Diebstahl in der Apotheke

Gefahren erkennen und gezielt vorbeugen


Karin Wahl

Diebstahl im Einzelhandel ist ein bekanntes Phänomen. Viele Unternehmen preisen bereits bei der Kalkulation der Ware einen Faktor X für „Schwund“ von bis zu 5% je nach Branche ein. Auch Apotheken sind betroffen. Dabei zählen sowohl Kunden als auch Mitarbeiter zu den „Tätern“.

Zunächst muss man sich verdeutlichen, dass nicht nur das Entwenden von Waren oder Geld als Diebstahl zählt, sondern auch die unerlaubte und ungefragte Mitnahme von Proben, Büro- oder Verpackungsmaterial. Dabei ist es egal, ob das Unternehmen die Artikel gegen Bezahlung erworben hat oder ob sie als Abverkaufshilfe einer Warenlieferung beigefügt wurden.

Unrechtsbewusstsein schärfen

Hier muss häufig zuerst das Unrechtsbewusstsein geweckt werden. Mitarbeiter nehmen gerne an, dass „Pröbchen“ geschenkt und ohne größeren Wert seien. Daher sollte man klarstellen, dass der richtige Einsatz dieser „Pröbchen“ zu einem Nachkauf der Artikel führen soll. Diese gezielte Marketingmaßnahme funktioniert nicht mehr, wenn sich Mitarbeiter beim Eintreffen der Ware gleich großzügig selbst bedienen und man den Kunden dann für die Einführung des neuen Produkts nichts mehr zum Kennenlernen anbieten kann.

Abhilfe kann der Chef treffen, indem er den Außendienstmitarbeiter bittet, gratis Kennenlern-Packungen für die Mitarbeiter zu liefern. So können diese selbst testen und nutzen die Kosmetikproben für zusätzliche Abverkäufe und damit Umsätze.

Bereits bei der Einstellung eines Mitarbeiters sollte verdeutlicht werden, dass man auf Ehrlichkeit, Integrität und Loyalität großen Wert legt. Wird im Kleinen großzügig darüber weggeschaut, wird jemand mit Diebstahlspotenzial geradezu animiert, auch andere Gegenstände mitzunehmen.

Beispiel: Eine Schülerin arbeitet im Rahmen ihres Berufsorientierenden Praktikums (BOP) in einer größeren Apotheke. Ihr wird die Aufgabe zugewiesen, Übervorrat, Verpackungsmaterial und Abverkaufshilfen aufzufüllen, die im Keller gelagert werden. Sie macht einen freundlichen und hilfsbereiten Eindruck, sodass das Personal sie schnell unbeaufsichtigt arbeiten lässt. Da sie eine halbe Stunde früher als das Team Feierabend hat und der Ausgang im Bereich des hinteren Backoffice liegt, wird ihr Gehen nicht weiter beachtet. Am dritten Tag fällt einer PKA allerdings auf, dass das Mädchen morgens nur mit einer kleinen Tasche kommt, abends aber mit einer großen Tüte geht. Am vierten Tag wird sie abgepasst. Die große Tüte ist voll von Verschenkartikeln der Apotheke unter anderem auch von einer großen Zahl an Inkontinenzproben.

Die Schülerin sagt, ihre Oma hätte nicht viel Geld und könne sich die teuren Inkontinenzeinlagen nicht leisten. Dabei zeigt sie kein größeres Unrechtsbewusstsein. Der Chef wird informiert. Er erteilt ihr sofort Hausverbot und beendet das BOP. Ob die junge Frau auch Arzneimittel aus dem Übervorrat mitgenommen hat, lässt sich trotz festgestellter Lagerdifferenzen nicht beweisen.

Immer wieder werden von renommierten Instituten Studien für den Einzelhandel erstellt, die davon ausgehen, dass ca. 50% der Verluste auf das Konto von Kunden gehen, ca. 20% auf das Konto der Mitarbeiter und der Rest auf anderen Ursachen beruht. Der Gesamtschaden beläuft sich auf mehrere Milliarden Euro. In der Apotheke sind besonders hochwertige Kosmetika vom Diebstahl durch Kunden betroffen, was nicht heißt, dass nicht auch Bonbons und Traubenzuckerrollen „mitgehen“.

Selbst der Einsatz von Ladendetektiven und besonderen Diebstahlsvorrichtungen schützt nicht vor Warendiebstählen. Je kleiner ein Artikel ist, umso leichter lässt er sich unbemerkt entwenden.

Wie kann man dem Diebstahl durch Kunden vorbeugen?

  • In der Offizin sollte sich immer ein Mitarbeiter aufhalten.
  • Besonders die hochpreisigen Artikel sind in Kassen- und HV- Tischnähe zu platzieren.
  • Kunden sollte man nicht zu lange allein am Regal stehen lassen. Besser ist es, dem Kunden Hilfe anzubieten, dann weiß er, dass er wahrgenommen wurde.
  • Es empfiehlt sich, Spiegel schräg über den Freiwahlregalen aufzuhängen. So sieht man, was am Regal passiert – besonders, wenn die Kunden mit dem Rücken zum HV-Tisch stehen.
  • Die Regale sollten laufend nach Lücken inspiziert und geprüft werden, ob womöglich nur noch der Umkarton der teuren Gesichtscreme im Regal steht.
  • Freiwahlregale sind ohne „Grifflücken“ anzuordnen, dann sieht man sofort, ob etwas fehlt.
  • Ertappt man den Kunden auf frischer Tat, ist er sofort zu stellen und anzusprechen („Das wollten Sie doch sicher auch noch bezahlen“) – wirkt Wunder!
  • Hat ein Kunde mit der Ware das Geschäft verlassen, sollte sofort die Polizei samt Beschreibung von Täter und gestohlener Ware informiert werden.

Beliebte „Verstecke“ sind übrigens Mantel- oder Handtaschen, aber auch eine zum „U“ geformte Zeitung erfüllt ihren Zweck.

Welche anderen Umstände führen zu Warendifferenzen?

  • Schlampigkeit bei der Warenannahme.
  • Zu wenig Ware in der Kiste, aber volle Zahl laut Lieferschein eingegeben (besonders häufig bei Sommer- und Winterbevorratung großer Stückzahlen).
  • Großhandelsfahrer hat sich „bedient“ und es fällt nicht auf, deshalb immer Vorsicht bei nicht mit Plastikband verschlossenen Kisten.
  • Falsches Handling der (Computer)-Kassen bei Retouren oder Stornobuchungen. Jede Buchung muss durch abgezeichneten Beleg nachgewiesen werden, um bei Fehlern alles rekonstruieren zu können.
  • Zu Bruch gegangene Ware wurde nicht korrekt ausgebucht.
  • Manche vermeintliche Fehlbestände klären sich wieder auf, z.B. wenn die Ware an einem anderen Lagerort als üblich gelagert und daher zunächst nicht gefunden wurde.

Also muss sehr genau geprüft werden, ob Fehlbestände durch falsche Handhabung oder durch Diebstahl zustande kamen. Dabei wird häufig angenommen, dass die hochgerüstete EDV in Apotheken besser vor Diebstahl durch Mitarbeiter schützt. Dies ist jedoch ein Trugschluss. Denn junge Mitarbeiter, die mit der IT-Technik aufwachsen, lernen auch sehr schnell, diese auszutricksen. Daher sollten alle Buchungen, die Lagerveränderungen treffen, nur mit dem persönlichen Passwort (das geheim sein und vorsichtshalber immer wieder geändert werden sollte) getätigt werden können.

Diebstahl von Geld

Es fehlen in Apotheken jedoch nicht nur immer wieder Proben und Verkaufsware, sondern auch Geld. Da Menschen, die Geld stehlen, sich sicher bewusst sind, dass das kriminell ist, gehen sie auch besonders raffiniert vor. Leider machen es viele Apotheken den diebischen Elstern auch zu leicht. Daher gilt:

  • Kassenschubladen sind immer geschlossen zu halten.
  • Öffnung der Kasse nur mit Anmeldungskürzel des Bedieners.
  • Wechselgeldkasse nicht öffentlich zugänglich.
  • Beim Wechseln von Geld immer Vier-Augen-Prinzip!
  • Genaues Prüfen bei der Wechselgeldrückgabe an Kunden – auch hier gibt es Trickbetrüger, die behaupten, mit 50 € bezahlt zu haben, obwohl sie nur einen 20-€-Schein gegeben haben. Kundengeld sollte daher erst in die Kasse, wenn der Verkaufsvorgang abgeschlossen ist!
  • Wird Geld für die Post entnommen, ist ein Beleg über diesen Betrag in die Kasse zu legen und erst mit Rückgeld und Postbeleg im Vier-Augen-Prinzip wieder zu entnehmen. Das gilt auch für Privatentnahmen durch den Chef und Familienangehörige!
  • Hilfspersonal wie Putzhilfen oder Boten, die nicht zum Kernteam gehören, sollten weder offene Kassen mit Geld vorfinden, noch wissen, wo die anderen Geldaufbewahrungsorte sind.
  • Den Geldbestand nicht nur abends beim „Kassemachen“ zählen, sondern auch morgens vor der Öffnung der Apotheke. Man kann sich abends verzählt haben und würde dann morgens mit einem falschen Kassenbstand anfangen. Nobody is perfect!
  • Dasselbe gilt, wenn in zwei Schichten von zwei Bedienern an einer zugeordneten Kasse gearbeitet wird. Auch hier durch einen schnellen Kassensturz den Übernahmebestand prüfen. Damit wären dann mögliche Unstimmigkeiten sofort klärbar und der zweite Bediener würde nicht bereits mit einem Fehler im Bestand anfangen.
  • Im Prinzip sollten die Kassen bei konzentrierter Arbeit abends immer stimmen. Festzulegen ist, ab welcher Differenzsumme der Fehler noch abends zu suchen ist.

Treten regelmäßig Differenzen mit glatten Beträgen auf, liegt ein Diebstahl durch Personal nahe. Das darf nicht ignoriert werden, sondern muss in einer außerordentlichen kurzen Teambesprechung an alle kommuniziert werden. Damit wird der Täter zwar gewarnt und gibt vielleicht kurze Zeit Ruhe, aber in der Regel wird er es wieder versuchen.

Es sollten gemeinsam Verhaltensregeln vereinbart werden. Dabei ist es nicht erlaubt, den Spint oder die Taschen eines vermeintlich Verdächtigen zu durchsuchen oder unangekündigt eine versteckte Überwachungskamera einzurichten. Auch Kameras in der Offizin dürfen nicht heimlich angebracht werden. Sind Überwachungskameras installiert, muss das an der Eingangstür bekannt gemacht werden mit dem Hinweis „Dieser Betrieb ist videoüberwacht.“

Schutz der Mitarbeiter vor Diebstahl

Immer wieder kommt es vor, dass auch Geld, Handys oder sonstige Wertgegenstände aus den Handtaschen der Mitarbeiter entwendet werden. Die Gefahr ist umso größer, wenn auch Lieferanten oder Nicht-Betriebszugehörige Zugang zu den betreffenden Räumlichkeiten haben. Jeder Chef, der entsprechenden Diebstählen vorbeugen will, sollte den einzelnen Mitarbeitern daher abschließbare Fächer oder Spinde zur Verfügung stellen. Denn sowohl offen herumstehende Handtaschen, als auch das fahrlässige Liegenlassen von Geld, Handys, Autoschlüsseln oder sonstigen Wertgegenständen verführt. Hier gilt der Spruch: Gelegenheit macht Diebe!

Zum Schluss noch eine wahre Begebenheit aus der Praxis: Eine große Apotheke stellte eine PKA-Azubi ein, die dem Chef schon von Kindesbeinen an bekannt war. Die Apotheke verfügte insgesamt über 16 Voll- und Teilzeitmitarbeiter. Der Betrieb war gut geführt, QMS schon seit 10 Jahren implementiert, ein Betriebswirt organisierte das Backoffice. Alles war im grünen Bereich.

Plötzlich wurden abends Kassendifferenzen festgestellt, mal 20 € mal 50 €. Der Warenbestand im Kosmetikbereich stimmte immer häufiger nicht, ebenso der Warenbestand bei der „Pille“. Das zuvor hervorragende Betriebsklima litt so sehr, dass der Chef eine außerordentliche Besprechung einberief, in der er dem „Täter“ anbot, sich ihm innerhalb einer Woche zu offenbaren, um eine Lösung zu finden. Andernfalls würde er die Polizei einschalten.

Als sich nichts tat, ging er schließlich zur Polizei und erstattete Anzeige gegen Unbekannt. Gemeinsam mit der Polizei und dem EDV-versierten Betriebswirt konnte letztlich die PKA-Azubi als Täterin ermittelt werden. Sie war sehr geschickt vorgegangen, machte allerdings auch Fehler, indem sie Zugangscodes von Kollegen verwendete, um Waren umzubuchen etc. Diese Personen hatten laut Zeiterfassungssystem aber an den Tagen der Manipulation gar nicht gearbeitet.

Das Ausbildungsverhältnis wurde sofort aufgehoben, ein Jugendrichter verurteilte die Frau zur Zurückzahlung eines festen Betrags an die Apotheke in monatlichen Raten. Der Chef musste ein Zeugnis ausstellen, in dem der Diebstahl nicht vermerkt werden durfte, es musste laut Richter sogar „wohlwollend“ sein.

Das Beispiel soll keineswegs suggerieren, dass nur PKAs verdächtig sind, die den Bereich Warenbewirtschaftung beherrschen. Auch PTAs und Approbierte wurden bereits überführt wegen Manipulationen der Kasse, des Einbehaltens von Kassenbeträgen oder des Diebstahls von Waren.

Vertauen ist gut, Kontrolle ist besser

Inhaber vieler Kleinunternehmen, zu denen auch die Apotheken gehören, sind zu vertrauensvoll und sehen das Team als ihre Familie an, die zusammenhält und keinen Schaden verursacht. Im Geschäftsleben ist Vertrauen gut, ein regelmäßiges Controlling aber unabdingbar. Dazu gehören klare Ansagen, was man erwartet und was man erlaubt.

Karin Wahl, Fachapothekerin für Offizinpharmazie, Unternehmensberatung e.K., 70195 Stuttgart, E-Mail: karin.wahl@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2015; 40(20):10-10