Bahnstreik und Winterwetter

Ausreden für Verspätungen?


Jasmin Theuringer

Durch den Bahnstreik kamen unlängst Tausende nicht rechtzeitig oder gar nicht zur Arbeit. Zudem steht der Winter vor der Tür und es ist mit Schnee und Eis auf den Straßen zu rechnen. Welche arbeitsrechtlichen Konsequenzen haben Verspätungen und Ausfälle der Mitarbeiter?

Beispiel: Die Auszubildende Z erscheint statt um 8.00 erst um 9.00 Uhr in der Apotheke und erklärt, es tue ihr leid, sie habe verschlafen. Da dies zum wiederholten Mal geschieht, beschließt Apothekenleiter A, es dieses Mal nicht folgenlos hinzunehmen und kürzt die Ausbildungsvergütung anteilig entsprechend den Fehlzeiten.

Der Arbeitsvertrag ist ein Austauschvertrag. Die Vergütung ist Gegenleistung für die erbrachte Tätigkeit, auch im Ausbildungsverhältnis schuldet der Auszubildende die Mitarbeit im Betrieb. Wird nicht gearbeitet, greift der allgemeine Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn“. Der Arbeitgeber ist berechtigt, für Zeiten, in denen keine Arbeitsleistung erbracht wird, die Vergütung zu kürzen.

Variante: Z erscheint wieder eine Stunde zu spät in der Apotheke und erklärt, wegen des Bahnstreiks habe sie die Apotheke nicht früher erreichen können. A steht auf dem Standpunkt, der Bahnstreik sei hinreichend angekündigt worden, Z hätte sich auf Behinderungen einstellen und früher losfahren müssen.

Die Verpflichtung zur Arbeitsleistung ist eine Bringschuld. Der Arbeitnehmer muss seine Arbeitsleistung im Betrieb des Arbeitgebers erbringen und ist dafür verantwortlich, den Betrieb pünktlich zu erreichen. Er trägt also das sog. Wegerisiko.

Bei einem angekündigten Bahnstreik ist es einem Arbeitnehmer ohne Weiteres zuzumuten, sich auf die zu erwartenden Behinderungen einzustellen, früher loszufahren oder auf andere Verkehrsmittel auszuweichen. Selbst wenn all diese Maßnahmen im Einzelfall ohne Erfolg bleiben, verliert der Arbeitnehmer seinen Vergütungsanspruch. Bei der Verwirklichung des Wegerisikos kommt es auf die Frage eines Verschuldens gerade nicht an, es wird vielmehr ein von keiner Partei zu verantwortendes Risiko auf den Arbeitnehmer verlagert. A wird also auch hier die Vergütung von Z anteilig kürzen können.

Variante: Z möchte ihren Vergütungsanspruch nicht verlieren und bietet an, die ausgefallene Zeit nachzuarbeiten. A lehnt das ab.

Die Arbeitsleistung ist zu dem im Arbeitsvertrag vereinbarten Zeitpunkt zu erbringen, es handelt sich also um eine sog. Fixschuld. Ist der vereinbarte Leistungszeitraum vorbei, so wird dem Arbeitnehmer die geschuldete Leistung unmöglich. Z kann die geschuldete und aufgrund der Verspätung nicht erbrachte Arbeitsleistung nicht nachholen, da der Leistungszeitraum von 8.00 Uhr bis 9.00 Uhr vorbei ist. Ein späteres Nachholen der ausgefallenen Stunde – soweit es die Öffnungszeiten der Apotheke überhaupt zulassen – bedarf des Einverständnisses des A. Umgekehrt kann A gegen den Willen der Z ebenso wenig verlangen, dass sie die ausgefallene Zeit nacharbeitet.

Variante: A erklärt, dass er Z wegen der wiederholten Verspätungen nunmehr einen Urlaubstag abziehen werde.

Die Verrechnung der ausgefallenen Zeit mit Urlaubsansprüchen ist ausgeschlossen, da der Urlaub der Erholung des Arbeitnehmers dient. Darüber hinaus kann Urlaub nicht einseitig vom Arbeitgeber erteilt werden, schon gar nicht rückwirkend und stundenweise. Dagegen ist es problemlos möglich, dass bei einem absehbaren Bahnstreik oder Unwetter Arbeitgeber und Arbeitnehmer kurzfristig eine Einigung treffen, dass sich der Arbeitnehmer einen Tag Urlaub nimmt.

Beispiel: Die Filialleiterin F wird am Morgen von einem über Nacht hereingebrochenen Wetterumschwung überrascht und kann wegen der von Schnee und Eis verursachten Verkehrsbehinderungen die Apotheke nicht rechtzeitig öffnen.

Der Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn“ wird an mehreren Stellen durchbrochen. Das ist nicht nur während des Erholungsurlaubs, bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und an Feiertagen der Fall, sondern auch, wenn der Arbeitnehmer „für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne sein Verschulden an der Dienstleistung verhindert wird“ (§616 BGB).

Dennoch wird sich F nicht auf die Regelung des §616 BGB berufen können, da der Arbeitsausfall nicht durch einen in ihrer Person liegenden Grund verursacht wurde. Die Vorschrift des §616 BGB ist auf persönliche, subjektive Gründefür eine Arbeitsverhinderung anwendbar, wie zum Beispiel die Pflege eines erkrankten Kindes, die Wahrnehmung nicht verschiebbarer amtlicher Termine oder herausragende familiäre Ereignisse wie die eigene Hochzeit oder Niederkunft.

Bei einer witterungsbedingten Behinderung handelt es sich jedoch um ein objektives Leistungshindernis, das jeden anderen ebenso treffen kann. Es bleibt also auch hier bei dem von F zu tragenden Wegerisiko.

Variante: A verlangt von F den Ersatz der Lohnfortzahlungskosten der Apothekenmitarbeiter, die vor der Apotheke auf das Eintreffen der F gewartet haben.

Sind die weiteren Apothekenmitarbeiter pünktlich erschienen und konnten wegen der Verspätung von F nicht arbeiten, so verlieren diese ihren Vergütungsanspruch gegenüber A nicht. Als Arbeitgeber trägt A das sog. Betriebsrisiko: Ist der Arbeitgeber aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht in der Lage, seine Mitarbeiter zu beschäftigen, ohne dass dies von einer der beiden Seiten zu vertreten ist, verlieren die Mitarbeiter dadurch ihren Vergütungsanspruch nicht (§615 Satz 3 BGB). Verursacht wurden diese Lohnfortzahlungskosten durch die Verspätung von F. Ein Anspruch des A auf Ersatz des durch die Verspätung entstandenen Schadens setzt voraus, dass F nicht nur den Schaden verursacht hat, sondern zudem auch schuldhaft gehandelt hat. Die Verspätung war bei einem unerwarteten Wetterumschwung jedoch unverschuldet, A kann somit von F keinen Ersatz der Lohnfortzahlungskosten verlangen und trägt diese, obwohl ihm der Arbeitsausfall nicht vorzuwerfen ist.

Beispiel: Die PTA P kommt während des Winters wiederholt zu spät zur Arbeit und beruft sich auf witterungsbedingte Verkehrsbehinderungen. A spricht deshalb eine Abmahnung aus.

Mit witterungsbedingten Verkehrsbehinderungen im Winter muss natürlich jederzeit gerechnet werden. Es ist von einem Arbeitnehmer zu erwarten, sich darauf einzustellen, den Wetterbericht zu verfolgen, Zeit für das Freikratzen der Windschutzscheibe einzuplanen und entsprechend früher aufzustehen. Unterbleibt all dies, handelt der Arbeitnehmer schuldhaft. Eine Abmahnung ist dann – vor allem, wenn die Verspätungen sich wiederholen – in der Regel gerechtfertigt.

Variante: P erscheint erneut verspätet und erklärt nach dem Eintreffen in der Apotheke, die Kindertagesstätte sei überraschend geschlossen worden und sie habe ihr Kind erst zu den Großeltern bringen müssen. A mahnt erneut ab. Zu Recht?

Wenn die Schließung der Kindertagesstätte nicht absehbar war, ist P allein wegen der Verspätung nichts vorzuwerfen. Ohne eine schuldhafte Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflicht, pünktlich am Arbeitsplatz zu erscheinen, kommt wegen der Verspätung allein eine Abmahnung nicht in Betracht. Jedoch ist der Arbeitnehmer in seinem solchen Fall gehalten, seine Verspätung dem Arbeitgeber unverzüglich mitzuteilen. P hätte ihre Verspätung A zumindest telefonisch anzeigen müssen, sobald sie von der Schließung der Kita erfahren hat. Unterbleibt dies, kann das eine Abmahnung rechtfertigen.

Jasmin Theuringer, Rechtsanwältin, Bellinger Rechtsanwälte und Steuerberater, 40213 Düsseldorf, E‑Mail: theuringer@bellinger.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2014; 39(23):11-11