Karin Wahl
Viele Apotheken haben BGM bereits aktiv praktiziert, als das Kind noch keinen so klangvollen Namen hatte. Gab es Betriebe in der Nähe, mit oder ohne Betriebsarzt, denen man Produkte für die Betriebsapotheke lieferte, war oft der logische Schluss, dass man diesen einen Aktions- oder Gesundheitstag anbot, um die Geschäftsbeziehung zu stärken. Gegen geringes Entgelt oder ganz als Werbemaßnahme wurden verschiedene Dienstleistungen aus der Apotheke offeriert wie das Messen von Blutdruck, Blutzucker, Blutfettwerten oder des Body-Mass-Index.
Man hielt Vorträge zu gesunder Ernährung oder Bewegung und verteilte Flyer. Chronisch kranken Angestellten, die häufig ohnehin schon Stammkunden in der Apotheke waren, wurden im Rahmen der Pharmazeutischen Betreuung computergestützte Medikationschecks angeboten.
Als der Arbeitsschutz von Mitarbeitern einen immer höheren Stellenwert bekam, wurde zuerst die Primärprävention, dann die Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) propagiert und in den §§20 und 20a SGB V verankert. Seit 2009 werden entsprechende Maßnahmen auch noch
500€ je Mitarbeiter pro Jahr steuer- und sozialversicherungsfrei bleiben.
Über Nacht schossen plötzlich Anbieter, die solche Leistungen im Rahmen eines umfassenden BGM offerierten, aus dem Boden – von den federführenden Krankenkassen über Physiotherapeuten, Betriebsärzte, Berufsgenossenschaften bis hin zum TÜV! Alle nahmen für sich in Anspruch, Spezialisten für diese lukrativen Gesundheitsdienstleistungen zu sein. Aber wo waren die Apotheker geblieben? Die Standesführung hat – wohl aus Unkenntnis des Potenzials und der Inhalte – diesen Bereich nie aktiv für sich als Heilberufssparte reklamiert.
Kleine Firmen im Fokus
Inzwischen haben sich die Industrie- und Handelskammern (IHK), bei denen die Apotheker bekanntlich zahlende Pflichtmitglieder sind, ebenfalls dieses Themas angenommen. Interessant dabei ist, dass diese durch die Vielzahl ihrer Mitglieder auch sehr viele verschiedene Firmen erreichen. Die Info-Seminare sind regelmäßig ausgebucht, Titel der Veranstaltungen sind z.B.: „BGM – Investition in die Zukunft“ oder „Rechnet sich BGM? Wie wird es finanziell gefördert?“
Große Firmen mit Betriebsarzt haben inzwischen eigene BGM-Abteilungen erfolgreich implementiert, aber das heißt nicht, dass der Zug für die Apotheken abgefahren ist. Falls Sie die Betriebe mit 10 bis 200 Mitarbeitern in der Region nicht ohnehin schon kennen, können Sie als IHK-Mitglied über die IHK-Unternehmensdatenbank kostenlos bis zu 20 Betriebe online recherchieren oder gegen Gebühr eine umfangreichere Liste erhalten.
Suchen Sie dann die passenden Kandidaten aus und erarbeiten Sie für diese ein Kooperationskonzept, das sich von den üblichen Anbietern abhebt. Das ist gar nicht schwer, weil jeder Apotheker mit seinem Team jeden Tag bereits Gesundheitsmanagement für seine Kunden in Form von umfassender Beratung und Gesundheitschecks sowie Interaktionschecks selbstverständlich als Bestandteil seiner apothekerlichen Tätigkeit anbietet! Apotheker sollten das, was sie besonders gut können, herausarbeiten:
- persönliches Eingehen auf den zu Beratenden;
- Interaktionschecks bei chronisch kranken älteren Mitarbeitern, die bei den Firmen angesichts des akuten Fachkräftemangels gehalten werden sollen;
- Beratung zur richtigen Ernährung, Austausch mit dem Kantinenbetreiber, Aktionstag „Gesunde Kantine“;
- anonyme Mitarbeiterbefragung mit standardisiertem Fragebogen, um die Bedürfnisse der Belegschaft herauszufinden;
- Impfberatung;
- Halten von Vorträgen zu Gesundheitsthemen;
- Einzelberatung im Betrieb oder in der Apotheke bei Bedarf;
- Durchführung von Gesundheitstagen mit ausgewählten Kooperationspartnern (Betriebskrankenkasse, Physiotherapeut, Optiker, Sportstudio, Anbieter von Entspannungstechniken usw.).
Für diese Dienstleistungen müssen dann mit der Betriebsleitung Verträge vereinbart werden, die entweder eine Jahrespauschale, zahlbar in Monats- oder Quartalsraten, oder einzeln buchbare Leistungen vorsehen. Apotheker sind dank ihres Organisationstalents in der Lage, diesen Job als „Projektmanager“ zu übernehmen und auch die interessanten Kooperationspartner in Abstimmung mit der Betriebsleitung und eventuell dem Betriebsrat auszusuchen.
Es hat sich bewährt, wenn außer der Betriebsleitung ein Arbeitnehmervertreter als Kontaktperson bestimmt wird, weil sich dann Kommunikation und Umsetzung viel leichter gestalten. Ist man als Apotheker erst einmal fester Bestandteil im Betrieb, kann man sowohl an die Erstellung eines monatlichen Newsletters „Gesundheit und Prävention“ denken als auch im Laufe der Zeit die Mitarbeiter zu Stammkunden der Apotheke machen.
Gibt es einen festen oder freien Betriebsarzt, sollte man diesen von Anfang an „ins Boot holen“, damit man gemeinsam zum Wohle des Unternehmens arbeitet. Dabei könnte zum Beispiel im Herbst der Apotheker einen Vortrag zur Grippeimpfung halten, der, um den Betrieb nicht lahmzulegen, nicht mehr als 20 Minuten dauern darf und mindestens zwei bis drei Mal wiederholt werden sollte. Der Betriebsarzt übernimmt dann die Impfung der Mitarbeiter, die sich dafür entscheiden.
- Ziel des Betrieblichen Gesundheitsmanagements ist,
- die Mitarbeiter für gesundes Verhalten zu sensibilisieren,
- Stressabbau zu fördern,
- Veränderungen bei ungesundem Verhalten anzustoßen,
- den Wohlfühlfaktor im Unternehmen zu steigern, was die Identifizierung des Mitarbeiters mit dem Betrieb erhöht und die Fluktuation vermindert,
- Krankheitstage zu reduzieren, was dem Unternehmen Geld spart.
Dabei sind alle Standardangebote aus der Apotheke als Themen geeignet:
- Raucherentwöhnung,
- der richtige Umgang mit Medikamenten und Nahrungsergänzungsmitteln,
- Übergewicht abbauen und richtige Ernährung,
- Hygiene,
- Ergonometrie und Rückenprobleme zusammen mit Kooperationspartnern,
- Hautschutz, Sonnenschutz bei Mitarbeitern, die im Freien arbeiten oder Auslandseinsätze haben,
- empfohlene Impfungen und Reiseapotheken für Auslandseinsätze,
- persönlicher Gesundheitscheck (BZ, BD, BMI),
- Medikationsmanagement für chronisch Kranke,
- Schlafprobleme und Burnout-Prophylaxe,
- Grenzen und Möglichkeiten der Komplementärmedizin,
- Augenprobleme bei Computerarbeitsplätzen und ungeeigneten Lichtverhältnissen in Kooperation mit Augenarzt oder Optiker,
- Initiierung von Laufgruppen, Beispiel „Bewegte Apotheke“.
Diese Liste lässt sich je nach Interessen der Firmenmitarbeiter und der Art des zu betreuenden Betriebes ganz individuell erweitern. Dabei sollten auch die fachlichen Kompetenzen und Schwerpunkte der Apothekenmitarbeiter genutzt werden.
Viele Approbierte und PTA haben sich Zusatzqualifikationen erworben. Das wäre eine gute Chance, diese Qualifikationen in klingende Münze umzuwandeln, indem man sie als Referenten und Betreuer mit einsetzt.
Man sollte mit einem nicht zu komplexen Betrieb wie zum Beispiel einem Autohaus, einem mittleren Handwerksunternehmen oder auch mit kommunalen Einrichtungen wie dem Rathaus beginnen. Wenn man erst einmal die Routine erworben hat, kann man das erarbeitete Konzept und die Vorträge dann an weitere Betriebe adaptieren.
Apotheker müssen lernen, ihren gesicherten HV-Bereich zu verlassen und ihre vielfältigen Kompetenzen auch außerhalb der Apotheke anzuwenden. Wenn die erste Hürde geschafft ist, wird man schnell merken, dass es sich beim BGM um eine befriedigende und apothekenadäquate Dienstleistung handelt. Nur Mut! Literatur zum Thema BGM kann bei der Verfasserin unter karin.wahl@t-online.de angefordert werden.
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2015; 40(09):7-7