Apotheken-EDV

Die Qual der Wahl?


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Seit etlichen Jahren schon regiert in der Apotheke „Kollege Computer“ kräftig mit. Denn alle Räder stehen still, wenn der Rechner das so will ... Die Auswahl des für Ihre Apotheke optimalen EDV-Systems hat daher heute ganz entscheidenden Einfluss auf Ihren Betriebserfolg.

Auswahlkriterien

Das heutige Angebot an Apo­theken-EDV ist überschaubar: Etwa ein halbes Dutzend An­bieter dominiert den Markt. „Schlechte“ Produkte gibt es nicht mehr. Hinsichtlich der Bedienung finden sich Unterschiede, doch generell folgen die Systeme einer Bedienlogik, wie sie jedem einigermaßen Computerkundigen geläufig ist.

Somit verhält es sich bei der Auswahl eines neuen EDV-Systems fast wie beim Autokauf. Fahren tun sie alle, die Details unterscheiden sich, aber man kommt mit jedem ziemlich sicher von A nach B. Die Standards haben sich angeglichen. Doch bei dem einen Fahrzeug ist dies hübscher, funktioniert das besser, ist der Verbrauch etwas niedriger. Im Grunde schaut das bei der Apotheken-EDV ähnlich aus. Den „08/15“-Apo­thekenbetrieb beherrschen ziem­lich alle ganz achtbar, auch die Anbindung von modernen Kommissionierautomaten gelingt heute meist ganz gut. Daher sind es vor allem individuelle Gegebenheiten in der eigenen Apotheke, die doch den entscheidenden Unterschied machen können:

  • Größe der Apotheke, Kundenzahlen und Spitzenlasten, „schnelle“ Kundschaft wie im Center oder intensiver, zeitaufwendiger Kundenkontakt, die Zahl eventueller Filialen bzw. im Verbund kooperierender Betriebe.
  • Werden Spezialsegmente bedient (Altenheim-, Krankenhausversorgung, Sterillabor, Onlineshop, Großhandelsbetrieb u.a.)?
  • Die individuelle Aufstellung des Teams: Computer- und Technikaffinität, Jüngere oder mehr Ältere, viele Teilzeitkräfte, Aushilfen und „Gelegenheitsarbeiter“, verbunden mit „Schnittstellenproblemen“?

Deshalb empfiehlt sich das Erarbeiten eines individuellen Anforderungsprofils, das Sie in „Pflicht“ und „Kür“ gliedern können. Sie sollten dabei durchaus Ihre Mitarbeiter mit einbeziehen und die geplante neue EDV in Teamsitzungen ausführlich the­matisieren. Jeder sollte dazu seine Anregungen, am besten kurz schriftlich formuliert, einbringen. Ausgehend vom Ist-Zustand, fällt es oft leichter, die Funktionen zu benennen, die weiterhin unbedingt nötig sind (aber ggf. verbesserungswürdig, in welcher Form?), sowie eher unnötige Funktionen und neue Wünsche an das künftige System anzuführen.

Mit so einem Vorgehen sind Sie dem „Pflichtenheft“ schon einen großen Schritt näher. Oft ergeben sich übrigens beträchtliche Unterschiede hinsichtlich HV-Betrieb und Backoffice. Da immer an manchen Stellen Kompro­misse gemacht werden müssen, empfiehlt es sich, einen Schwerpunkt zu setzen. Hochfrequentierte Lauflagenapotheken werden den Fokus auf die Kassenfunktionen legen und vielleicht kleinere Schwächen bei der Warenbewirtschaftung akzeptieren, „Versorgungsapotheken“, die große Anteile ihres Umsatzes im Backoffice mittels Tüten- und Päckchenpacken abwickeln, wer­den die administrativen Funktionen bis hin zur Kundenkontenverwaltung und Fakturierung höher gewichten. „Zahlenmenschen“ werden auf betriebswirtschaftliche Auswertefunktionen und ein „Cockpit“ Wert legen, ausgesprochen patientenorientiert-pharmazeutisch aufgestellte Betriebe auf Funktionen für Patientendatenverwaltung, Medi­kationsmanagement u.a.

Schauen Sie zudem auf den Stromverbrauch des Gesamtsystems! Werden bevorzugt stromsparende Notebooks eingesetzt? Alle wichtigen Punkte finden Sie in unserer sehr ausführlichen Checkliste zum Download (siehe Kasten am Textende).

Mit diesem Anforderungsprofil gehen Sie zur Anbieterauswahl über. Lassen Sie sich die Systeme zeigen, besuchen Sie Apotheken mit diesen Systemen. Erstellen Sie eine Liste mit in Ihrer Apotheke typischen, gerne kniffligeren Situationen (im HV-Betrieb und Backoffice), die Ihr System anstandslos meistern sollte. Probieren Sie es selbst aus und vertrauen Sie nicht nur den Lobpreisungen der Verkäufer!

Aktuelle und Zukunftsthemen

Die neuen Themen gehen keinesfalls aus, doch nicht alle Anbieter haben offenkundig genügend Kapazitäten für echte Innovationen. Nicht wenige hecheln den zugegebenermaßen nervigen und aufwendigen gesetzlichen Forderungen hinterher, etliches (wie das Tamtam um die achtstellige PZN) ist allerdings hausgemacht, da manche Systeme im Grundsatz noch auf sehr alten Software­architekturen aufbauen. Eine grundlegende Neuprogrammierung kostet hingegen sehr viel Zeit und Geld, induziert neue Fehler und „Kinderkrankheiten“. Der Umstellungsprozess gestaltet sich somit oft sehr zäh, weil auch etliche Kollegen (aus durchaus guten Gründen) nicht so schnell mitspielen wie erhofft. Nichtsdestotrotz sollte man bei einer Neuanschaffung hinschauen, ob die Softwarearchitektur modern und zukunftsfest ist oder ob es sich noch um ein „aufgehübschtes“ Altsystem handelt, das vor vielen Jahren konzipiert und an das stets nur „angeflickt“ wurde.

Und das sind einige wichtige Themen der Zukunft, die in das System ohne großen Aufwand integrierbar sein bzw. schon heute unterstützt werden sollten:

  • Elektronische Preisauszeich­nung (ESL – Electronic Shelf Labeling), Integration von RFID-Lösungen;
  • Sicht- und Teile der Freiwahl gibt es heute in Form von Bildschirmwänden mit enormen Gestaltungsmöglichkeiten, die EDV muss hiermit kompatibel sein und idealerweise den „Content“ dafür liefern;
  • Touchscreens für Kunden und mobile Tablet-Rechner unterstützend für die Kundenberatung (z.B. Kosmetik), allgemein die Einbindung von vielfältigen mobilen Geräten, v.a. von Smartphones und Tablet-Rechnern;
  • das umfassende Thema „pa­tientenorientierte Pharmazie“: Kundendatenmanagement, Medikationsmanagement, die Hinterlegung von umfangreicheren Gesundheitsdaten bis hin zur „Pharmakogenomik“ und Tests auf Verträglichkeit, die statistische Auswertung von Medikamentenchecks und deren Visualisierung, die Koordination und der Abgleich von Verschreibungen etc. Ein großer Teil des Erfolgs (oder Misserfolgs?) der „patientenorientierten Pharmazie“ wird sich schlicht an überzeugenden Softwarelösungen entscheiden!
  • „Cloud-Computing“: Daten und ganze Softwarepakete werden ausgelagert, was im Betrieb einiges an Hardware einsparen kann, aber neue Abhängigkeiten und Sicherheitsherausforderungen schafft;
  • die Vorbereitung auf den 2D-Code und „Securpharm“, was durch intelligente, zudem ex­trem stabile und sichere Softwarefunktionen zum Leben erweckt werden muss.

Ein neues Computersystem sollte zu all diesen Zukunftsthemen Lösungen anbieten oder zumindest perspektivisch darauf vorbereitet sein, ohne dass allzu große Zusatzinvestitionen nötig werden. Und achten Sie auf das Thema Sicherheit! Wie sind Sie gegen Hacker und Schadprogramme geschützt (und wie müssen Sie Ihr Verhalten ausrichten)? Wie werden die an das Internet angebundenen Systembereiche (prinzipiell angriffsanfällig) und Ihre Betriebsdaten voneinander abgeschottet? Wer einen Internetshop betreibt, sollte hier besonders gründlich hinschauen.

Aber auch sonst stellt sich die Frage, ob man nicht einen (komplett unabhängigen) Internetrechner aufstellt, auf dem die Mitarbeiter frei surfen, recherchieren und vielleicht auch einmal in den Pausen spielen und privat kommunizieren können.

Kosten und Verträge

Zu guter Letzt geht es immer um das Gleiche – um das liebe Geld. Grundsätzlich handelt es sich bei Computern um schnell alternde Systeme mit hohem Wertverlust und eher kurzem „Lebens­zyklus“, insbesondere, wenn man technisch vorne mitmarschieren möchte. Wem Standardfunktionen genügen, wer nicht aktiv betrieblich in der Onlinewelt mitmischt, kann auch noch in fünf oder sechs Jahren mit einem heute aktuellen System glücklich sein. Nach diesem Zeithorizont richten sich die Investitionsentscheidungen:

  • Wer immer auf dem Stand der Technik sein möchte, ist mit „Rund­um-Sorglos-Paketen“, d.h. einem noch überschaubar lange laufenden Leasing oder einer ent­spre­chenden Mietvertrags­kon­struktion (häufig vier bis fünf Jahre) und Komplettwartungsverträgen, ganz gut, wenngleich in aller Regel nicht gerade billig bedient. Die hohen Wertverluste der Technik müssen sich irgendwo widerspiegeln. Allerdings soll­te man hier genau hinschauen, was „Komplettpaket“ wirklich be­deutet und wo doch Lücken sind.
  • Wer langfristig plant (im Rahmen dessen, was man in der EDV als langfristig bezeichnen kann) und nicht immer das Allerneueste braucht, kann über einen Kauf nachdenken. Dann kommt es darauf an, einen möglichst guten Preis zu verhandeln, wobei Wartungs- und Software­pflegekosten natürlich trotzdem noch dazukom­men. Für das eingesetzte Kapital sind Kapitalkosten (Abschreibung und Zinsen) anzusetzen. Die Summe aus beidem ist dann den Belastungen beim Modell „Leasing/ Miete“ gegenüberzustellen.

Die Kosten werden teilweise gut versteckt. So sind die Beträge für Miete bzw. Leasing von Peripheriegeräten wie Drucker, Note­book usw. oftmals recht hoch – mit einer oder zwei Jahresmieten haben Sie bisweilen das Gerät schon quasi „gekauft“.

Viel wichtiger können aber andere Vertragsfallen werden. Dabei dreht es sich meist um die Laufzeiten, die nicht selten auf fünf Jahre festgeschrieben sind. Ein vorzeitiger Ausstieg ist vielfach sehr schwer bzw. teuer (Ablösen des Vertrags je nach Restlaufzeit). Die oft zu beobachtende Hartleibigkeit der Anbieter erklärt sich u.a. aus dem hohen Wertverlust von EDV-Anlagen – was ist ein zwei oder drei Jahre altes System noch wert?

Dennoch lohnt es sich, hier – geschickterweise am Ende der Verhandlungen, wenn der Abschluss greifbar nahe ist – nachzuhaken und über Sonderkündigungsrechte oder kalku­lierbare, fest vereinbarte „Ablösen“ zu reden. Das gilt insbesondere für „unsichere“ Filialen oder gegen Ende des Berufslebens. Lange, hochpreisige Verträge können da zum Mühlstein werden und sogar den Verkauf empfindlich erschweren bzw. die Schließung erheblich verteuern. Überhaupt ist es eine clevere Strategie, am Ende der Verhandlungen z.B. noch ein Zusatzmodul mit hinein zu verhandeln, denn daran wird es das Gegenüber nicht scheitern lassen.

Schauen Sie grundsätzlich auf das reguläre Vertragsende. Wie geht es danach weiter? Verlängert sich der Vertrag automatisch und um welchen Zeitraum? Wann müssen Sie ggf. spätestens kündigen? Hier haben schon viele „Lehrgeld“ bezahlt.

Sprechen Sie zudem das unangenehme Thema „Haftung“ an. Wer zahlt, wenn Sie eine hohe Retaxation bekommen, weil die Software vonseiten des Anbieters nicht aktuell oder gar fehlerhaft war? Oder wenn das System sonstige Schäden verursacht?

Manchmal möchte man, aus Enttäuschung oder nach unangenehmen Vorfällen, einfach nur noch um fast jeden Preis wechseln. Konkurrenzanbieter machen sich das zunutze und „kaufen“ einen heraus. Nur: Damit gehen Sie wieder neue Bindungen ein, die Sie in dieser Situation oft nicht so genau prüfen – und kommen womöglich vom Regen in die Traufe!

Was zählt am Ende? Neben dem Preis sind es sicher mindestens gleichberechtigt auch Vertrauen, die persönliche Betreuung, das gute Gefühl – und schlicht die objektive Leistung, die Ihnen etwas wert sein sollte. Dazu ist der Computer heute einfach zu wichtig geworden.

Checkliste online

Eine ausführliche Checkliste als Hilfestellung bei der Auswahl eines EDV-Systems finden Sie hier.

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2014; 39(04):5-5