Dr. Bettina Mecking
Unterschied NEM, bilanzierte Diäten und Arzneimittel
Diätetische Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke, sog. bilanzierte Diäten, sind laut §1 Absatz 1 der Verordnung über diätetische Lebensmittel (DiätV) Lebensmittel, die für eine besondere Ernährung bestimmt sind, also u.a. für Personen mit bestimmten Stoffwechselstörungen sowie für Säuglinge und Kleinkinder, für die eine normale Nahrung nicht ausreicht.
NEM hingegen dienen laut Nahrungsergänzungsmittelverordnung (NemV) dazu, die Ernährung eines Durchschnittsverbrauchers zu ergänzen. Sie stellen ein Konzentrat von Nährstoffen oder sonstigen Stoffen mit ernährungsspezifischer oder „nennenswerter“ physiologischer Wirkung dar und werden in dosierter Form, also Kapseln, Tablette etc., in den Verkehr gebracht.
Auf viele Verbraucher wirken die als Tabletten, Kapseln oder Tinktur angebotenen Präparate wie Arzneimittel. Von diesen unterscheiden sie sich jedoch grundsätzlich. Arzneimittel müssen im Gegensatz zu NEM vor Markteintritt ein strenges Zulassungsverfahren durchlaufen. Sie dienen der Heilung, Linderung oder Verhütung menschlicher Krankheiten und krankhafter Beschwerden und haben eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung. NEM dürfen nicht pharmakologisch oder therapeutisch wirken, sondern haben einen präventiven Charakter.
Schwierige Abgrenzung zwischen NEM und Arzneimitteln
Bei der im Einzelfall schwierigen Abgrenzung zwischen NEM und Arzneimitteln ist die Eigenschaft „Konzentrat von Nährstoffen“ bedeutsam. Die Grenze zum Arzneimittel dürfte bei den typischen Konzentraten aus Mineralstoffen, Vitaminen und Antioxidantien erreicht sein, wenn die Wirkung über eine Ergänzung der allgemeinen Ernährung hinausgeht und als pharmakologisch einzustufen ist. Wenn etwa die Tagesdosis des Produkts über den empfohlenen Tagesbedarf der Inhaltsstoffe hinausgeht, liegt keine bloße ernährungsphysiologische Wirkung mehr vor. Ob damit auch eine pharmakologische Wirkung einhergeht, gilt es gesondert festzustellen.
Bei einer abschließenden Gesamtbetrachtung ist anhand der objektiven Zweckbestimmung des Produkts festzustellen, ob der Schwerpunkt auf arzneispezifische Zwecke, wie z.B. Prophylaxe oder Therapie, oder mehr auf lebensmittelspezifische Zwecke (zur Ergänzung der allgemeinen Ernährung) gesetzt wird. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat klargestellt, dass die im deutschen Arzneimittelrecht geltende Zweifelsregelung, wonach ein Produkt, das unter mehrere rechtliche Kategorien fällt, im Zweifel ein Arzneimittel ist, nur dann greift, wenn die Arzneimitteleigenschaft nachgewiesen ist.
Lebensmittelrechtliche Vorschriften
Da NEM rechtlich zu den Lebensmitteln gehören, fallen sie unter die in den unmittelbar geltenden europäischen Verordnungen befindlichen Vorgaben. Die Vorschriften der Lebensmittelinformationsverordnung (LMIV) regeln zum 13.Dezember 2014 auf europäischer Ebene die Aufmachung, Werbung und den Fernabsatz von Lebensmitteln neu. Sie gelten verbindlich in allen Mitgliedsstaaten der EU und lösen zu diesem Zeitpunkt alle nationalen Verordnungen ab. Die LMIV gilt für Lebensmittelunternehmer auf allen Stufen der Lebensmittelkette, hat also auch Auswirkungen auf die Verantwortung von Apothekeninhabern, die NEM vertreiben. Diese müssen bei der Abgabe von NEM lebensmittelrechtliche Vorgaben beachten.
Bis jetzt trafen Apotheken keine gesteigerten eigenen Prüf- und Sorgfaltspflichten in Bezug auf NEM. Allerdings ermöglicht das Wettbewerbsrecht jetzt schon, auch Apotheken in Anspruch zu nehmen, wenn sie falsch oder irreführend gekennzeichnete oder nicht verkehrsfähige Lebensmittel vertreiben. Apothekeninhaber, die etwa wegen einer angeblichen Falschkennzeichnung belangt werden, können sich ihrerseits direkt an den Hersteller wenden und sich mit ihm gemeinsam rechtlich zur Wehr setzen. Sie haben ohnehin bei einem Kennzeichnungsfehler einen Regressanspruch gegen den Hersteller des unzureichend deklarierten NEM. Von der Benutzung selbst entwickelter Aufmachungen und Werbeslogans für NEM ist abzuraten, denn hierbei gerät man angesichts des unübersichtlichen Rechtsgebiets schnell in eine Abmahnfalle.
Verantwortlich für die Information ist der Lebensmittelunternehmer, unter dessen Namen die Lebensmittel vermarktet werden. Wenn der Apotheker ein NEM jedoch aus einem Land außerhalb der EU einführt, trägt er selbst als Importeur die Verantwortung.
Apotheker dürfen künftig keine Lebensmittel abgeben, von denen sie wissen oder annehmen müssen, dass sie den geltenden Bestimmungen nicht entsprechen. Für die Prüf- und Sorgfaltspflichten der den kennzeichnungspflichtigen Unternehmern nachgelagerten Wertschöpfungsebenen wird damit ein strengerer Maßstab eingeführt. Der Apothekeninhaber muss in seiner Apotheke sicherstellen und überprüfen, ob die relevanten Anforderungen eingehalten werden. Die Verpflichtung, die Einhaltung aller einschlägigen Kennzeichnungsvorschriften zu prüfen, ist unter Umständen recht zeitintensiv und erfordert neue Überprüfungssysteme. Wichtig ist in jedem Fall die Dokumentation. Apotheker sollten Stichprobenkontrollen in ihren Betriebsabläufen etablieren, um bei einer Beanstandung etwas vorweisen zu können.
Bei NEM sind derzeit folgende Abmahnungen bezüglich unrichtiger Kennzeichnungen „im Trend“: Zutaten im Verzeichnis in der falschen Reihenfolge angegeben, oder zu unspezifisch aufgeführt, Pflichtangaben, Mindesthaltbarkeitsdatum oder Verkehrsbezeichnung „Nahrungsergänzungsmittel“ nicht deutlich lesbar auf der Verpackung angebracht.
Apotheker, die Nahrungsergänzungsmittel verkaufen, unterliegen als Lebensmittelunternehmer auch der amtlichen Lebensmittelüberwachung, um die Sicherheit der im Handel befindlichen NEM zu gewährleisten. Nach dem Lebensmittel- und Futtergesetzbuch (LFGB) dürfen die Kontrolleure unangekündigt die Betriebsräume betreten, Proben nehmen und sämtliche Auskünfte verlangen. Werden gesetzeswidrige Lebensmittel in den Verkehr gebracht, kann es zu bußgeld- oder strafrechtlichen Sanktionen kommen – vgl. §§58 bis 60 LFGB.
Werbung für NEM mit gesundheitsbezogenen Aussagen
Werbeversprechungen über NEM werden durch die Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 (Health Claims) geregelt. Seit 14.Dezember 2012 dürfen Lebensmittelhersteller nur noch mit den derzeit 222 gesundheitsbezogenen Angaben für ihre Produkte werben, die nach einem strengen Zulassungsverfahren in einer Liste veröffentlicht wurden. Die nationalstaatlichen Regelungen wurden dadurch vereinheitlicht und gelten nicht weiter. Seit diesem Stichtag sind gesundheitsbezogene Angaben in der Lebensmittelwerbung verboten, es sei denn, sie sind ausdrücklich zugelassen und entsprechen auch ansonsten den allgemeinen und speziellen Anforderungen der Health Claims- Verordnung.
Danach darf etwa die Aussage „Calcium trägt zu einer normalen Muskelfunktion bei“ als zulässige Angabe verwendet werden. Für den Kindersaft „Rotbäckchen“ hingegen darf nach einer aktuellen Entscheidung des Oberlandesgerichts Koblenz (Urteil vom 11.12.2013, 9 U 405/13) nicht mehr mit den Aussagen „lernstark“ und „mit Eisen und Vitamin B-Komplex zur Unterstützung der Konzentrationsfähigkeit“ geworben werden. Diese Aussagen sind nach Ansicht des Oberlandesgerichts unzulässig, da sie nicht in der Positivliste der Health Claims-Verordnung enthalten sind.
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2014; 39(09):10-10