Prof. Dr. Reinhard Herzog
Die einen trommeln für günstige Einstiegschancen, andere sehen einen Wirtschaftseinbruch, gar die nächste Finanzkrise heraufziehen. Für beide Positionen gibt es Argumente. Tatsache ist: Wer Ende letzten Jahres einem der „Universaltipps“ an der Börse gefolgt ist („an Gewinnmitnahmen ist noch niemand gestorben“), hat sich insbesondere bei den DAX-Werten mutmaßlich sehr ordentliche Gewinne gesichert.
Wer noch auf seinen Beständen sitzt und nicht durch sorgfältig nachgezogene Stop-loss-Limits bei 10 % oder 15 % Verlust vom letzten Kurshoch „ausgestoppt“ wurde, für den ist guter Rat teuer. Die spannende Frage: Geht es noch deutlich weiter herunter, sodass auch jetzt noch ein Verkauf lohnt, um dann später erheblich günstiger wieder einzusteigen? Oder sitzt man seine Verluste einfach aus, freut sich über eine Dividende, die je nach Einstiegskurs keine schlechte Rendite darstellt?
Wer z. B. eine Daimler-Aktie vor wenigen Jahren für sagen wir um die 40 € erworben hat, bekommt darauf eine Dividende von voraussichtlich mindestens 2,50 € – macht gut 6 % vor Steuern. Die Dividenden scheinen hier nicht in Gefahr, der Kurs liegt mit reichlich 60 € immer noch deutlich über dem Kaufkurs, und dass dieser Kaufkurs unterschritten wird, ist unwahrscheinlich. Also halten! Diese Strategie hat natürlich nichts mit aktiver Gewinnoptimierung zu tun (wie viel hätten Sie allein an diesem Papier verdienen können, wenn Sie dynamisch ein- und ausgestiegen wären), aber unter Langfristbetrachtungen in halbwegs entspannter Atmosphäre kann man durchaus so agieren.
Wo juckt es in den Fingern?
Von Zeit zu Zeit lohnt es sich, die Kurstafeln systematisch zu screenen. Wir konzentrieren uns auf deutsche Werte, wenngleich wir raten, stets den internationalen Blick zu bewahren. Seiten wie www.boersengefluester.de unterstützen Sie dabei mit entsprechenden Kurs- und Datenlisten für die einzelnen DAX-Segmente.
Zurzeit stehen die Zeichen auf einer sorgfältigen Werteselektion. Von einem Investment in Index-Papiere raten wir eher ab. Dazu geht die Schere zwischen den einzelnen Gesellschaften momentan wieder zu sehr auf: Manche sehen sich großen Herausforderungen gegenüber (wie z. B. Banken, Energieversorger, aber auch die Autowerte), andere schauen nach wie vor ganz gut aus (z. B. Konsumgüter, Pharma, Immobilien, Bau). Indizes mitteln dies eben weg. Doch wie auswählen? Eine Kombination von wenigen schlagkräftigen, recht einfach verständlichen Kennzahlen macht Sinn (es gibt natürlich zig andere Auswahlansätze). Selektieren Sie also nach den drei Kriterien Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV), Kurs-Buchwert-Verhältnis (KBV) und der Dividendenrendite, haben Sie schon eine ganz clevere Vorauswahl getroffen. Das, was dann im „Netz“ hängen geblieben ist, verdient eine nähere Analyse.
Bewertungskriterien
Eine Bewertung deutlich unter Buchwert lässt stets aufhorchen. Allerdings: Was verbirgt sich hinter den Buchwerten? Und wer kein zukunftsfähiges Geschäftsmodell hat und beständig Werte verbrennt, bei dem entschädigt auch eine niedrige Bewertung nicht. Dividenrenditen sollten stabil sein, und es sollte möglichst nicht mehr als etwa die Hälfte des Gewinns ausgeschüttet werden (Ausnahmen: z. B. Immobilienaktien, reine Beteiligungsgesellschaften). Keinesfalls sollten Dividenden aus Rücklagen bezahlt werden! Für ein günstiges KGV spricht, wenn es deutlich unter dem Zehnjahres-Durchschnitt dieser Aktie liegt.
Am Ende zählen jedoch immer die Zukunftsaussichten und nicht Kennzahlen von gestern. Sie sollten daher immer nur in Aktien investieren, deren Geschäftsmodell sie halbwegs verstehen und bei denen Sie auch subjektiv ein gutes Gefühl haben, dass diese Gesellschaft auf dem richtigen Weg ist. Langfrist-Investoren nutzen übrigens konsequent die Chance, sich auf den Hauptversammlungen selbst ein Bild von der Gesellschaft und ihrem Management zu machen!
„Wundertüte“ Banken
Im Mai 2007 notierte eine Deutsche Bank AG noch bei 102 €, heute um 15 €. Börsenwert heute: etwas über 20 Mrd. €. Das könnten sich etliche Großinvestoren der Welt zum Frühstück gönnen. Die Commerzbank ist schon länger völlig in sich zusammengefallen. Eine Banco Popular Espanol (nomen est omen, WKN: A1W0MG) krebst um zwei Euro herum – und lag schon einmal bei gut 20 €. Börsenwert heute: mickrige 5 Mrd. €. Wer an einen Wiederaufstieg Spaniens und die Lösung diverser politischer Unsicherheiten dort glaubt, macht hier ein Schnäppchen. 80 % bis 90 % Kursverlust sind bei europäischen Banken nicht ungewöhnlich, und gerade die letzten Wochen haben nochmal für empfindliche Rücksetzer gesorgt. Kaufgelegenheiten für Mutige? Das spricht vor allem dafür:
- Der enorme Kursrückgang und Notierungen weit unter Buchwert. Banken wie die oben erwähnten gehören zu den billigsten Werten auf dem Markt.
- Auf lange Sicht normalisieren sich Verhältnisse stets wieder und Probleme werden gelöst; die Vernunft obsiegt am Ende doch (Niedrigzinsphase, Eurokrise).
- Institute wie eine Deutsche Bank werden schon aus politischen Gründen nicht untergehen (für Kapitalanleger kann es dennoch sehr bitter werden, siehe das Menetekel Commerzbank).
Das spricht u. a. dagegen:
- Komplexe Bilanz- und Risikostruktur; Bankbilanzen gleichen oft eher Wundertüten. Kaum jemand versteht das.
- Enorme Risiken infolge der Niedrigzinsphase, was passiert bei einem Zinsanstieg mit diversen Werten in den Büchern?
- Mögliches Aufflammen der Finanzkrise, das würde die Kurse nochmals drastisch drücken. Mögliche Auslöser: Vom finanziellen Schmelztiegel Asien (immer noch unterschätzt) über Euro-Krise und Nahost-Krise bis hin zum möglichen „Brexit“.
- Geschäftsmodelle stehen auf der Kippe; der Staat greift seit Jahren stark und nicht immer sonderlich klug ein, für Investoren immer ein Warnsignal!
- Speziell bei der Deutschen Bank die enormen Risiken aus den Rechtsstreitigkeiten und der Vertrauensverlust, keiner weiß, was noch alles kommt.
Fazit Banken: Mutige legen sich ein paar Stücke ins Depot, machen die Augen zu und in fünf Jahren wieder auf – und lassen sich einfach von den „Wundertüten“ überraschen. Wer eine berechenbare Anlage sucht, ist hier noch viel zu früh dran. Wir reden über Spekulation vom Feinsten, angesichts der ausgebombten Kurse aber nicht ohne Reiz ...

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2016; 41(05):15-15