Prof. Dr. Reinhard Herzog
Als die Europäische Union im Jahr 1992 die Maastricht-Kriterien festlegte, war Inflation noch ein Thema: Allein in Deutschland stiegen die Preise um 5,1 % p.a., in anderen heutigen EU-Mitgliedsstaaten lag die Geldentwertungsrate sogar weitaus höher. Und so wurde festgelegt, dass die Inflationsrate eines Mitgliedstaates nicht mehr als 1,5 %-Punkte über der der drei preisstabilsten Länder liegen dürfe. Heute hat sich die Situation grundlegend verändert, die Preise steigen – zumindest nach den amtlichen Berechnungsmethoden – nur noch sehr moderat.
Doch daraus entwickelt sich seit einigen Monaten eine andere Schwierigkeit: Es droht eine Deflation, also ein breit angelegter Rückgang der Preise. Verbunden sind damit aber konjunkturelle Probleme. Im Allgemeinen wird davon ausgegangen, dass eine Deflation unmittelbar in die Wirtschaftskrise mündet. Gerade dies – darin sind sich Politiker und Notenbanken einig – gilt es, um nahezu jeden Preis zu vermeiden.
Billiges Geld
Schon seit Längerem wird daher versucht, mit einer „Politik des billigen Geldes“ die Wirtschaft zu stabilisieren. Zum Paukenschlag kam es Mitte Januar 2015: Der Präsident der Europäischen Zentralbank Draghi kündigte an, ab März 2015 Monat für Monat europäische Staatsanleihen in einer Größenordnung von 60 Mrd. € aufzukaufen. Bis September 2016 werden mithin Papiere im Wert von über 1 Bio. € vom Markt genommen. Die EZB orientiert sich dabei am amerikanischen Vorbild: Die USA haben mit einem ähnlichen Programm ihre Konjunktur auf solide Füße gestellt und verzeichnen aktuell ein Wirtschaftswachstum von rund 3 %. Dass es für den Erfolg keine Garantien gibt, zeigt jedoch Japan: Hier lahmt die Wirtschaft seit über 20 Jahren, ein 2001 gestartetes Notenbankprogramm brachte keine nennenswert positiven Effekte. Auch jetzt ist zu befürchten, dass reformschwache EU-Staaten ihre eigenen Stabilisierungsbemühungen einschränken.
Für Anleger ergeben sich daraus weitreichende Konsequenzen: Schon im Vorfeld der EZB-Entscheidung sind die Zinsen in der Eurozone massiv zurückgegangen, die Kurse der ausgegebenen Anleihen entsprechend gestiegen. Die Kehrseite dieser Entwicklung: Viele Papiere bringen jetzt weniger als 1,0 % Jahresertrag. Dieser Trend dürfte aufgrund der Kapitalschwemme weiter fortdauern mit der Folge, dass selbst Unternehmensanleihen künftig auf eine Rendite nahe dem Nullpunkt zurückfallen. Bei Staatsanleihen muss sogar mit einer Negativverzinsung gerechnet werden. Auswege daraus gibt es im Segment bonitätsstarker Rentenwerte praktisch nicht, d.h., Anleger sollten eingegangene Positionen halten und bei Neuengagements eine sorgfältige Titelauswahl vornehmen.
Die Aktienmärkte honorierten die Notenbankentscheidung mit einem kräftigen Kursplus, manche Papiere verzeichneten wahre Kurssprünge. Zumindest teilweise erscheinen diese vertretbar, jedoch nicht alle Unternehmen sind solide genug aufgestellt, eine mögliche Krise unbeschadet durchzustehen. Anleger müssen in den kommenden Monaten mit erheblichen Turbulenzen rechnen, auch eine kräftige Korrektur ist keineswegs ausgeschlossen und wäre sogar zu begrüßen.
An der Währungsfront hat die EZB-Entscheidung für eine massive Abschwächung des Euro gesorgt, die durch das Ende der Interventionen beim Schweizer Franken noch verstärkt wurde. Anleger, die in den vergangenen Monaten z.B. in US-Dollar oder das Britische Pfund investierten, konnten bereits mehr als 10 % verdienen. Dieser Trend dürfte zumindest im weiteren Jahresverlauf anhalten. Eine zunehmende Beimischung von Fremdwährungen, die noch dazu besser verzinst sind als der Euro, erscheint daher durchaus interessant – wobei man sich der größeren Risiken bewusst sein muss.
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2015; 40(03):16-16