Dr. Bettina Mecking
- ...ein falsches, aber ähnlich klingendes Präparat oder eine unpassende Dosierung abgegeben?
- ...ein handschriftliches Rezept falsch entziffert?
- ...bei selbst hergestellten Präparaten Fehler gemacht?
- ...unzutreffende Anweisungen zu einem Präparat gegeben?
Verfolgt man die Diskussion in der Berufsöffentlichkeit zu dem aktuellen Urteil des Oberlandesgerichts Köln vom 7. August 2013 (Aktenzeichen 5 U 92/12), so steht zu befürchten, dass sich eine Vielzahl der Apotheker bislang nicht hinreichend über die bereits bestehenden Haftungsrisiken bewusst ist.
Ein Arzt macht Fehler beim Ausstellen eines Rezepts, der Apotheker bemerkt das nicht, infolgedessen wird der Patient schwer geschädigt. Wer haftet? Um die Stellung des Pharmazeuten in diesem Rechtsstreit zu begreifen, ist es hilfreich, sich zunächst mit den Grundsätzen der Haftung zu befassen.
Der Inhaber des Apothekenbetriebs haftet nach den zivilrechtlichen Haftungsgrundsätzen für die infolge einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Pflichtverletzung verursachten Personen- und Sachschäden. Hier geht es einerseits um
- apothekentypische Risiken infolge von Fehlabgaben und Verwechselungen von Arzneimitteln und apothekenüblichen Waren sowie infolge von Beratungsfehlern z.B. im Fall der unzureichenden Aufklärung über Kontraindikationen oder Neben- und Wechselwirkungen, andererseits aber auch um
- nichtapothekenspezifische Risiken infolge der Verletzung von Verkehrssicherungspflichten, wenn z.B. ein Kunde auf dem glatten Fußboden in der Apotheke stürzt.
Von der gesetzlichen Haftpflicht klar zu unterscheiden ist die richtige Vertragserfüllung. Der Apothekeninhaber haftet auch für eine sorgfältige Abwicklung des Arzneimittelversorgungsvertrags mit dem Kunden.
Gleichermaßen hat der Apothekenleiter für Personen- und Sachschäden verschuldensunabhängig nach Maßgabe des Produkthaftpflichtgesetzes einzustehen, sofern er Hersteller ist und durch das von ihm hergestellte Produkt ein Personen- oder Sachschaden entstanden ist. Die Produkthaftung trifft insbesondere auf die in der Apotheke hergestellten Rezepturen und Defekturen zu. Ein Produkt ist fehlerhaft, wenn es nicht die Sicherheit bietet, die unter Berücksichtigung aller Umstände berechtigterweise erwartet werden kann.
Der Apothekeninhaber haftet verschuldensunabhängig nach dem Umwelthaftungsgesetz. Gehen von dem Apothekenbetrieb Umwelteinwirkungen auf Boden, Luft oder Wasser mit der Folge eines Personen- oder Sachschadens aus, hat der Apothekeninhaber hierfür einzustehen.
Schließlich trifft den Apotheker in seiner Eigenschaft als pharmazeutischer Unternehmer die weitreichende Gefährdungshaftung des Arzneimittelgesetzes (AMG). Pharmazeutischer Unternehmer ist, wer ein Arzneimittel unter seinem Namen in den Verkehr bringt. Die Gefährdungshaftung trifft den Apotheker für die Abgabe echter und unechter Hausspezialitäten und für die Abgabe im Voraus abgefasster und bereitgehaltener Arzneimittel, wie z.B. Baldriantropfen, Jodtinktur und Tees. Einzelrezepturen sowie Defekturen fallen nicht unter die Gefährdungshaftung des AMG.
Als pharmazeutischer Unternehmer muss der Apotheker eine Pharmaprodukthaftpflichtversicherung abschließen. Ist eine solche Versicherung nicht abgeschlossen, obgleich der Apothekeninhaber als pharmazeutischer Unternehmer tätig ist, also Arzneimittel unter seinem Namen in den Verkehr bringt, liegt ein Straftatbestand vor.
Im Übrigen muss der Apothekeninhaber die Haftungsrisiken durch seine Betriebshaftpflichtversicherung abdecken, die zwar nicht gesetzlich, aber berufsordnungsrechtlich vorgeschrieben ist. Der Versicherungsschutz nach der Betriebshaftpflichtversicherung umfasst auch die angestellten Apotheker, die keine eigene Berufshaftpflichtversicherung abschließen müssen. Mitversichert ist zudem die Haftpflicht aller übrigen Betriebsangehörigen für Schäden, die sie in Ausübung ihrer dienstlichen Verpflichtung verursachen.
Gegebenenfalls muss sich der haftende Apotheker auch straf- und berufsrechtlich für sein Fehlverhalten verantworten. So bemerkten Apothekerinnen eines Krankenhauses nicht, dass ein Arzt bei der Bestellung von Augentropfen Gramm statt der richtigen Angabe Milligramm geschrieben hatte. Durch die 1.000-fach zu hoch dosierten Tropfen erlitten die drei behandelten Kinder schwerste Augenschäden. Es ergingen Strafbefehle wegen fahrlässiger Körperverletzung in Höhe von jeweils 60 Tagessätzen bis je 120€ (Amtsgericht Wuppertal, Cs 45 Js 15/12 – nicht rechtskräftig).
Haftungsgemeinschaft zwischen Arzt und Apotheker
Im aktuell diskutierten Kölner Urteil hatte ein Arzt für einen Säugling mit Downsyndrom im Vorfeld einer Herzoperation ein herzstärkendes Medikament versehentlich in deutlich überhöhter Dosierung verschrieben. Der Apothekenleiter ebenso wie seine Angestellte, für deren Verschulden er einzustehen hat, erkannten den Fehler nicht. Kurz nach der Einnahme erlitt das Baby einen Herzstillstand und musste reanimiert werden. Es trug eine Hirnschädigung, einen Darmschaden und erhebliche Entwicklungsstörungen davon. Die Eltern forderten von dem Arzt und dem Apotheker Schadensersatz und Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 200.000€. Die genaue Höhe bezifferte das Gericht noch nicht abschließend.
Für den Bereich der Haftung von Ärzten für Behandlungsfehler ist seit jeher folgende Verteilung der Beweislast anerkannt: Liegt nur ein sog. einfacher Behandlungsfehler vor, muss der Patient beweisen, dass ein Schaden auf der fehlerhaften Behandlung beruht. Bei einem groben Behandlungsfehler dagegen wird vermutet, dass der Schaden kausal auf den Fehler zurückgeht. Dies ist nun auch im Rahmen des seit 26. Februar 2013 geltenden Patientenrechtegesetzes ausdrücklich gesetzlich geregelt in §630h Absatz 5 Bürgerliches Gesetzbuch.
Neu: Grundsätze der Beweislastumkehr auf Haftung von Apothekern übertragen
Diese Grundsätze hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln, der eine Spezialzuständigkeit für Arzthaftungsverfahren hat, nun auch auf die Haftung von Apothekern übertragen. Dieser Teilaspekt war eine bisher in der Rechtsprechung ungeklärte Frage, über die erstmals entschieden wurde. Ein solcher Fehler dürfe einem Apotheker schlechterdings nicht unterlaufen. Angesichts des hochgefährlichen Medikaments hätte er in ganz besonderer Weise Sorgfalt walten lassen müssen. Diesen Fehler im Rezept nicht zu erkennen, stelle einen groben Fehler dar. Die Sach- und Interessenlage sei gleich gelagert wie bei den Arzthaftungsfällen.
Die Konsequenz aus dem Urteil lautet: Wenn der Apotheker die Verschreibung des Arztes nicht mit eigenem Sachverstand überprüft, wird er mitverantwortlich gemacht. Er haftet gemeinschaftlich mit dem Arzt für entstehende Schäden und trägt mit diesem die Beweislast, dass die Schädigung des Kindes nicht durch die Überdosierung entstanden ist. Dem Patienten wird es dadurch – allerdings nur bei wirklich groben Verfehlungen – erleichtert, seine Schadensersatzansprüche durchzusetzen. Die grundlegende Frage, ob die Grundsätze zum „groben Behandlungsfehler“ auf Apotheker anzuwenden sind, wird nun der Bundesgerichtshof klären, da gegen das Urteil Revision eingelegt wurde.
Was bedeutet diese Entscheidung aber für die alltägliche Arbeit in den Apotheken? Der Verbraucher begibt sich bei seiner Arzneimitteltherapie nicht nur vertrauensvoll in die Hände seines Arztes, sondern auch in die seines Apothekers. Im Rahmen eines ganzheitlichen Systems ist der Apotheker die letzte fachliche Kontrollinstanz vor dem Patienten. Es entspricht dem beruflichen Selbstverständnis des Apothekers, gesteigerte Versorgungsverantwortung zu übernehmen, um das der Arzneimitteltherapie innewohnende Risiko zu minimieren. Das war auch schon vor dem aktuellen Urteil so, die Verantwortung von Pharmazeuten wird aktuell jedoch stärker wahrgenommen.
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2013; 38(22):9-9