Ute Jürgens
Ein Großteil der Menschen über 60 bleibt heute länger im Beruf als früher – nicht nur weil offiziell das Rentenalter heraufgesetzt wurde, sondern weil „Bestager“ noch Lust haben zu arbeiten oder dies aus finanziellen Gründen müssen. Doch auch wer weniger oder gar nicht mehr arbeitet, legt noch lange nicht die Hände in den Schoß, sondern bleibt aktiv, lernt Neues und engagiert sich in Familie und Ehrenamt.
Gut informiert und kaufkräftig
Der IT-Branchenverband Bitkom hat ermittelt, dass mittlerweile knapp 40 % der Menschen über 65 online sind. Sie kaufen im Internet ein, informieren sich dort und zahlen ihre Rechnungen online – das Ganze mit steigender Tendenz. Übrigens sagt auch jeder zweite Befragte von sich, dass er ohne das Internet nicht mehr auskommen würde.
So stehen wir in der Apotheke häufig älteren Menschen gegenüber, die sich bereits im Internet bestens informiert haben. Daher gilt es als erstes herauszufinden, auf welchem Wissensniveau der Kunde gerade steht und welcher Spur er im Netz gefolgt ist. Denn es ist dann ggf. überflüssig, mit der Beratung ganz vorne anzufangen, gesucht ist vielmehr der aktuelle Punkt des Wissens, von dem aus man startet.
In Kürze geraten die sog. Babyboomer in die Altersgruppe zwischen 60 und 70 und sind damit die zahlenstärkste Generation und in diesem Sinne die Hauptzielgruppe. Allerdings wird das von vielen Unternehmen nicht richtig erkannt. Nach wie vor bestimmt unser Denken noch das Klischee: „Bei den Alten ist sowieso nichts zu holen!“ Das dies nicht so ist, verdeutlichen die Autoren Muthers und Ronzel. Ihren Erkenntnissen zufolge besitzt die Gruppe 50+ nämlich 50 % des verfügbaren Einkommens und 75 % aller Vermögenswerte. Sie kauft 80 % der Luxusautos und 50 % aller Kosmetik.
Früher waren alte Menschen eher eine Randgruppe innerhalb der Gesellschaft. Und auch heute noch werden Senioren mit kognitiven und körperlichen Defiziten in Verbindung gebracht. Obwohl das nicht immer den Tatsachen entspricht, möchte trotzdem kaum jemand als Senior bezeichnet werden. Produkte, die in irgendeiner Weise als „für Senioren geeignet“ gekennzeichnet werden, finden daher meist geringen Absatz – das fängt beim Seniorenteller an und hört beim Seniorenauto auf. Dahinter steckt wohl das altbekannte „Jeder will alt werden, keiner will alt sein.“
Diese Erkenntnisse müssen im Apothekenalltag entsprechend Berücksichtigung finden. Bevor wir beispielsweise das Gespräch mit einem älteren Menschen beginnen, sollten wir unsere innere Einstellung hinterfragen und uns selbst beobachten: Sprechen wir automatisch lauter obwohl es nicht nötig ist? Gehen wir davon aus, dass unser Gegenüber begriffsstutzig oder uninformiert ist? Denn wir verlieren Zeit und langweilen den Kunden, wenn wir elementare Dinge erklären, die er längst weiß.
Ausreichend Zeit nehmen
Auf der anderen Seite werden viele „Bestager“ oft kurz abgefertigt, Kundenwünsche werden auf diese Weise nicht erkannt – und schon gar nicht befriedigt. Wer als Apothekenmitarbeiter erkennen lässt, dass er von Langsamkeit oder als so empfundener Umständlichkeit genervt ist, lädt den Kunden geradezu ein, sich das nächste Mal eine andere Apotheke zu suchen. Eben weil man nicht zum alten Eisen gezählt werden möchte, entwickelt man sehr feine Antennen für die Ausstrahlung des pharmazeutischen Personals und empfindet uns unter Umständen als arrogant, herablassend und desinteressiert.
Wie gehen Sie damit um, wenn noch andere Kunden warten, Ihr aktueller Kunde etwas länger braucht und Sie merken, wie Ihnen die „Ungeduld die Beine hochkriecht“? Drängen Sie nicht zum Abschluss! Ihr Gegenüber wäre wahrscheinlich gerne schneller, ist es aber nicht mehr. Die Ärztin Anne van Stappen empfiehlt in ihrem Ratgeber, immer davon auszugehen, dass unser Gegenüber uns nicht mit Absicht aufhält. Entwickeln Sie Verständnis und bleiben Sie empathisch, das tut auch Ihnen gut.
Einrichtung anpassen
Ein anderer Bereich erfordert ebenfalls Beachtung: unsere Einrichtung, Hinweisschilder, Zeitschriften usw. Ansprechend ist hier ein Arbeitsplatz mit Sitzgelegenheit für Kunde und Bediener. Ob Sie dort einen „Greyhopper“ beraten, der gerade vom Inlineskaten kommt, eine Hochschwangere, Menschen mit Kreislaufbeschwerden oder tatsächlich körperlich schwache, alte Menschen – vermutlich wird dieser Bedienungsplatz von allen gerne genutzt. Dabei gilt: Übersehen sollten wir niemanden, der sich dort niederlässt!
Gibt es eine „Seniorenecke“ mit Gehwagen und „seniorengerechten“ Hilfsmitteln wie Teleskopgreifer, Deckelöffner und Lupen? Bieten Sie alles an, aber vermeiden Sie dabei den Begriff „Senior“. Denn viele Ältere sehen sich nicht als Senioren und meiden unter Umständen Ihre Apotheke, weil sie nicht in einer „Seniorenapotheke“ einkaufen möchten. Muthers: „Die ‚Alten‘ sind wählerische Konsumprofis und haben meist mehr Kauferfahrung als die meisten Verkäufer Verkaufserfahrung. Wenn ihre Erwartungen und Vorstellungen nicht erfüllt werden, kommen sie nicht mehr.“
Apotheken-Homepage pflegen
Ein weiterer Bereich, um den Sie sich gut kümmern sollten, ist Ihre Apotheken-Homepage. Achten Sie darauf, diese stets auf dem neuesten Stand zu halten, etwa aktuelle Angebote aufzunehmen. Alles sollte übersichtlich gegliedert und schnell zu finden sein. Ist man nicht mehr gut zu Fuß, ist es eine große Erleichterung, zuhause aussuchen zu können, via Intenet zu bestellen und das Gewünschte per Boten geliefert zu bekommen. Dabei sollte auf Ihrer Homepage auch die Möglichkeit zum Bezahlen – am besten mit mehreren Alternativen – bestehen.
Eine Rubrik mit „Alltagshelfern“, in der Tablettenteiler, Griffhilfen und Antirutschmatten angeboten werden, wird gerne angenommen. Auch viele 30-Jährige, die Mineralwasserflaschen oder Twist-Off Gläser nicht mit der bloßen Hand öffnen können, sind froh darüber, ist es doch schwierig, diese Dinge in anderen Geschäften oder gar Kaufhäusern und Einkaufszentren zu finden.
Sicher können Sie die Nichtakzeptanz des Alterns ein Stück weit nachvollziehen – denken Sie daran, wie viele von uns das Tragen einer Lesebrille hinauszögern! Und dies geschieht nicht etwa aus Bequemlichkeit oder weil wir uns keine Brille leisten können... Andere starten plötzlich mit Leistungssport oder fordern sich auf andere Weise körperlich. Es ist nicht mehr selbstverständlich, dass alles problemlos funktioniert und wir versuchen nun aktiv – oft über das normale Maß hinaus –, den Alterungsprozess zu verlangsamen.
Die Apotheke sollte ein breites Sortiment anbieten, das alle Altersgruppen berücksichtigt. Wenn unser Betrieb flächenmäßig recht klein ist, empfiehlt es sich, Kataloge bereitzuhalten. Positiv auffallen werden Sie außerdem mit einem Extrabildschirm im Beratungsraum, auf dem entsprechende Produkte dargestellt werden. So bekommt der Kunde sofort ein klares Bild und kann sich besser entscheiden.
Ein umfassendes Wissen, welche Möglichkeiten der Gesundheitsmarkt bietet – auch außerhalb von Medikamenten – macht sich durchaus bezahlt. Wenn sich kein Sanitätshaus direkt nebenan befindet und die Ware als apothekenüblich gilt, steht auch einem entsprechenden Service nichts im Wege.
Nehmen Sie ältere Menschen ernst, Wertschätzung und Respekt schaffen Vertrauen!
Buch-Tipp
Helmut Muthers, Wolfgang Ronzal: 30 Minuten Marketing 50+. Gabal Verlag. 2012. 8,90 €
Anne van Stappen: Das kleine Übungsheft – Mit schwierigen Zeitgenossen umgehen. Trinity Verlag. 2014. 6,99 €
zu beziehen über den Deutschen Apotheker Verlag (Telefon: 0711/2582 341, Telefax: 0711/2582 290, E‑Mail: service@deutscher-apotheker-verlag.de)
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2015; 40(16):10-10