Prof. Dr. Uwe May
So haben der Selbstkauf und auch die Verordnung rezeptfreier Präparate den Apotheken und den Arzneimittelherstellern im Jahr 2015 ein neues Rekordniveau bei Umsätzen und Absätzen beschert. Der OTC-Versand zeigte zwar den stärksten Zuwachs, aber die Offizinen konnten das Wachstumstempo gut mithalten.
Die nachfolgenden Marktdaten von IMS Health stellen die Entwicklung des Arzneimittelmarktes in Deutschland im Jahr 2015 dar. Die Umsatzdaten beziehen sich auf Endverbraucherpreise und beruhen ebenso wie die Mengenangaben auf Apothekenabverkäufen.
Das von IMS Health als „Gesundheitsmarkt“ zusammengefasste Aggregat aller nachfolgend erwähnten Marktsegmente entwickelte sich von Januar bis einschließlich Dezember vergangenen Jahres insgesamt positiv. Die Veränderungsraten von Umsatz und Absatzmenge lagen mit +5,2 % bzw. +4,0 % gegenüber dem Vorjahresniveau relativ ausgewogen auf Wachstumskurs.
Im Markt rezeptpflichtiger Arzneimittel wurde mit dem Verkauf von 727,4 Mio. Packungen ein Umsatz von 40,049 Mrd. € erzielt. Der Umsatz liegt damit deutlich (+4,7 %) und die Absatzmenge knapper (+1,5 %) über dem Vorjahresniveau. Das Umsatz- und Absatzwachstum des rezeptpflichtigen Marktsegments findet seinen unmittelbaren Niederschlag in der Entwicklung der Arzneimittelausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).
Die Ausgaben für Arzneimittel (inklusive Test-Diagnostika, exklusive Impfstoffe, ohne Berücksichtigung von Patientenzuzahlungen) sind dort im vergangenen Jahr um 4,9 % auf rund 32,3 Mrd. € zu Apothekenverkaufspreisen angestiegen. Ein leichter Mengenzuwachs (+1,2 %) führte dabei zu einem Absatzvolumen von 702 Mio. Packungen. Bei Berechnung der genannten GKV-Ausgaben wurden die von Apotheken und Herstellern geleisteten gesetzlichen Abschläge und Rabatte sowie die Preisnachlässe aus Rabattverträgen (zum Teil noch auf Basis von Hochrechnungen) bereits abgezogen.
Apotheken und Hersteller leisten höheren Einsparbeitrag
Dass die Ausgabenentwicklung trotz einiger innovationsbedingter Zuwächse (s. u.) noch so vergleichsweise moderat ausfällt – im Vorjahr betrug der Zuwachs beispielsweise +9 % – liegt auch daran, dass eben diese Rabattbelastung von Apotheken und Herstellern mit annähernd 7 Mrd. € einen deutlich gestiegenen Einsparbeitrag geleistet hat. Insbesondere haben sich die Rabatte aus Erstattungsbeträgen um mehr als 100 % auf jetzt 791 Mio. € erhöht, und das „Einsparvolumen“ durch Rabattverträge liegt nach vorläufigen Berechnungen mit knapp 3,4 Mrd. € um etwa 7 % über dem Vorjahresniveau (3,18 Mrd. €).
Ausgabensteigernd wirkten sich demgegenüber vor allem Verordnungen im Segment innovativer Arzneimittel zur Behandlung schwerwiegender Erkrankungen aus. Allen voran sind hier neue antivirale Präparate zur Behandlung von Hepatitis C zu nennen, für die 2015 nach vorläufigen Berechnungen des DAV rund 700 Mio. € mehr als im Jahr zuvor aufgewendet wurden. Des Weiteren waren überdurchschnittliche Zuwächse bei neuen oralen Antikoagulanzien (Faktor Xa Hemmer) sowie bei verschiedenen Onkologika zu verzeichnen. Insgesamt konzentriert sich der überwiegende Teil des gesamten Ausgabenwachstums auf die genannten und wenige weitere Arzneigruppen.
Das Segment verordneter rezeptfreier Arzneimittel zeigte nach 2013 und 2014 nun im dritten Jahr in Folge eine Wachstumstendenz – diesmal sogar relativ deutlich und nicht nur nach Umsatz (+5,2 %), sondern auch nach Menge (+4,6 %). Insgesamt wurden 133,7 Mio. Packungen sog. OTX-Präparate im Wert von 1,454 Mrd. € verordnet. Ein Mengenwachstum hatte es nur im Rekord-Erkältungsjahr 2013 gegeben, und auch gemessen am Umsatz hatte das OTX-Segment seit dem durch das GMG bereits in 2004 erfolgten OTC-Erstattungsausschluss bis 2013 Jahr für Jahr an Marktanteil verloren.
Erstattung rezeptfreier Präparate oft Satzungsleistung
Um zu verhindern, dass rezeptfreie Präparate ihren therapeutisch bedeutsamen Stellenwert als gut verträgliche Mittel der ersten Wahl bei vielen leichteren Erkrankungen vollständig einbüßen, hatte es in der zurückliegenden Dekade verschiedene Initiativen seitens der Herstellerverbände und der Apothekerschaft gegeben. Diese zielten insbesondere darauf ab, die Verbraucher und Ärzte über den Nutzen rezeptfreier Arzneimittel zu informieren sowie das Grüne Rezept als Formular zur Verordnung dieser Präparate zu etablieren. Mittlerweile werden rezeptfreie Präparate, die z. B. auf Grünem Rezept verordnet wurden, von mehr als der Hälfte der gesetzlichen Krankenkassen (zumindest teilweise) im Rahmen von Satzungsleistungen erstattet, was sicherlich als ein Impulsgeber für die „Rückkehr der OTX-Präparate“ anzusehen ist.
Im Markt der Selbstmedikation waren mit 5,607 Mrd. € Umsatz (+7,6 %) und 656,5 Mio. verkauften Packungseinheiten (+5,3 %) neue Höchstwerte zu verzeichnen, die sogar gegenüber dem bisherigen Rekord-Erkältungsjahr 2013 einen Mehrverkauf von rund 20 Mio. Packungen im Wert von einer halben Milliarde Euro bedeuten. Wären der Herbst und der Frühwinter bis zum Jahreswechsel 2015/2016 weniger mild gewesen, so hätten diese Werte sogar leicht noch höher ausfallen können.
Dabei unterscheiden sich die prozentualen Wachstumsraten in der Offizin und bei der Internetbestellung (+8,4 %) nur um knappe 0,8%-Punkte, was im Vergleich der letzten Jahre aus Sicht der Offizinen eine positive Bilanz darstellt. Bei der Mengenentwicklung lag der OTC-Versand mit +8,2 % Wachstum um 2,9%-Punkte vor dem klassischen OTC-Handverkauf in der Apotheke. Absolut betrachtet erzielte der OTC-Versandhandel mit 104,2 Mio. Packungen einen Umsatz von 1,028 Mrd. €.
Politische Unwägbarkeiten
Für das noch junge Geschäftsjahr 2016 zeichnen sich insbesondere für das Segment der GKV-erstatteten Arzneimittel bereits heute pharmapolitische Veränderungen ab, die Einfluss auf die Marktentwicklung haben könnten. Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund der langjährigen Erfahrung, wonach restriktive Maßnahmen nicht selten mit einem vorauseilenden Effekt auf das ärztliche Verordnungsverhalten einhergehen.
Zentrale Stichworte lauten hier AMNOG 2.0 und Umsetzung der Ergebnisse der Nutzenbewertung auf regionaler Ebene. Ob und wie beispielsweise die „Mischpreisproblematik“, die mit der Festlegung eines einheitlichen AMNOG-Erstattungsbetrags bei unterschiedlichem Nutzenniveau in Patientensubgruppen einhergeht, gelöst werden kann oder die Frage, welchen Regulierungsinstrumenten Biosimilars künftig unterstellt werden, steht derzeit noch in den Sternen. In Anbetracht solcher politischer Unwägbarkeiten stellt das wieder erstarkte OTC-Segment für die Apotheken ein Standbein dar, mit dem sie sich in einer vergleichsweise „politikfreien Zone“ und mit einer entsprechend höheren Planungssicherheit entfalten können.
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Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2016; 41(05):8-8