Axel Witte
Auch bei Apotheken ist es leider keine Seltenheit mehr, dass sie in eine Schieflage geraten können. Steigender wirtschaftlicher Druck durch sich verändernde Rahmenbedingungen, zunehmenden Wettbewerb, zu schnelles und unkontrolliertes Wachstum, sich verändernde Standortfaktoren oder auch Managementfehler senkt die betriebswirtschaftliche Fehlertoleranz und kann heute mehr denn je zu einer Rentabilitäts- und Liquiditätskrise führen. Hieraus kann sich eine Situation entwickeln, in der der Fortbestand des Unternehmens gefährdet ist. Vom Grundsatz her stellt sich für einen Apothekeninhaber immer die Frage nach der Tragfähigkeit seines Betriebes, und das nicht nur kurzfristig. Denn auch die Veräußerbarkeit und der Kaufpreis der Apotheke hängen von der Beantwortung dieser Frage ab.
Oft ist man im Nachhinein erstaunt, wie lange vorher die ersten Anzeichen einer Fehlentwicklung auftraten, ohne dass entsprechend agiert wurde. Wesentliche Merkmale, woran der Apotheker eine bereits vorliegende Krisensituation seines Unternehmens erkennt, wurden bereits in der AWA-Ausgabe vom 15. April 2015, S. 8, dargestellt. Je länger eine Krise dauert, desto schwieriger ist es, erfolgreich gegenzusteuern. Risiken und Fehlentwicklungen vorausschauend zu erfassen, ist die wichtigste Aufgabe des Apothekeninhabers.
Gefährdungspotenziale aufspüren
„Agieren vor Reagieren“, dieser allgemeine Führungsgrundsatz bringt prophylaktisches Krisenmanagement auf den Punkt. Denn häufigster Auslöser von Unternehmenskrisen sind Fehler (auch Unterlassungen) im strategischen Management. Gefährdungspotenziale werden nicht oder zu spät erkannt.
Wichtig ist, Risiken außerhalb akuter Krisenzeiten aufzuspüren. Dies ermöglicht Zeitgewinn, Schadensbegrenzung und vorausschauende Lösungen. Prophylaktisches Krisenmanagement/Unternehmensführung ist keine Einmalaktion. Es empfiehlt sich, systematisch und regelmäßig wiederkehrend die einzelnen betrieblichen Bereiche gezielt durchzugehen, Handlungsbedarf und Chancen aufzuspüren und Lösungen zu entwickeln. Natürlich geht es nicht um Aktionismus bzw. darum, alle möglichen Risiken zu definieren. Anliegen ist vielmehr eine Einschätzung der Eintrittswahrscheinlichkeit, der Tragweite und der Zeitschiene des jeweiligen Sachverhalts. Welche Auswirkungen sind im konkreten Fall zu erwarten? Was bedeutet es z.B. ganz konkret (umsatz-, rohertrags-, kosten- und ertragsmäßig), wenn ein Hauptverordner wegfällt, die Heimversorgung wegbricht oder eine Konkurrenzapotheke im neuen Einkaufscenter gegenüber entsteht? Von kaum spürbaren Auswirkungen bis zum Worst Case ist alles möglich. Dementsprechend muss das Handlungskonzept aussehen. „Vogel-Strauß-Verhalten“ ist keine Alternative.
Risikoanalyse – keinen Bereich auslassen
Die nachfolgend zusammengestellten betrieblichen Bereiche können ganz verschiedene individuelle Risiken enthalten. Grundsätzlich gilt: Kein betrieblicher Bereich sollte, so banal das klingt, bei der Risikoanalyse ausgelassen werden. Eine Recherche lohnt sich. Nicht selten werden aber diese analytischen und strategischen Aufgaben vom Alltagsgeschäft aus dem Fokus des Apothekeninhabers verdrängt. Insofern ist die Thematisierung als Anregung zu verstehen.
Die Risikoanalyse umfasst u.a. die regelmäßige Auseinandersetzung mit den folgenden Gebieten.
- Entwicklung des Apothekenstandortes (Standortanalyse): Gibt es z.B. Veränderungen bei den Einwohnern/Kunden, Hauptverordnern, Netzwerkpartnern, Frequenzbringern, Mitbewerbern und bezüglich der verkehrstechnischen Situation? Die Standortanalyse ist nicht nur ein Instrument, um sich im Rahmen einer geplanten Existenzgründung Klarheit über die Tragfähigkeit eines Standortes zu verschaffen. Sie hat sich genauso für bestehende Unternehmen bewährt.
- Entwicklung des regionalen Markt- und Kundenpotenzials (Marktanalyse): Welches Umsatzpotenzial ist im regionalen Markt vorhanden? Welchen Marktanteil hat die Apotheke? Welche besonderen Kundengruppen (auch Großbedarfsträger bis hin zu Heimen, Pflegediensten usw.) gibt es? Wie viele Stammkunden hat die Apotheke? Was wird auf dem Gebiet des Marketings, der Kundenbindung usw. getan?
- Ressourcen und Mitarbeiter der Apotheke: Wie sieht die räumliche, technische und personelle Ausstattung der Apotheke aus (Stichwort: ApBetrO)? Sind Investitionen notwendig? Im Mitarbeiterbereich interessieren Ausfallrisiken wegen Krankheit, Schwangerschaft, Fluktuation genauso wie die Arbeitsmarktsituation, Fragen des Arbeitsschutzes, des Betriebsklimas und der Motivation des Teams. Ist der Erhalt des Wissensstandes und die Weiterbildung (aller) Mitarbeiter gesichert? Wie wird mit Fehlern im Unternehmen umgegangen?
- Betriebliche Prozesse in der Apotheke – hierbei sollte man sich z.B. mit folgenden Fragen auseinandersetzen: Wie ist der grundsätzliche Arbeitsablauf organisiert? Sind Verantwortlichkeiten, Information und Controlling klar geregelt? Welche Sachverhalte haben in der letzten Zeit Anlass für Kundenbeschwerden, Reklamationen oder Auseinandersetzungen im Team usw. gegeben? Waren die letzten Aktionen erfolgreich? Werden Datenschutz und IT-Sicherheit gewährleistet? Werden Wareneinkauf, Kassenvorgänge, Ausgangsrechnungen zeitgerecht erfasst? Wie ist das Nachhalten von Forderungen organisiert? Gibt es klare Regelungen für den Umgang mit der Kasse? Welche Risiken bestehen im Hinblick auf mögliche Betriebsprüfungen usw.?
- Wareneinkauf/Warenlager der Apotheke: Wegen der großen Relevanz für das Ergebnis der Apotheke sollten diese Prozesse kurz separat beleuchtet werden. Gibt es klare Vorgaben des Inhabers für den Wareneinkauf (Größenordnungen, Parameter für Direkt- und Großhandelseinkauf, Aufteilung auf die Lieferanten)? Werden diese umgesetzt? Kennen Sie die mit den Lieferanten vereinbarten Konditionen? Wie ist das Einkaufs- und Rechnungscontrolling organisiert? Ist der Umgang mit Bestandsdifferenzen und -korrekturen in der Apotheke eindeutig geregelt?
- Vorhandene Verträge: Haben sie einen detaillierten Überblick über die bestehenden Verträge, Laufzeiten, Kündigungsmöglichkeiten usw.? Das beginnt z.B. bei den Versicherungen, geht über Miet- und Leasingverträge bis hin zum Softwarehaus oder den Heimversorgungsverträgen. Eine zentrale Rolle kommt dem Mietvertrag zu. Wann läuft er aus? Bestehen noch Optionsmöglichkeiten? Wann ist die nächste Option auszuüben etc.?
- Finanzlage der Apotheke: Wie sieht es mit der Liquidität der Apotheke aus? Reicht der Rohertrag, um alle Kosten zu begleichen, den Kapitaldienst, die Steuern, die notwendigen Vorsorgeaufwendungen und die eigene Lebenshaltung zu finanzieren? Überprüfen Sie die Situation (siehe auch „Die Geldverwendungsrechnung“ in der AWA-Ausgabe vom 15. April 2014, S. 8) zumindest vor Entscheidungen, die mit größeren Ausgaben verbunden sind, wie z.B. Investitionen (betrieblich wie privat), Aufstockung im Mitarbeiterbereich usw.? Wie oft und in welchem Umfang wird der Kontokorrent genutzt? Ist eine Umschuldung günstig? Wenn die Verbindlichkeiten größer sind als die Forderungen und vorhandenen liquiden Mittel, dann besteht meist Handlungsbedarf.
Nicht selten werden im Zusammenhang mit der Analyse der betrieblichen Bereiche sowohl Gefährdungspotenziale aufgedeckt als auch echte Handlungsalternativen und Chancen erschlossen, die neue Impulse für die Entwicklung der Apotheke geben. Damit verbinden sich prophylaktisches Krisenmanagement und strategische Unternehmensführung. Zentrale Aufgabe ist das rechtzeitige Erkennen von Gefährdungspotenzialen. Sinnvoll ist, dass sich der Apothekeninhaber auch ein Frühwarnsystem verschiedener betriebswirtschaftlicher Kennzahlen etabliert, das zeitnah Fehlentwicklungen signalisiert. Hierauf wird in einer der folgenden Ausgaben des AWA eingegangen.
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2015; 40(12):7-7