen? Oder denken Sie an Ihren Zahnarzt: In gut organisierten Praxen halten Sie gleich einen Kostenvoranschlag in den Händen!

Und in der Apotheke? Bei der Nachfrage nach entsprechenden teuren Präparaten mit Dauerverwender-Potenzial müsste eigentlich der Groschen fallen: Hier steht ein potenzieller A plus-Kunde, gut für Monatsumsätze von 40€, 50€ oder mehr, mit­‑ hin Jahresbeträge um oder über 500€. Angesichts solcher Sum­men lohnt es, einmal innezuhalten und nachzudenken. Wie kann ich einen solchen Kunden halten, der sich nach den Präparaten erkundigt, aber nicht gleich kritiklos jeden Preis akzeptiert? Wie gelingt es mir, z.B. einen Diabetiker mit seinem gesamten Bedarf an meine Apotheke zu binden?

Ein bislang kaum beschrittener Weg: Machen Sie konkrete Angebote, die Sie ausdrucken und dem Kunden mitgeben! Idealerweise ist das die Aufgabe der Chefin oder des Chefs bzw. des Stellvertreters, denn das hebt die Bedeutung in den Augen des Kunden weiter: Hier kümmert man sich „von höchster Stelle“ um mich als potenziellen Top-Kunden. Meist heißt es sonst eben nur „Ja“ oder „Nein, da können wir nichts machen“ (und der Kunde ist weg) oder „Ich kann Ihnen soundsoviel Prozent Rabatt geben“ (worauf der Kunde vielleicht erst einmal einsteigt, aber ist er dauerhaft überzeugt?). Gestalten Sie diese Angebote klug:

  • Viele Kunden möchten etwas erst einmal probieren. Neben den bekannten Gratisproben kommt auch eine kleinere Probierpackung in Betracht, die Sie zu Vorzugskonditionen anbieten.
  • Machen Sie gleich ein Angebot für die folgende Großpackung, falls sich der Kunde zur Fortsetzung entscheidet.
  • Den Übergang zum Dauerverwender „versüßen“ Sie mit Vor­zugs­konditionen, wobei neben dem Preis auch andere Leistungen („Platin-Kundenprogramm“, „Platin-Kundenkarte“ mit speziellen Vorzügen) in Betracht kommen.
  • Statt einzelner Packungen können Sie bei geeigneten Dauerpräparaten, lange verwendeten Kosmetika oder Zubehörartikeln (z.B. nicht erstatteten Teststäbchen) Quartals-, Halbjahres- oder Jahresbedarfe anbieten.
  • Rechnen Sie hohe Packungspreise auf die Tagestherapiekosten herunter, 0,49€ täglich klingt besser als 49,00€ je Packung.
  • Binden Sie Chroniker mit großem Rezeptaufkommen, indem Sie ihnen bei OTC-Medikamenten, von der Kasse nicht bezahlten Zubehörartikeln oder Produkten des täglichen Bedarfs (Körper-, Zahnpflege, bei denen Ihre Erträge absolut betrachtet ohnehin gering sind) in cleverer Weise entgegenkommen – und runden Sie das wieder durch zusätzliche „Exklusivleistungen“ ab.

Im Ergebnis geht es also darum, die (potenziellen) Top-Kunden stärker zu „committen“ (wie es so schön neudeutsch heißt), sprich: aus der unverbindlichen Gelegenheitsbeziehung eine dauerhafte, von Vertrauen und Ehrlichkeit gezeichnete Stammkun­denbeziehung zu machen. Instrumente wie die oben genannten tragen dazu entscheidend bei.

„After-Sales-Betreuung“

Hier empfiehlt sich der Seitenblick zu den Optikern (bei denen das Thema Online-Konkurrenz heute ebenfalls ein ernst zu nehmendes Problem ist!), die u.a. durch eine gute „After-Sales-Betreuung“ ihre Kundschaft binden. So werden Reklamationen in aller Regel problemlos im Sinne des Kunden behoben, kostenlose Sehtests angeboten, der Sitz der Brille wird ggf. angepasst, es erfolgt eine kostenfreie Reinigung etc.

Selbst wenn eine Brille kein Arzneimittel ist – gewisse Parallelen gibt es schon. Auch der Dauerverwender eines vorbeugend wirksamen OTC-Präparates, die anspruchsvolle Kosmetikkundin oder der chronisch unter Hautproblemen Leidende hat einen Bedarf, nachbetreut zu werden: eine Objektivierung der Wirkung anhand von Vorher-Nachher-Tests (zeigen die Mittel überhaupt einen Effekt?) sowie weiter gehende Informationen z.B. zu Maßnahmen, die über die Anwendung der Apothekenprodukte hinaus sinnvoll erscheinen, oder zu Neuigkeiten und Innovationen im jeweiligen Marktsegment. Der Sinn einer Nachbetreuung wird umso deutlicher, je mehr Sie mit Ihrem Kunden klare Ziele definieren, was sich vor allem bei Chronikern anbietet: Wir nehmen uns vor, innerhalb eines gewissen Zeitraums Ihr Hautbild, das Körpergewicht, gewisse Blutparameter, die Schmerz­intensität usw. auf einen gewissen Wert zu bringen!

Einstiegsübung für das Medikationsmanagement

Wie gesagt, wir reden hier von den besten Kunden, vielleicht einigen Dutzend, die man dergestalt durchaus „auf dem Radar“ behalten kann. Das ist nebenbei eine ganz gute Einstiegsübung für das viel gepriesene Medikationsmanagement. So können Sie nämlich bereits ermessen, was es bedeutet, sich individuell und strukturiert mit den therapeutischen Zielen und Wegen einzelner Kunden auseinanderzusetzen.

Arbeitshilfen online

Direkt ausdruckbare Angebotsblätter sowie ein Rechenblatt zur Erstellung eines individuellen Angebots für Ihre Kunden finden Sie zum Download im Bereich Checklisten/Arbeitshilfen unter dem Stichwort „Individuelle Angebote“.

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2013; 38(18):5-5