Kranke Apothekenmitarbeiter

Beschäftigung trotz Krankschreibung?


Jasmin Theuringer

Ist ein Arbeitnehmer erkrankt, geht er zum Arzt, erhält eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und kuriert sich zu Hause aus. Das ist die Regel. Zu Problemen führt erst die Ausnahme von dieser Regel – wenn nämlich der Mitarbeiter trotz Erkrankung arbeiten möchte ...

Darf ein krankgeschriebener Arbeitnehmer arbeiten? Darf ein Arbeitgeber ihn überhaupt beschäftigen und falls ja, besteht Versicherungsschutz? Benötigt er eine „Gesundschreibung“ vom Arzt? Und schließlich: Was ist, wenn die Erkrankung ansteckend ist?

Die Antworten auf diese Fragen sollten Sie als Apothekenleiter kennen, damit Sie in keine rechtlichen Fettnäpfchen treten und zudem Ihrer Fürsorgepflicht als Arbeitgeber entsprechend nachkommen können.

Krank bedeutet nicht automatisch arbeitsunfähig

Verschiedene Gründe können dazu führen, dass ein krankgeschriebener Arbeitnehmer nicht zu Hause bleiben möchte. Einige tun dies aus übertriebenem Verantwortungsbewusstsein, aus Angst um ihren Job oder weil sie sich bereits vor Ablauf des Krankschreibungszeitraums genesen fühlen. Andere kommen krank zur Arbeit, weil sie zwar im medizinischen Sinne krank sind, aber dennoch arbeitsfähig.

Eine Arbeitsunfähigkeit im rechtlichen Sinne ist mit der medizinischen Definition einer Krankheit nicht gleichzusetzen. So kann jemand krank sein, weil er zum Beispiel ein behandlungsbedürftiges Leiden hat, aber dennoch kann er in der Lage sein, seine Arbeit zu verrichten. Erst wenn die Krankheit ihn objektiv daran hindert, die von ihm geschuldete Tätigkeit zu erbringen, ist ein Arbeitnehmer arbeitsunfähig im rechtlichen Sinne. So ist der Botenfahrer mit einem gebrochenen Fuß arbeitsunfähig, die Buchhalterin aber nicht unbedingt.

Beschäftigung krankgeschriebener Arbeitnehmer

Eine festgestellte Arbeitsunfähigkeit berechtigt den Arbeitnehmer, seine Arbeitsleistung zu verweigern. Er ist also berechtigt, aber nicht verpflichtet, zu Hause zu bleiben. Erscheint nun ein erkrankter arbeitswilliger Arbeitnehmer im Betrieb, so ist vom Arbeitgeber Fingerspitzengefühl verlangt. Handelt es sich beispielsweise um den Boten mit dem gebrochenen Fuß, kann dieser natürlich nicht als Botenfahrer eingesetzt werden. Wenn es aber andere Beschäftigungsmöglichkeiten gibt, möglicherweise eine sitzende Tätigkeit, die dem Mitarbeiter gefahrlos angeboten werden kann, ist das ohne Weiteres zulässig.

Handelt es sich hingegen um eine Erkrankung, die jegliche Beschäftigung ausschließt, wie eine fiebrige Infektion, so muss der Arbeitgeber die Arbeitsleistung ablehnen und den Arbeitnehmer nach Hause schicken.

Die ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist also weder ein unumstößliches Gesetz noch ein Beschäftigungsverbot. Sie kann von Arbeitnehmer und Arbeitgeber ignoriert werden, wenn der Arbeitnehmer offensichtlich bereits genesen ist oder trotz seiner Erkrankung willens und auch gefahrlos in der Lage ist, eine Tätigkeit zu erbringen.

Wird ein Arbeitnehmer unter diesen Voraussetzungen trotz des Vorliegens einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung beschäftigt, so ist er während seiner Tätigkeit im Betrieb versichert, ohne dass dafür eine ärztliche „Gesundschreibung“ – die zwar häufig verlangt wird, aber rechtlich gar nicht existiert – notwendig ist.

Umgang mit Infektionskrankheiten

Leidet der trotz Krankschreibung arbeitswillige Arbeitnehmer an einer ansteckenden Krankheit, so ist der Arbeitgeber verpflichtet, ihn von der Arbeit abzuhalten und nach Hause zu schicken. Dies resultiert aus der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gegenüber den weiteren Mitarbeitern.

So viel zur Theorie. In der Praxis weiß der Arbeitgeber aber häufig nicht, ob ein Arbeitnehmer an einer ansteckenden Krankheit leidet. Ein Arbeitnehmer, der sich trotz Vorliegens einer Infektionskrankheit nicht beeinträchtigt fühlt (so zum Beispiel bei einer HIV-Infektion oder einer symptomlos verlaufenden Hepatitis), geht gar nicht erst zum Arzt, um sich krankschreiben zu lassen. Die Ansteckungsgefahr ist dann also dem Arbeitgeber gar nicht bekannt, möglicherweise nicht einmal dem Arbeitnehmer selbst.

Informationspflicht des Arbeitnehmers

Fraglich ist, ob ein Arbeitnehmer, der von der Ansteckungsgefahr weiß, von sich aus seinen Arbeitgeber informieren muss. Diese Frage kann nicht allgemein bejaht oder verneint werden, es kommt auf die Erkrankung, auf die mit ihr verbundene konkrete Ansteckungsgefahr und auf die Eigenart der Tätigkeit an.

Grundsätzlich schuldet der Arbeitnehmer nur eine Mitteilung darüber, dass und voraussichtlich für wie lange er arbeitsunfähig erkrankt ist, nicht aber Angaben über Art und Ursache der Erkrankung. Handelt es sich jedoch um eine ansteckende Krankheit, die Schutzmaßnahmen des Arbeitgebers für andere erfordert, dann ist der Arbeitnehmer von sich aus – auch ohne Nachfrage durch den Arbeitgeber – verpflichtet, diese Tatsache zu offenbaren.

Aber auch hier gilt: Die konkrete Diagnose geht den Arbeitgeber grundsätzlich nichts an, so lange er über die erforderlichen Maßnahmen wie zum Beispiel Desinfektionsmaßnahmen in der Arbeitsumgebung des Erkrankten, hinreichend aufgeklärt wird. Sind keine derartigen Maßnahmen notwendig, weil zum Beispiel eine Ansteckungsgefahr verschwindend gering ist, dann schuldet der Arbeitnehmer auch keine entsprechende Aufklärung. Das Gleiche gilt, wenn der Arbeitnehmer erst wieder im Betrieb erscheint, nachdem er sich vollständig auskuriert hat. Auch in diesem Fall sind keinerlei Maßnahmen des Arbeitgebers notwendig, eine Information über die Art der Erkrankung hätte also keinen konkreten Nutzen und kann unterbleiben.

Unterlässt der Arbeitnehmer dagegen eine notwendige Information des Arbeitgebers und erscheint trotz des Bestehens einer ansteckenden Krankheit zur Arbeit, kann dies durchaus Konsequenzen nach sich ziehen. Kollegen oder Kunden, die sich bei ihm anstecken, können Schadensersatzansprüche geltend machen. In Betracht kommen sowohl Ansprüche auf Schmerzensgeld als auch auf Verdienstausfall, wenn die Betroffenen zum Beispiel länger als sechs Wochen erkrankt sind und nur noch Krankengeld erhalten.

HIV- und Hepatitis-Erkrankung

Nicht offenbarungspflichtig ist grundsätzlich das Vorliegen einer HIV-Infektion oder einer Hepatitis-Erkrankung. Ausnahmen können nur dann in Frage kommen, wenn die Art der Tätigkeit eine Information unumgänglich macht, wie bei einer Beschäftigung als Arzt. Das kann aber nicht ohne Weiteres auf die Tätigkeit in einer Apotheke übertragen werden. In einem ähnlichen Zusammenhang entschied das Bundesarbeitsgericht vor zwei Jahren, dass sogar die Kündigung eines HIV-infizierten Mitarbeiters unzulässig ist, selbst wenn dieser in einem Pharmaunternehmen im sogenannten Reinraum beschäftigt werden sollte. Obwohl sich das Pharmaunternehmen auf Qualitätsstandards berief, wonach die Beschäftigung von Arbeitnehmern mit einer HIV- oder Hepatitis-Infektion im Reinraum nicht zulässig sei, ließ das Bundesarbeitsgericht die Kündigung vor Gericht scheitern und legte dem Unternehmen auf zu prüfen, ob nicht besondere Vorkehrungen eine Beschäftigung im Reinraum ermöglichen könnten (Urteil vom 12.Dezember 2013, Aktenzeichen 8 AZR 838/12).

Übertragen auf den Betrieb einer Apotheke bedeutet dies, dass das Vorliegen einer Infektionskrankheit eine Beschäftigung in der Apotheke und selbst in der Rezeptur nicht ausschließt. Entscheidend ist vielmehr stets, ob eine Gefährdung Dritter möglich erscheint. Erst dann ist der Arbeitnehmer verpflichtet, über seine infektiöse Krankheit aufzuklären, damit der Arbeitgeber entsprechende Schutzmaßnahmen ergreifen kann. Beschränkt sich die Ansteckungsgefahr auf das persönliche Umfeld des Arbeitnehmers, so geht dessen individuelles Persönlichkeitsrecht dem Informationsinteresse des Arbeitgebers vor.

Jasmin Theuringer, Rechtsanwältin, Bellinger Rechtsanwälte und Steuerberater, 40213 Düsseldorf, E‑Mail: theuringer@bellinger.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2016; 41(02):14-14