Ute Jürgens
Nudging – einen kleinen Schubser geben – bedeutet, Menschen Ziele zu setzen, die sie als richtig erkennen und daher aus eigenem Antrieb zu erreichen versuchen. Die meisten Unternehmen greifen jedoch auch heute noch zur Methode Belohnung, Bestrafung und Bevormundung, um das Verhalten der Angestellten zu steuern. Das sorgt nicht immer für gute Stimmung im Team, werden doch bestimmte Verhaltensweisen verurteilt und Mitarbeiter ins Abseits gestellt. Gibt es zudem ein Bonussystem, ist damit ein erhöhter Verwaltungsaufwand verbunden, der Effekt nutzt sich auf Dauer ab und die Angestellten empfinden diese Methode oft als ungerecht, weil einzelne bevorzugt werden.
Besser ist es, Anreize zu setzen, quasi zu erinnern wo es langgehen soll, ohne dabei Druck auszuüben und bei ausbleibender Reaktion Sanktionen folgen zu lassen. Das spart Ressourcen und Kraft auf allen Seiten und verhindert Enttäuschungen. Der Ansatz des Nudgings stammt aus der Verhaltensökonomie. Man versucht, durch das Verändern der Umstände eine bestimmte Reaktion zu erreichen. Ein Beispiel: Die Zahl der Organspender steigt sprunghaft an, wenn man nicht wie hier in Deutschland aktiv entscheiden muss, dass man spenden möchte, sondern wenn man aktiv werden muss, um kein Spender zu sein und dafür bei Behörden oder im Internet nach Formularen suchen muss.
Der Ökonom Richard Thaler und der Jurist Cass Sunstein haben Nudging an der Universität Chicago entwickelt. Es wird seit Längerem in Politik und Wirtschaft mit großem Erfolg angewendet. Der Mensch trifft seine Entscheidungen bei Weitem nicht so rational wie er glaubt. Das macht sich der „liberale Paternalismus“ zunutze. Man versucht, Menschen zu klugem Handeln zu ermuntern, ohne sie direkt zu bevormunden oder ihnen etwas vorzuschreiben. Wie immer bei der Beeinflussung von Verhalten kann man auch hier von Manipulation sprechen. Im Grunde genommen kann man aber nicht nicht beeinflussen. Bleibt man vollständig passiv, besteht auch darin eine Manipulation.
Bei der Beratung in der Apotheke und der Personalführung geht es jedoch grundsätzlich um positives Tun im Bereich Gesundheit. Es macht einen Unterschied, ob Sie als Chef z.B. Getränke zur Verfügung stellen oder nicht. Im ersteren Fall unterstützen Sie die Gesundheit Ihrer Mitarbeiter aktiv, indem Sie Anreize setzen. Das Gleiche gilt für die zusätzliche Bereitstellung von Obst im Sozialraum. Die Wahlfreiheit bleibt.
Wie geht man am besten vor, wenn man ein bestimmtes Verhalten anstoßen will?
Hindernisse aus dem Weg räumen
Werden die Kittel Ihrer Mitarbeiter erst gewechselt, wenn sie schmuddelig sind? Lassen Sie den Boten jeden Montag zur Reinigung gehen und bezahlen Sie die Rechnung. Dann hangeln sich die Angestellten nicht mehr von Tag zu Tag mit einem „Ach, das geht heute noch mal...“ und setzen den Sauberkeits- über den Spareffekt.
Bei der Kundenberatung stellen Sie fest, dass ein älterer Kunde nur einen halben Liter Flüssigkeit am Tag trinkt, das Schleppen der Flaschen ist zu schwierig und eine Anlieferung zu teuer. Machen Sie einen Ausschank oder geben Sie ihm Proben verschiedener Teesorten mit. So umgehen Sie seine Skepsis, ob es sinnvoll ist, eine ganze Packung womöglich nicht schmeckenden Tees zu kaufen. Nach dem Test besorgt er sich gezielt seinen Lieblingstee bei Ihnen.
Bieten Sie auch grundsätzlich Applikationshilfen wie Augentropfflaschenhalter, Tubenaufroller, Tablettenteiler usw. an.
Anreize setzen und Ideen „implantieren“
Suchen Sie in den nächsten 10 bis 15 Jahren einen Nachfolger? Wenn Sie jetzt einen oder eine Approbierte jüngeren Alters in der Apotheke haben, beziehen Sie diese(n) in viele Führungsentscheidungen ein und delegieren Sie frühzeitig Aufgaben. Je klarer es für einen jüngeren Menschen wird, was Betriebsleitung bedeutet, umso eher werden eventuelle Vorurteile dahingehend abgebaut, dass Führung grundsätzlich zu schwierig ist. Ob die Übergabe später tatsächlich funktioniert, steht auf einem anderen Blatt.
Ein weiteres Beispiel betrifft Ihre Kundendatei: In vielen Apotheken bekommen Mitglieder 3% Rabatt auf rezeptfreie Produkte. Sie bieten jemandem die Aufnahme in die Datei mit den Worten an „Sie sparen 3%“. Ein starker Nudge wäre hier: „Wenn Sie nicht eingetragen sind, verschenken Sie jedes Mal 3%.“ Nachgewiesenermaßen motiviert die zweite Variante mehr zum Beitritt.
Den Spieltrieb befriedigen
Liegt die Fußmatte mal hier, mal da und meistens viel zu weit im Raum? Malen Sie Markierungen oder ein Parkschild auf den Boden, die Reinigungsfee wird besser zielen. Auf Herrentoiletten erreicht man übrigens eine um 80% höhere Sauberkeit, wenn im Abfluss des Urinalbeckens ein kleines Fußballtor aufgestellt ist.
Die Trägheit nutzen
Ist der Papierverbrauch beim Fotokopierer zu hoch? Haben Sie Ihre Mitarbeiter wiederholt gebeten, beide Seiten zu nutzen, und keiner macht es? Stellen Sie die Geräte auf „doppelseitig bedrucken“ ein. Kaum jemand hat Lust, erst ins Menü zu gehen, um dies rückgängig zu machen, weiß er doch, dass er richtig handelt, wenn er es lässt, wie es ist. Moderne Geräte erkennen, wenn es nur eine Seite gibt, und werfen diese direkt aus, wenn nicht sofort eine zweite nachgeschoben wird.
Oder: Sie möchten Strom sparen, in wenig benutzten Räumen sollte das Licht daher nicht dauerhaft brennen. Leider vergessen aber alle, es beim Verlassen des Raums wieder auszumachen. Wenn es sich nach fünf Minuten automatisch ausschaltet, müssten alle extra zum Schalter laufen, wenn sie noch im Raum sind. Der Effekt: Jeder beeilt sich, um dieses zu vermeiden, und wenn keiner anwesend ist, bleibt das Licht ausgeschaltet.
Ein Standard wird von uns immer akzeptiert, wenn das Umbauen oder Abweichen davon aufwendig ist.
Den Herdentrieb ansprechen
Wir neigen dazu, anderen zu folgen, die vorausgehen, und uns dort anzuschließen, wo schon etwas vororganisiert ist. Ebnen Sie die Wege, wenn Sie Ihr Team zu mehr Fortbildung veranlassen möchten. Erzählen Sie, wer aus der Filialapotheke alles mitmacht, stellen Sie Mitfahrgelegenheiten zur Verfügung und geben Sie Mitarbeitern, die bis kurz vorher arbeiten müssten, eine halbe Stunde eher frei. Malussysteme wirken besser als Bonussysteme: Setzen Sie für jeden ein Fortbildungsbudget pro Jahr aus. Das kann ein Zeitguthaben, ein finanzielles oder beides sein. Diese Prämie verfällt, wenn man sie nicht nutzt. Einmal pro Quartal teilen Sie mit, wie viele Kollegen schon etwas davon verbraucht haben. Jeder sieht im Vergleich, wo er steht.
Wenn ein Kunde noch zwischen zwei Möglichkeiten schwankt und Sie eine davon speziell für ihn favorisieren, hilft ein „Das haben heute schon mehrere gekauft“ (wenn es denn so ist). Hier stehen Sie natürlich wieder vor der Frage, wo für Sie die helfende Beratung aufhört und die Manipulation anfängt...
Die Nudging-Methode setzt Eigenverantwortung voraus. Hat die „genudgte“ Person keine innere Bereitschaft zu der initiierten Handlung, wird sie diese auch nicht umsetzen. Die kleinen Stubser wirken eher oberflächlich und nehmen keinerlei Einfluss auf das tiefer verankerte Wertesystem eines Menschen. Sie bedeuten Hilfen und Entlastung in kleineren Entscheidungssituationen und erleichtern den Alltag, weil man automatisch den richtigen Weg nehmen kann.
Buch-Tipp
Richard H. Thaler und Cass R. Sunstein: Nudge. Wie man kluge Entscheidungen anstößt. Ullstein Taschenbuch 2010. 9,95 €
zu beziehen über den Deutschen Apotheker Verlag (Telefon: 0711/2582 341, Telefax: 0711/2582 290, E‑Mail: service@deutscher-apotheker-verlag.de)
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2015; 40(09):9-9