Karin Wahl
Als regelmäßige Besucherin von Fachmessen wie der Expopharm oder der alljährlich stattfindenden Medizinischen Woche in Baden-Baden mit Ausstellern über mehrere Stockwerke, komme ich immer wieder mit dem Standpersonal in Kontakt. Wenn ich mich als Apothekerin oute und nachfrage, erfahre ich, dass viele der Damen und Herren an den Ständen der pharmazeutischen Industrie Apotheker oder PTA sind. Vor dem Hintergrund des bekannten Personalmangels in den öffentlichen Apotheken möchte ich natürlich erfahren, was die Menschen dazu gebracht hat, der Apotheke den Rücken zu kehren.
Arbeitsbedingungen oft unattraktiv
Nachfolgend ein paar typische Aussagen, die ich dabei immer wieder zu hören bekomme:
- schlechtes Betriebsklima,
- Mobbing,
- unkollegiales Verhalten anderer Mitarbeiter,
- ungünstige Arbeits- und Öffnungszeiten, Wochenendarbeit,
- keine Fortbildungen durch den Betrieb,
- Fortbildungen mussten selbst bezahlt werden,
- schlechte Bezahlung,
- nur Teilzeitarbeit bzw. nur Vollzeitarbeit möglich,
- schwierige Kunden in Brennpunktapotheken mangels fehlender Sprachverständigung,
- Dauerstress,
- veraltete EDV-Systeme in veralteter Einrichtung,
- keine Eigenverantwortung trotz vieler Berufsjahre,
- immer die gleichen eintönigen Arbeiten,
- Schwerpunkte wie Homöopathie nicht gewünscht,
- Team „auf Kante genäht“, man musste auch krank arbeiten,
- kein Lob und keine Wertschätzung durch den Chef,
- als „Joker“ permanent zwischen den Filialen herumgeschoben, damit zum Teil weite Anfahrtswege,
- Abgabe von Rx-Artikeln ohne Rezept üblich,
- Filialleiter hatten keine Personalbefugnis, bekamen aber für alles die volle Kritik ab.
Rechtliche Grenzen werden überschritten
Dies ist nur eine kleine Auswahl wiederkehrender Aussagen aus einem langen Katalog von Argumenten. Abschließend vielleicht noch ein weiteres, häufig genanntes Argument, warum die Apotheke verlassen wurde: Offenbar verlangen viele Inhaber, dass PTAs, manchmal sogar langjährige PKAs, den Notdienst am Wochenende allein ableisten, ohne eine approbierte Unterstützung! Nicht selten bestreitet eine PTA den Mittwochnachmittag oder den Samstagvormittag ohne einen Approbierten.
Die Betroffenen erzählten, dass sie dabei sogar in der Apotheke eingeschlossen wurden, angeblich um sie „vor Überfällen zu schützen“. Am Anfang hätten sie das noch toll gefunden, bis sie gemerkt hätten, welche Verantwortung ihnen aufgeladen wurde. Denn im Notdienst seien doch oft Entscheidungen zu fällen, für die die PTA-Ausbildung nicht ausgereicht habe. Somit wurden die Kunden einfach unversorgt an die nächste Notdienstapotheke weitergereicht. Der Chef war der Meinung, dass eh nicht viel los sei und er im Notfall ja telefonisch erreichbar sei – was man sich dann aber nachts um 3.00 Uhr doch nicht getraut habe.
Das macht nachdenklich. Kann es sein, dass in vielen Apotheken Selbst- und Fremdwahrnehmung so auseinanderklaffen? Ist es möglich, dass wir doch mehr Kollegen haben, die sich über bestimmte Grenzen hinwegsetzen, als die überall zu findenden „paar schwarze Schafe“, die die Gesetzeslage nicht ganz so genaunehmen?
Leider kamen derartige Aussagen nicht nur einmal, was mir erklärt, dass die Berufsvertretung der PTAs seit Jahren Forderungen stellt, durch Aufwertung ihres Berufsbildes diese Phänomene zu legalisieren.
Somit gibt es durchaus Handlungsbedarf, den hoch motivierten PTAs Arbeitsplätze zu bieten, bei denen sie ihre erworbene fachliche Kompetenz einbringen können, aber nicht mit Aufgaben betraut werden, die nicht „lege artis“ sind. PTAs wollen kompetente approbierte Kollegen und Chefs, die eine gute Pharmazie vorleben oder wie ich gerne sage „vorturnen“. PTAs machen hervorragende Jobs, wenn sie die Sicherheit haben, sich bei Problemen an eine weitere kompetente Instanz wenden zu können, die dann entscheidet und dafür schließlich auch die Verantwortung übernimmt. Denn Verantwortung heißt auf „pharmazeutisch“ durchaus auch Haftung.
Vorzüge der Jobs in Industrie und Krankenhaus
Die interviewten Apotheker und PTAs, die die Industrie als Arbeitgeber gewählt haben, gaben durchaus zu, dass auch in der Industrie nicht alles Gold sei, was glänzt. Gerade die mehrtägigen Messeeinsätze seien anstrengend und wenig familienfreundlich. Sie würden aber gut dotiert und man bekäme auch ein ordentliches Hotel.
Ansonsten schätzten sie bei ihrer Außendiensttätigkeit, bei der sie Ärzte und Apotheker besuchen, dass sie ihre Aufgaben selbstständig abarbeiten und sich ihren Arbeitseinsatz einteilen könnten. Zudem würden ständig Schulungen angeboten, man bekäme einen Geschäftswagen und bei Mehrleistung auch eine bessere Honorierung. Weiter gebe es Aufstiegschancen, die die öffentliche Apotheke einer PTA nicht bieten könne. Wer bevorzugt flexibel arbeitet und auch gerne unterwegs ist, fühlt sich im Job des Außendienstes daher wohl.
Ähnliche Argumente waren auch von PTAs zu hören, die sich für die Krankenhausapotheke entschieden haben. Dort spielen vor allem die günstigeren Arbeitszeiten mit freien Wochenenden ab Freitag 16.00 oder 17.00 eine große Rolle. Die Bezahlung scheint gut zu sein und man hat die Möglichkeit, spezielle Aufgaben wie die Betreuung der Arzneimittelvorräte auf Station zu übernehmen. Auch in der Klinik wird auf Fortbildung Wert gelegt, die bezahlt wird.
Erschwerend für den Mangel an Approbierten kommt hinzu, dass wir zu viele weibliche Approbierte haben, die nach dem Studium nur Teilzeit arbeiten wollen, da die Familienplanung besonderen Stellenwert hat. Männliche Approbierte gehen zudem gerne ins Ausland, um einen PharmD zu machen oder zu promovieren, was später mehr berufliche Möglichkeiten eröffnet. Inzwischen wählen auch etliche Pharmazeutinnen diesen Weg, wie Prof. Hartmut Derendorf von der University of Florida, Gainesville, bestätigt.
Das Studium der Pharmazie in den USA unterscheidet sich dabei inzwischen in mehr als 60% von den Inhalten des deutschen Ausbildungsgangs. Patientenorientierte Pharmazie und Clinical Pharmacy sind hier Schwerpunkte. Ich habe bei einem Aufenthalt dort festgestellt, dass auch mir diese Art der Pharmazie durchaus zusagt und habe viele Anregungen mit nach Hause genommen.
Die Werbetrommel rühren
Was heißt das jetzt für unsere öffentlichen Apotheken? Wir müssen als Arbeitgeber attraktiver werden und für den Apotheker- und PTA-Beruf verstärkt werben.
Auch in der Ausbildung zur PKA müssten neue Anforderungen und Schwerpunkte unterrichtet werden. Dafür braucht es allerdings entsprechend qualifizierte Schüler mit mehr als nur einem Hauptschulabschluss und später eine Bezahlung, von der eine junge Frau einen eigenen Hausstand unterhalten kann. Der Beruf der PKA wird heutzutage und erst recht in Zukunft bestimmt durch die Warenbewirtschaftung mit modernster EDV und Automaten. PKAs müssen als Basics sowohl gute Leistungen in Mathematik für die Preiskalkulation erbringen als auch die deutsche Sprache und Schrift – möglichst fehlerfrei – beherrschen.
In Anbetracht der anspruchsvollen Lehrpläne an den PTA-Schulen und der nur zweijährigen schulischen Ausbildung sollten die PTA-Schüler möglichst Abitur haben. Später in den Apotheken werden immerhin 80% der Abläufe im Handverkauf, in der Rezeptur und im Labor durch diesen Berufsstand erbracht. Doch immer mehr PTA-Schulen schließen, was weniger ausgebildete PTAs bedeutet. Staatliche PTA-Schulen „selektieren“ gute Schüler und bilden in der Regel gut aus. Einige private PTA-Schulen haben ebenfalls hohe Anforderungen an die Schüler, weil sie später große Verantwortung bei der Arbeit in der Apotheke haben werden. Doch leider gibt es auch „schwarze Schafe“, die alle an anderer Stelle abgelehnten Bewerber als „Sammelbecken“ aufnehmen. Viele dieser Schüler scheitern, weil sie die Mindestanforderungen nicht erfüllen, sei es mangels Schulbildung oder ganz einfach aufgrund großer sprachlicher Schwierigkeiten. Die Agentur für Arbeit übernimmt für einige dieser Bewerber die Schulgebühren, ohne zu prüfen, ob sie für diesen Beruf überhaupt geeignet sind. Frustrierte Berufsschullehrer bestätigen das hinter vorgehaltener Hand.
Einblicke in die Apotheke vermitteln
Nicht zuletzt sollten wir uns als Apotheker aber auch an unsere eigene Nase fassen. Denn mit welchen Maßnahmen fördern wir eigentlich Jugendliche, damit sie einen der Apothekenberufe ergreifen? Berufsorientierte Praktika (BOP) in den Schulen sind Chancen, junge Leute für die Apotheke zu begeistern. Dafür muss man sich aber mit ihnen in dieser Praktikumswoche auch beschäftigen und ihnen nicht nur stupide, langweilige Aufgaben zuweisen. Hier ist es sinnvoll, ihnen in dieser Woche eine Person als Tutor zuzuweisen, die dem jungen Menschen eine Vorstellung von den interessanten und verantwortungsvollen Aufgaben, die die Apotheke in der Gesellschaft erbringt, vermittelt. Der Tutor sollte das natürlich gerne machen und es nicht als lästige Pflicht ansehen.
Dasselbe gilt für Abiturienten und Realschüler, die in den Schulferien Jobs suchen. Sie bekommen im Gegensatz zu den Schülern des BOP eine Vergütung auf Minijob-Basis. Wenn sie außer Routinearbeiten auch einmal in der Rezeptur und im Labor mitarbeiten dürfen und sehen, was in den Apotheken für vielfältige Arbeiten anstehen, lassen sich sicher viele für die Apothekenberufe und die Apotheke an sich begeistern.
Zahlreiche Kollegen haben diesen dringenden Rat aktiv umgesetzt und rekrutieren bereits so ihren Nachwuchs selbst. Auf diese Weise kann man junge Leute an die Apotheke binden und auch formen. Voraussetzung: Man behandelt sie fair und auf Augenhöhe und honoriert die Arbeit auch angemessen.
Immer wieder werden Apotheker gebeten, in Schulklassen über die Apothekenberufe zu referieren. Auch an den Universitäten sind die Studenten dankbar, wenn ihnen die verschiedenen Optionen der Berufswahl innerhalb der Pharmazie aufgezeigt werden. Denn manch einer hat durch negative Erfahrungen bei Apothekenpraktika erkannt, dass er dort nicht seine Lebensarbeitszeit verbringen will. Bevor dann das ganze Studium umsonst ist, ist es hilfreich, Optionen fürs Krankenhaus, die Industrie oder die Verwaltung aufzuzeigen.
Kontraproduktiv hingegen ist es, wenn – wie unlängst erlebt – ein Kollege, der für die Oberstufe des örtlichen Gymnasiums angefragt war, eine Hetztirade über den Beruf, die Politik und die Gesellschaft anstimmt und betont, dass er den Apothekerberuf sicher niemandem empfehlen würde.
Offensichtlich war er mit seinem Apothekerleben gar nicht zufrieden. Ein Kollege aus demselben Ort mit vergleichbaren Rahmenbedingungen und mehreren Filialen hatte dann letztlich kein Problem, begeistert für die Apotheke im Allgemeinen und den Apothekerberuf im Besonderen zu werben.
Positive Grundeinstellung
Es liegt also an jedem einzel- nen, ob er seinen Beruf mit Leidenschaft ausübt und ob er die vielen Chancen des Berufes trotz der gesetzlichen Restriktionen erkennt und diese Optionen nutzt. „All business is local“ lautet ein alter Marketingsatz! Also mein Rat: Was kümmert Sie ein Problem einer Apotheke in Hamburg, wenn Sie Ihre Apotheke im Schwarzwald betreiben!? Und noch einen Rat: Betrachten Sie den Apothekerberuf als ein Klavier mit vielen weißen und schwarzen Tasten, die Sie nach Herzenslust bespielen und eine schöne harmonische Melodie erzeugen können!
Aber ohne begeisterten Nachwuchs geht das nicht. Wer die Zukunft sichern möchte, muss in die Gegenwart investieren und Qualität hat sich schon immer durchgesetzt! Denken Sie über die Feiertage in Ruhe nach, was Sie in 2016 in dieser Richtung in Ihrer Apotheke andenken und ändern können und arbeiten Sie an Ihrer inneren Einstellung als Chef! Niemand kann jemand anderen ändern, dies gelingt nur uns selbst! Viel Erfolg!
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2015; 40(23):12-12